Die Midgard-Saga - Jötunheim. Alexandra Bauer

Die Midgard-Saga - Jötunheim - Alexandra Bauer


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hob ratlos die Hände. „Und was hilft das, wenn Bifröst unbewacht bleibt?“

      Auch Andhrimnir kam nicht umhin von seinem Kessel aufzuschauen und heftig nickend zuzustimmen: „Bifröst unbewacht. Nicht gut! Nicht gut!“

      „Nehmt ihn mit“, beharrte Odin, ohne auf den Koch zu achten. „Magni und Modi werden die Brücke bewachen.“ Er hob den Finger und streichelte leicht über Munins Brust. „Geh, mein Guter, hole Heimdall.“

      Der Rabe nickte und krächzte bestätigend, dann spreizte er die Flügel und flog davon.

      „Das ist das Dümmste, was du machen kannst, Odin.“ Erbost schlug Wal-Freya die Faust auf den Tisch. Thea schrak zusammen und auch Tyr zuckte kurz mit den Augenbrauen. Nur Odin blieb unbeeindruckt. Ein Lächeln umspielte seine Lippen. „Deine Sorge rührt mich, Wal-Freya. Aber mit Heimdall in eurer Gruppe habt ihr eine größere Chance, Fenrir zu finden. Je früher dieser Wolf wieder in seinen Ketten liegt, umso eher bin ich sicher. Bifröst wird solange ohne Heimdall auskommen müssen. Die Einherjer werden alles daran setzen, mich zu beschützen.“

      „Ich bin damit nicht einverstanden“, erwiderte Wal-Freya verstimmt.

      „Es ist entschieden!“, setzte Odin entgegen. „Und diesmal werde ich mich nicht vom Rat überstimmen lassen. Lasst uns nicht streiten. Reden wir, bis Heimdall hier ist.“

      Wie auf Kommando trat Herja in die Halle. Mit einem Lächeln stellte sie einen Krug auf dem Tisch ab und verließ den Raum ebenso schweigend, wie sie ihn betreten hatte. Odin nahm den Krug und schenkte sich nach. Zufrieden nahm er einen Schluck aus seinem Horn.

      „Sag mir, Hüterin Kyndills. Wie ist es dir ergangen?“

      Thea sah Odin schief an. Der lachte, hob den linken Arm und streichelte Hugin leicht über den Kopf. „Meine Raben erzählen mir nicht alles“, entgegnete er. „Du hast Kyndill vollendet?“

      Thea presste die Lippen zusammen. Sie hatte den Griff aus zwei Harthölzern geformt und um das Heft geleimt. Da Kyndill brannte, sobald sie das Schwert berührte, war sie dabei sehr vorsichtig vorgegangen. Es war gar nicht so leicht gewesen, denn Kyndill hatte mehr als einmal beinahe ihr Zimmer in Brand gesteckt. Lange, nachdem ihre Eltern schliefen, hatte sie die Zimmertüre verschlossen und das Schwert erst aus dem Köcher geholt, nachdem sie die Rollläden runter gelassen hatte. Bis zum heutigen Tag glaubte sie sich dabei unbeobachtet.

      „Wie konnten sie das sehen?“, staunte Thea.

      Odin lachte. „Gar nicht! Ich habe es bemerkt, als du in die Halle eingetreten bist.“

      Thea führte die Hand zum Griff und lächelte erleichtert.

      „Hugin und Munin achten die Privatsphäre“, nahm Odin ihr die Worte aus dem Mund. Alle lachten und Thea senkte beschämt den Blick.

      „Zeig es mir“, forderte Odin Thea auf.

      Gerne öffnete Thea den Schwertgurt und legte Kyndill mitsamt der Schwertscheide auf den Tisch. Odin lehnte sich vor und betrachtete das Heft mit einem zufriedenen Nicken. „Rück es ein wenig näher“, forderte er Thea auf.

      Sie schob das Schwert vor. Seit sie in Niflheim mit Kyndill gekämpft hatte, war niemand außer ihr in der Lage es zu berühren. Odin schien es auch ein Jahr später nicht ausprobieren zu wollen.

      „Eine schöne Arbeit“, lobte er und hob auffordernd das Kinn in Theas Richtung. Diese nahm das Schwert zurück und band es wieder um die Hüfte.

      „Ich war schon damals ein Liebhaber deiner Arbeiten“, erklärte Odin offenherzig.

      „Ach wirklich?“, staunte Thea.

      Odin nickte. „Dein Meister tat gut daran, dich in die Lehre zu nehmen und dir später die Schmiede zu überlassen.“

      Schritte wurden laut und alle Blicke richteten sich zur Tür. Mild lächelnd trat Frigg ein. Sie beschrieb mit ihren Händen einen Bogen. Der präsentierenden Geste folgte Tom. Eine helle Hose, bis zu den Knien von Wadenwickeln umschlossen, lugte unter einer langen, schwarzen Tunika hervor. Das hellblaue Ende einer Untertunika schaute darunter heraus, ebenso an den Ärmeln, die Tom zurückgeschlagen hatte. Ein einfaches, kurzärmliges Kettenhemd schützte seinen Oberkörper. Um dieses schloss sich ein Gürtel mit zwei Kurzschwertern an den Seiten. Ein schwarzer Umhang mit Fellbesatz an Schultern und Rücken wurde mit einer Fibel über seiner Brust geschlossen.

      „Wie mittelalterlich“, kommentierte Wal-Freya sein Auftreten in Theas Gedanken. „Sie hätte ihm wenigstens ein paar Bein- und Armschienen zum Schutz überlassen können.“ Als eine Antwort Theas ausblieb, sah sich die Walküre nach ihr um. „Muss er erst in diesem Aufzug erscheinen, dass du ihn beachtest?“, fügte sie vorwurfsvoll hinzu.

      „Was? Nein!“, erwiderte Thea empört. „Ich war nur im Gedanken!”

      „Klar!“, erwiderte Wal-Freya trocken und laut an Frigg gewandt murrte sie: „Gab es keine bessere Rüstung für ihn, als ein Kettenhemd?“

      „Er wollte nichts anderes. Er sagte, alles andere sei ihm zu schwer“, erwiderte Frigg offen.

      Tyr brummte missbilligend und drehte sich zu Tom um. „Findest du das nicht überheblich?“

      Tom schüttelte den Kopf. „Ich muss mich bewegen können. Mit dem ganzen Krams an mir fühlten sich meine Glieder an wie Blei!“

      Tyr holte Luft, doch ehe er in der Lage war, etwas zu erwidern, wurde er von einem tiefen Lachen unterbrochen.

      „Das ist ein wahrer Krieger!“, verkündete Odin stolz und hob sein Trinkhorn huldigend in die Luft.

      „So ein Narr!“, zischte Wal-Freya mit zusammengepressten Zähnen. Fast glaubte Thea sich sicher, dass es die Walküre bereits reute, Tom mitgenommen zu haben.

      Odin rückte den Stuhl neben sich heran. „Komm, Junge! Setz dich!“, forderte er Tom fröhlich auf, während er mit der Hand auf die Sitzfläche klopfte.

      Zögernd sah Tom zu Frigg. Erst als diese ihm aufmunternd zunickte, folgte er Odins Einladung und nahm Platz. Nur einen Wimpernschlag später saß auch Frigg am Tisch. Lachend hieb Odin Tom auf die Schulter. „Ich muss mich bewegen können“, wiederholte er heiter. „Ich kann es kaum erwarten, dich kämpfen zu sehen!“

      Thea wurde mit einem Mal flau im Magen. Odin hatte beteuert, dass ihm der Ruf des unersättlichen Kriegsgottes zu Unrecht anhaftete und doch tobten plötzlich alte Geschichten durch ihren Geist, die davon erzählten, wie besessen Odin davon war, Kämpfer und Helden gegeneinander in den Streit zu schicken, um sie nach ihrem Tod in seine Schar in Walhalla einzureihen. Ihr Magen krampfte sich mit jedem Schlag ihres Herzens, während sie Odin und Tom beobachtete. Offensichtlich für jeden im Raum, hatte Tom Odins Interesse geweckt. Jeder freundschaftliche Schubs, den er Tom gab, während er ihn in ein Gespräch verwickelte, jede Aufforderung zum Anstoßen, sein tiefer Blick, mit dem er Tom bedachte, wenn er einen Schluck aus dem Trinkhorn nahm, weckte Theas Argwohn. Vielleicht tat man Odin mit den alten Geschichten ebenso Unrecht wie Loki und Theas Sorge war unbegründet, oder vielleicht traf es auch genauso zu, wie die Asen Loki verurteilten. Wal-Freya schien Theas Unruhe zu spüren. Beruhigend legte sie eine Hand auf ihr Bein.

      Im gleichen Augenblick flog Munin in die Halle. Krächzend senkte er sich auf Odins freie Schulter nieder und pickte ihn spielerisch an den Haaren. Kurz nach dem Raben betrat Heimdall die Halle. Ein langärmliges Kettenhemd blitze hier und da unter seiner Rüstung hervor. Diese schloss sich in Einzelteilen um den fülligen Leib. Der goldverzierte Brustpanzer war seiner Figur angepasst und beulte sich am Bauch aus. Unter dem zurückgeschlagenen Umhang zeigten sich golden abgesetzte Schulterplatten, die bis zu den Ellenbogen reichten. Dort begegneten sie einem Paar Armschienen. Eine rote Tunika, von einer bestickten Borte abgesetzt, reichte bis zu den Knien. Um die Beine schlackerte eine blaue Hose aus grobem Stoff, die sich an den Waden von einem Lederband umwickelt fand. Unter dem Bauchansatz schloss sich ein Schwertgürtel, ein zweiter Lederriemen lief quer über die Brust und hielt ein langes, geschwungenes Horn auf Heimdalls


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