Die Midgard-Saga - Jötunheim. Alexandra Bauer

Die Midgard-Saga - Jötunheim - Alexandra Bauer


Скачать книгу
Filigran setzte sich das Fell des Wolfes ab. Wäre ein Windhauch über den Platz geweht, Thea hätte schwören können, die Härchen könnten sich bewegen.

      Durch einen Spalt zwischen den Flügeltüren drang das Flackern von Feuer. Wal-Freya wandte sich umständlich durch den Spalt und die anderen taten es ihr gleich. Im Inneren öffnete sich ihnen ein weiter Raum. Der Feuerschein rührte von einer gemauerten Stelle in der Mitte her. Flammen knisterten dort und warfen Licht und Schatten auf die Tische und Bänke, die überall verteilt im Raum standen. Tanzend funkelte sein Licht in den Brünnen, welche die Bänke bedeckten. An der Längsseite der Halle, gegenüber der Eingangspforte, erhob sich ein Podest, auf dem zwei Stühle standen. Beide waren mit dickem Fell bedeckt. Nur die Armlehnen, mit reichhaltigen Verzierungen versehen, lagen frei. Der Raum war menschenleer, aber nicht lange. Kaum hatten sie sich umgesehen, da trat eine Frau aus einer Nebentür. Über einem hellen Unterkleid floss ein dunkelblaues Trägerkleid, das von Schalenfibeln über ihren Brüsten gehalten wurde. Dazwischen verlief eine dreireihige Kette aus Silberperlen. Im Zentrum der untersten Reihe hing ein rotes Juwel, das von einer Drachenklaue gegriffen wurde. An einem Gürtel um ihre Hüften baumelte ein goldener Schlüsselbund. Ihr braunes Haar war im Nacken zu einem Zopf geflochten, der sich hinter dem linken Ohr um ihren Kopf legte und einen Rahmen um das ungebändigte, lange Haar auf der Stirn bildete. Unwillkürlich strich sie eine dieser Strähnen hinter das Ohr.

      „Freya!“, erkannte sie. In einer Geste der Ablehnung verschränkte sie die Arme vor der Brust.

      „Frigg“, grüßte Wal-Freya ebenfalls distanziert.

      Verblüfft runzelte Thea die Stirn und wechselte den Blick zwischen den Frauen. Die Stimmung in der Halle war mit einem Mal von einer Spannung geladen, die Thea glauben ließ, die Luft knistern zu hören.

      „Du solltest doch den Wolf suchen. Stattdessen bist du hier und du bringst Lebende mit nach Walhall!“

      „Ach, die sind gar nicht tot?“, erwiderte Wal-Freya trocken.

      Der eiserne Blick der Frau traf die Walküre, die eine wegwerfende Handbewegung machte. „Keine Sorge, wir werden sie nicht hier lassen.“

      Frigg sah zu Thea und nickte leicht mit dem Kopf. „Verzeih! Das geht nicht gegen dich. Doch Walhall ist den Einherjern vorbehalten. Sei dennoch willkommen, und du ebenso.“ Sie sah zu Tom, der verschüchtert nickte.

      „Wo ist Odin?“, fragte Wal-Freya.

      Frigg zuckte leicht mit den Augenbrauen. „Er weilt bei Andhrimnir in der Küche. Odin war es, der am heutigen Tag Sährimnir erlegt hat. Ich denke, er begießt es mit einem Becher Met.“

      Wal-Freya seufzte tief. „Danke.“ Mit dem Zeigefinger über ihre Schulter winkend befahl sie der Gruppe ihr zu folgen und lief voraus. Während sich einer nach dem anderen an Frigg vorbei schob, nickten sie ihr peinlich berührt zu, selbst Tyr. Durch den Durchgang gelangten sie in eine weitere Halle, die mit Ausnahme der beiden erhobenen Stühle ein Abbild der ersten war. Thea legte einen Schritt zu. Nachdem sie nah genug an der Walküre war, sprach sie sie leise an:

      „Was ist das mit Frigg und dir?“

      Unmerklich warf Wal-Freya einen Blick über die Schulter. „Das ist eine längere Geschichte“, erklärte sie in der Gedankensprache.

      „Ich verstehe“, antwortete Thea.

      Sie durchschritten auch diese Halle und gelangten abermals zu einem Abbild der vorherigen Halle. Zehn weitere Male wiederholte sich dieser Vorgang, dann endlich wandelte sich das Bild. Über der Feuerstelle dieser Halle hing ein riesiger Kessel. An diesem stand ein stämmiger Mann. Sein nackter Oberkörper war nur vom Latz der Schürze bedeckt, die über einer groben Hose hinter dem Rücken geschnürt war. Rotblondgekräuseltes Haar quoll unter den Schürzenträgern und dem Latz hervor und überwucherte sogar die dicken Oberarme. Die Haut unter diesen Haaren war hell, das Gesicht des Mannes allerdings war schwarz wie die Nacht. Er war kein gewöhnlicher Koch, denn mit seiner Größe konnte er problemlos über den Kesselrand schauen. Gleich neben dem Riesen stand Odin, der in Gegenwart des Hünen und des überdimensionalen Kochtopfs wie ein Gnom aussah. Dennoch strahlte er so viel Macht und Stärke aus, dass Thea sich scheu hinter

       Wal-Freya versteckte. Ein Lächeln bildete sich in dem Bart des Asen, der ihnen zur Begrüßung das Trinkhorn entgegenstreckte und einen kräftigen Schluck daraus nahm.

      „Hier seid ihr also“, begrüßte er die Gruppe. „Thea! Hüterin Kyndills. Ich hätte nicht gedacht, dich schon so bald wieder zu sehen. Sagt an! Warum kamt ihr nach Asgard?“

      Im Gegensatz zu Frigg schien Odin nicht überrascht von ihrem Erscheinen und sogar überaus erheitert.

      „Woher wusstest du …“, staunte Thea und winkte sogleich ab, denn die Antwort gaben ihr Hugin und Munin, die beiden Raben, die für Odin in die Welt hinaus flogen und ihm täglich Neuigkeiten ins Ohr flüsterten. Krächzend zankten sie sich um ein Stück Fleisch.

      „Es ist doch genug da!“, brummte der Riese, griff mit der Hand in den Topf und warf ihnen ein zweites Stück zu.

      Wal-Freya nahm ohne Umschweife an einem der Tische Platz. Odin gesellte sich zu ihr. Tyr lud Thea und Tom dazu und setzte sich als letztes.

      Der Koch hob einen Holzlöffeln von der Größe eines kleinen Baumes und winkte. „Essen ist aber noch nicht fertig!“

      „Wie schade, Andhrimnir“, erwiderte Tyr. „Dabei hätte ich gerade jetzt Appetit auf Eber.“

      Andhrimnir lachte. „In ein paar Stunden ist es soweit!“

      „So lange werden wir sicher nicht bleiben“, erwiderte Wal-Freya.

      Odin setzte sich und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Hugin und Munin flatterten auf, setzten sich auf die Schultern des Asen und äugten achtsam in die Runde. „Herja! Bring Met! Wir haben Gäste!“

      Er sagte es einfach so in den Raum, aber kaum hatte er seine Worte ausgesprochen, erschien eine Frau und brachte vier Trinkhörner. Tom stand der Mund offen. Gebannt folgte er der Walküre mit den Augen. Thea versuchte eine Ähnlichkeit zu den ihr bekannten Walküren zu finden, doch Herja war ihr noch nicht begegnet. Ihr langes, von mehreren Zöpfen gebändigtes Haar war lang und weiß wie Schnee. Grüne Augen leuchteten aus ihrem jungen Gesicht. Sie trug ungewöhnliche Kampfkleidung, die Thea daran zweifeln ließ, dass es ihre vollständige Rüstung war. Über einer engen ledernen Hose trug sie silberne, mit Knotenmustern verzierte Beinschienen – geschwungen wie die Flügel eines Drachen. Die spitzen Enden reichten ihr bis an die Oberschenkel. Ein breiter schwarzer Gürtel mit silbernen Ornamenten umschloss ihre Hüfte und diente als Halterung für ein Schwert. Hände und Arme der Walküre steckten in langen Lederhandschuhen, ebenfalls von silbernen Armschienen umschlossen. Der Brustharnisch bedeckte nur ihren Oberkörper, betonte aufreizend ihre Brüste und gab den Blick auf ihren nackten Bauch frei. An Drachenschuppen erinnernde Schulterplatten flossen lammellenartig ihren Oberarm herab. Thea schätze die Frau allenfalls auf fünfundzwanzig. Unwillkürlich rutschte sie ein Stück tiefer in ihren Stuhl. Herja brachte nur Getränke, dennoch strahlte die Walküre eine Stärke und Unbändigkeit aus, die Thea vor Ehrfurcht erstarren ließ. Wal-Freya musste es fühlen, denn ihr Blick traf den von Thea.

      „Vor Herja brauchst du dich nicht zu verstecken. Nicht nach alldem, was du für die Asen getan hast.“ Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Schon stand sie auf und erwiderte die Begrüßung der Walküre, die erst alle Trinkhörner abstellte, ehe sie Wal-Freya am Unterarm packte.

      „Ich glaubte dich in Midgard!“, sagte Herja mit offenem Staunen. Sie nahm Thea in den Blick. „Ist das …?“

      „Die Hüterin Kyndills“, sagte Wal-Freya bedeutungsvoll.

      Herja rieb sich beide Hände an der Hose und streckte nun die Hand nach Thea aus. Diese erhob sich und erwiderte die Begrüßung. Herjas Griff war verblüffend fest. Trotz ihrer stolzen Erscheinung wirkte die Walküre mit ihrer schmalen Statur nicht besonders stark.

      „Es ist mir eine Ehre, Thea“, sagte sie.


Скачать книгу