Diener des Feuers. Karin Kehrer

Diener des Feuers - Karin Kehrer


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Zeigefinger versank in der magischen Mitte.

      Er unterdrückte das aufsteigende Triumphgefühl, konzentrierte sich ganz auf die Öffnung, die sich ihm aufgetan hatte.

       Langsam, sei vorsichtig!

      Seine Finger versanken, die Hand folgte. Er hielt sich bewusst zurück, verharrte einen Moment ruhig. Er musste aufpassen, um nicht ganz hineingezogen zu werden in diese unbekannte Dimension.

      Seine Fingerspitzen tasteten vorsichtig nach einem Widerstand, etwas Greifbarem, das ihm vielleicht Auskunft darüber geben konnte, welches Tor sich für ihn geöffnet hatte. Langsam schob er die Hand weiter vor, der Unterarm verschwand in der Öffnung des Labyrinths. Seine Nasenflügel bebten, als er die Luft einsog und Witterung aufnahm. Er wusste nicht, was ihn erwartete, wohin ihn seine Suche geführt hatte.

      Yal hielt inne, schloss die Augen, konzentrierte seine ganze Aufmerksamkeit in die Fingerspitzen. Versuchte, mit ihnen zu sehen.

      Seidig glatt glitt es durch seine Finger. Sein Herz begann wild zu klopfen.

      Seine Hand forschte weiter. Warmer Atem streifte ihn. Zarte Knochen, weiche Haut. Jagender Pulsschlag.

      Wer war das? Ein Mensch? Ein Tier? Oder ein Wesen wie er?

      Eine heiße Welle durchzuckte ihn, als seine Finger eine Brust berührten, die sich unter dünnem Stoff wölbte, warm und fest glitt sie wie von selbst in seine Hand, schmiegte sich an die Handfläche. Die Knospe, die sich aufrichtete, wurde hart. Eine Frau!

      Blitzschnell zog er seine Hand zurück. Fort von dem magischen Labyrinth, dessen Öffnung sich schloss. Die leuchtenden Fäden verblassten, verschwanden ganz.

      Yal starrte schockiert auf die Steine.

      Was hatte er getan?

      Waren seine Gedanken nicht um die Suche nach dem Stein des Mittelpunkts gekreist? Hatte er etwas Anderes gesucht – hatte die Sehnsucht nach seiner Seelengefährtin ihn auf einen Irrweg geführt?

      Wie schäbig von ihm!

      Die Macht, die ihm von den Abbildern der Elementsteine und dem Zeichen, das er trug, gegeben worden war, durfte nicht dazu missbraucht werden, seine persönlichen Wünsche zu befriedigen.

      Mit einem unmutigen Laut fegte er die Steine vom Tisch. Wie sollte er den fehlenden Stein finden können, wenn er nur an sich selbst dachte!

      Aber dieses Gefühl, als er die Unbekannte berührt hatte! Unvergesslich!

      Yal seufzte tief. Es wurde Zeit, sich ein wenig von seiner Aufgabe abzulenken.

      König Edryc würde bestimmt erfreut sein, ihn zu sehen. Die Aussicht auf eine üppige Mahlzeit, die ihm der Herr von Halfyd-Arn gönnen würde, ließ Yals Magen laut und vernehmlich knurren. Der Vergesslichkeit Irkos hatte er es zu verdanken, dass er viel zu selten ausreichend zu essen bekam. Also warum nicht die Großzügigkeit des Königs von Findward ausnutzen?

      *****

      Catherine wälzte sich unruhig hin und her, halb wachend, halb schlafend. Die Tablette hatte diesmal nicht die gewünschte Wirkung erzielt. Sie würde wohl die Dosis erhöhen müssen. Ihre Sinne waren aufs äußerste angespannt, nahmen jedes Geräusch wahr, obwohl sie die Augen geschlossen hatte und glaubte, zu schlafen. Dann und wann glitt sie in eine dunkle, kalte Leere, doch bevor sie sich endgültig fallen lassen konnte, schreckte sie jedes Mal zurück. Sie wollte nicht wieder in dieses schreckliche Loch stürzen, in diese bodenlose Tiefe, nicht mehr in der Umklammerung des eisigen Schreckens sein.

      Ihr Puls schlug rasend, ihr Herz hämmerte schmerzhaft gegen die Rippen.

      Unter ihren geschlossenen Lidern tauchten plötzlich farbige Punkte auf. Sie kreisten in der Dunkelheit, hell leuchtend, bildeten ein Muster. Zuerst vier Fixpunkte, dann ein Kreuz. Eine unsichtbare Hand zog langsam Linien zwischen den Punkten. Ein Labyrinth entstand, genauso, wie der Tätowierer es ihr gezeigt hatte.

      War sie wach oder träumte sie?

      Ein Prickeln jagte durch ihren Körper, wie von feinen Nadelstichen.

      Ein unsichtbarer Finger fuhr über ihr Gesicht, hinterließ einen Hauch von Wärme. Es war angenehm, verursachte leichte Schauder auf ihrer Haut.

      Plötzlich eine Berührung auf ihrem Haar – nur ein zarter Hauch. Sie lag still, lauschte in die schwere Dunkelheit. Nahm die Ahnung von etwas Fremdem wahr. Die Nähe eines anderen Wesens.

      Schweiß drang aus sämtlichen Poren ihrer Haut. Heiß! Es war plötzlich so heiß!

      Aber sie vermochte sich nicht zu rühren.

      Etwas legte sich auf ihr Gesicht. Eine Hand. Catherine wollte schreien, konnte den Mund nicht öffnen. Auch die Augen nicht. Ihre Lider waren bleischwer.

      Die Hand schwebte noch immer über ihrem Gesicht, tastete es vorsichtig ab. Das panische Gefühl verschwand, verebbte in leisen Wellen.

      Catherine nahm einen eigenartigen Geruch wahr – er erzeugte einen Eindruck von sonnenüberfluteten Waldlichtungen, exotisch duftenden Blumen und rauchendem Holzfeuer. Sie entspannte sich, atmete ruhig ein und aus.

      Die Hand verließ ihr Gesicht, fuhr über ihren Hals, legte sich auf die linke Brust, umfasste sie kurz, schmiegte sich an die Rundung, für den Bruchteil einer Sekunde. Zuckte zurück und war verschwunden.

      Catherine keuchte erschrocken, riss die Augen auf.

      Nichts – alles still. Kein Laut, keine Bewegung.

      In einem plötzlichen Anfall von Panik tastete sie nach dem Schalter für das Nachtlicht und knipste ihn an. Was für ein merkwürdiger Traum! Sie legte die Hand auf die Brust, da, wo sie noch immer das Echo der zarten Berührung auf ihrer Haut spürte. Die Erinnerung an die Nähe eines anderen Wesens war ganz deutlich. Ein Mann? Dieser Duft – wessen Duft? Nicht Pauls Geruch – für einen Moment hatte sie geglaubt, ihn zu spüren, hatte gehofft, er sei zu ihr gekommen, um sie zu trösten. Nein – nicht Paul. Jemand anderer.

      Catherine starrte benommen auf die Bettdecke. Eine Halluzination? Ausgelöst durch ihre verworrenen Gedanken, ihre tiefe Verzweiflung, die Tabletten vielleicht – ein Zusammenspiel, das sie womöglich langsam in den Wahnsinn treiben würde? Der Schritt in die absolute Selbstaufgabe war nicht groß. Sie war schon mehr als einmal nahe daran gewesen ihn zu setzen.

      Plötzlich spürte sie ein leises Ziehen, ein Pochen unter dem linken Schlüsselbein.

      Catherine stand auf und stolperte in das Bad. Sie schob das Nachthemd zurück, trat an den Spiegel, löste vorsichtig den Verband und betrachtete die Tätowierung. Für einen Moment glaubte sie, einen kleinen orange glühenden Funken zu sehen, dort, in der Mitte des Labyrinths.

      Nein – es musste eine Täuschung gewesen sein. Die Haut war noch immer ein wenig gerötet. Alles ganz normal.

      Sie schüttelte verwirrt den Kopf und stieg wieder in das Bett. Müdigkeit kroch von den Füßen aufwärts über die Beine, die Arme, bis in den Kopf. Sie hatte kaum noch die Kraft, die Nachttischlampe auszumachen. Ihre Augen fielen zu und augenblicklich war sie eingeschlafen.

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