Diener des Feuers. Karin Kehrer
beugte sich auf dem Stuhl vor, nahm mit beiden Händen ihren Becher mit Ingwerbier und nippte vorsichtig daran.
Sel Dragmon sah die zierliche Erdmagierin nachdenklich an. Er hatte gewusst, dass sie ihn aufsuchen würde. So wie die anderen des Weisen Rates, die von Varruks Entschluss überrumpelt worden waren. Auch Lyoris Mellonin, der Wassermagier und Iluvis Nardal, der Lichtmagier, hatten ihn schon mit ihrem Besuch beglückt. Der Unterschied war nur, dass er sich über Syluvas Erscheinen ehrlich freute.
Der alte Magier zuckte mit den Schultern. Er würde ihr das sagen, was er auch den anderen gesagt hatte.
„Er war mein Schüler, ja. Ein Findelkind, wie ich dir schon erzählt habe. Es war schwierig, ein Element für ihn zu bestimmen, was äußerst ungewöhnlich ist. Er hatte gute Anlagen für die Erdmagie, aber auch geringe Anteile des Wassers. Letztendlich hat aber das Feuer überwogen. Das war auch der Grund, warum ich ihn zu Varruk Erasant geben musste.“
„Ja, ich erinnere mich. Du hast mir davon berichtet. Das kommt selten vor, meist dann, wenn die Eltern verschiedenen Elementen angehören. Du hast nie etwas über sie herausgefunden, nicht wahr?“
Der alte Erdmagier schüttelte den Kopf. „Er war noch viel zu klein, um sich zu erinnern, um etwas von ihnen in seinen Gedanken bewahren zu können. Yal Rasmon wird wahrscheinlich für immer ein Rätsel bleiben und ich glaube nicht, dass Varruk ihm guttut.“
Syluva malte mit ihrem Zeigefinger nachdenklich Muster auf die Eichenholzplatte des Tisches. Das gedämpfte Licht der Leuchtkäfer, das die Lampen in Dragmons Behausung spendete, verstärkte den Eindruck von Besorgnis auf ihrer Miene noch.
„Es ist Wahnsinn, nicht wahr? Du denkst das doch auch?“
„Was meinst du?“ Sel Dragmon strich mit den Fingerspitzen vorsichtig über ihren Handrücken. Er hatte einmal von einer Verbindung zwischen Syluva und ihm geträumt, aber am Ende waren seine Wünsche von ihrer beider Drang nach Unabhängigkeit zunichte gemacht worden.
„Diese verrückte Idee Varruks, das verlorene Myn Fantrix zu finden und Unsterblichkeit zu erlangen. Es ist uns niemals bestimmt gewesen, diese Welt zu erreichen, oder? Wir sollten etwas dagegen unternehmen.“
Sel Dragmon seufzte. „Was glaubst du, sollten wir tun? Niemand wagt es, sich gegen ihn zu stellen. Die meisten interessieren sich nur für ihre eigenen Belange, sie lassen Varruk schalten und walten, wie es ihm beliebt. Für sie ist nur wichtig, dass er mit etwas beschäftigt ist und sie nicht stört.“
„Ja, natürlich. Bis jetzt hat auch niemand ernsthaft damit gerechnet, dass seine Fantasien Wirklichkeit werden könnten. Aber so wie es aussieht, haben wir uns wohl getäuscht. Die Abbilder der Elementsteine existieren tatsächlich, sind kein Mythos, denn Madryl hat sie gefunden. Kannst du dir vorstellen, was ein Wesen wie Varruk vermag, wenn es unsterblich ist? Das wäre unser aller Untergang.“ Sie schwieg, überwältigt von dieser Vorstellung.
„Ich hatte ja auch gedacht, mit Madryls Tod wäre das alles vorbei“, murmelte der Erdmagier.
„Das ist auch so etwas. Wer könnte ihn getötet haben? Wer hätte einen Grund dazu?“
Sel Dragmon starrte in die flackernden Flammen des Kaminfeuers. „Nun, zuallererst einmal Varruk selbst. Er sah vielleicht in Madryl einen Widersacher, nicht einen Mitstreiter. Aber Varruk hat sich noch nie die Finger selbst schmutzig gemacht. Er müsste einen Handlanger gehabt haben. Dann natürlich die Erdmagier. Es könnte uns zur Last gelegt werden.“
Syluva keuchte überrascht. „Aber …“
„Nein, natürlich würde es uns niemand offen ins Gesicht sagen. Und es war gewiss ein Feuermagier, daran besteht kein Zweifel.“
„Wie kannst du so sicher sein?“
„Ich war dort.“
Syluva riss Mund und Augen auf. „Du – du warst dort?“
Der alte Magier nickte. Ein Schatten legte sich auf seine Züge. „Ja. Ich habe den Kampf gesehen. Oder das, was ich von ihm erahnen konnte. Ich war nicht nahe genug, um Einzelheiten auszumachen. Und es hätte mich auch nicht danach verlangt. Es war – beängstigend.“
„Wie kamst du dazu? Wie wusstest du …?“
Sel Dragmon lächelte müde. „Die Geisel der magischen Wesen. Visionen haben mich gequält. Ich hatte keine Ruhe mehr, wusste, dass etwas Schreckliches geschehen würde. Es ging auch um Yal. Ich hatte Angst um ihn.“
Die Frau stieß den Atem aus und schüttelte den Kopf. „Ein Feuermagier also.“
Sel Dragmon schloss die Augen. Wie oft hatte er schon darüber nachgedacht und war nie zu einer Lösung gekommen.
„Es gibt nicht viele, die es mit Madryl aufnehmen konnten“, sinnierte Syluva weiter.
„Das stimmt. Aber ich würde gerne das Thema wechseln, wenn du erlaubst. Es ist zu bedrückend.“
Er hatte Madryls Leiche gesehen, nachdem alles vorbei gewesen war. Erinnerte sich genau an den grässlichen Anblick, an den Gestank. Und er hatte den Stein gesehen. Das Abbild von Myn Fantrix. Er lag neben Madryls verbranntem Kopf, einfach so. Er musste aus dem Beutel gefallen sein und der Mörder hatte ihn übersehen. Sel Dragmon hatte ihn verschwinden lassen, ihn fortgeschickt, irgendwohin. Eine reine Instinkthandlung, denn ihm war nicht bewusst gewesen, um welch besonderes Kleinod es sich handelte. Erst die Ratsversammlung hatte ihm die Augen geöffnet. In seiner Panik, der Mörder könne den Verlust bemerken, zurückkommen und ihn bei Madryls Leiche finden, hatte er nicht darauf geachtet, wohin er den Stein gesandt hatte. Aber Yal würde ihn natürlich finden. Wahrscheinlich bald.
Syluva seufzte leise und holte ihn damit zurück in das Jetzt.
Sel Dragmon stöhnte. Wenn Varruk herausfand, was er getan hatte, war sein Leben verwirkt.
„Sel? Ist alles in Ordnung mit dir?“ Die Erdmagierin starrte ihn ängstlich an.
Er schüttelte den Kopf. „Ich wollte das nicht. Ich wollte nicht die Last meiner Gedanken mit dir teilen, verzeih mir. Es ist besser, wenn du jetzt gehst.“
Syluva Karamon nickte müde. „Ja, wahrscheinlich. Es – es tut mir leid. Ich wünschte …“ Sie verstummte.
Er geleitete sie zum Ausgang. Sie reichte ihm die Hand und sah ihn seine Augen. „Pass gut auf dich auf, Sel. Mir gefällt das alles nicht.“
Sie wusste so gut wie er, dass Varruk überall seine Feuervögel aussandte, um die Magier zu bespitzeln und sich von ihrer wahren Gesinnung zu überzeugen.
Syluva wandte sich ab und stieg den Berg hinunter. Sel Dragmon blickte ihr nach, bis sie um eine Wegbiegung verschwand. Er atmete tief durch. Nichts deutete darauf hin, dass Gefahr drohte. Zu seinen Füßen lag das Hügelland von Findward und in der Ferne konnte er das Meer schimmern sehen. Er hatte sich im Gebirge von Kend niedergelassen, das die Grenze zwischen der gleichnamigen Provinz und dem Teil Findwards bildete, welcher Halfyd genannt wurde. Die dritte Provinz hieß Fallnon und war zum größten Teil von Wald bedeckt.
Sel Dragmon liebte die schroffen Bergketten von Kend, ihre aromatische Vegetation. Und er war mit den Zwergen befreundet, die hier ihre Bergwerke betrieben.
Ein leises Geräusch ließ ihn zusammenzucken. Auf die Zwergkiefer neben seiner Haustür hüpfte ein leuchtend roter Vogel, flatterte hoch, stieß pfeilschnell in den Himmel, wie ein feuriges Geschoss.
Ein heißes Prickeln schoss durch Sel Dragmons Herz. Er drehte sich um, eilte in sein Haus. Rasch löschte er die Lampen, warf einen argwöhnischen Blick auf das Kaminfeuer. Brannte es heller als sonst?
Nein. Er musste sich getäuscht haben.
Er brauchte Erde, um das Kaminfeuer zu ersticken. Zusammen mit einem Abwehrspruch würde es Varruk daran hindern, das feurige Element auf Sel Dragmon zu hetzen.
Wieviel hatte der Feuermagier von seiner Unterredung mit Syluva gehört? Hatte er seine Gedanken aufgefangen? Auf jeden Fall musste er verschwinden, sich irgendwo verstecken. Es würde höchstens ein,