Paradoxe Gerechtigkeit. Stefanie Hauck

Paradoxe Gerechtigkeit - Stefanie Hauck


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ein einziges Ärgernis. Und als ob dieser Lebenswandel nicht schon genug seinen Unmut geweckt hätte, musste Jeremiah obendrein noch seinen und Thomas’ Vornamen auf so lächerliche Weise verunstalten, indem er ihn immer mit Tom ansprach und sich selbst mit Jerry anreden ließ. Wenn ihre Eltern gewollt hätten, dass man ihn mit Tom ansprach, hätten sie ihn bestimmt nicht Thomas genannt. Sein Name war Thomas, und er hasste Abkürzungen und Kosenamen. Deshalb hatte er seinen Kindern Namen gegeben, die nicht irgendwelche Dummköpfe verunstalten und unnötig verkürzen konnten. Und außerdem Namen, die eine sinnvolle Bedeutung hatten. Justin stammte aus dem Lateinischen und hieß übersetzt: Der Gerechte. Das war doch wirklich ein passender Name für einen Juristen. Sophie war griechischen Ursprungs und bedeutete: Die Weisheit. Böse Zungen behaupteten, dass Thomas seiner Tochter diesen Namen extra gegeben hatte, weil er an der weiblichen Intelligenz zweifelte und, hoffte dass diese Namensgebung einen positiven Einfluss auf ihre geistige Entwicklung haben könnte. Allerdings hatte Thomas nicht das Gefühl, dass dieser Wunsch bei seiner Tochter in Erfüllung gegangen war. Er dachte zwar nicht, dass seine Tochter dumm sei, aber er hielt sie für kindisch und unweise.

      Vielleicht wird sich das noch geben, hoffte er, sie ist ja erst siebzehn, und Mädchen sind sowieso schwieriger als Jungen. Solche Probleme habe ich mit Justin nie gehabt. Schon früh konnten wir uns über juristische Fragen unterhalten. Ich bin wirklich sehr, sehr stolz auf meinen Sohn. Ein echter McNamara. Der Apfel fällt eben nicht weit vom Stamm.

      Aber diesmal wurde es gar nicht so schlimm für Thomas auf dem Empfang. Relativ schnell stellte der Bürgermeister ihn einigen Staats­sekretären und Beratern aus dem engsten Mitarbeiterkreis des Präsidenten vor. Thomas fühlte sich diesen Männern zwar überlegen, aber es erfüllte ihn mit Genugtuung, dass sie ihn bewunderten, und er lachte sich eins ins Fäustchen, dass er noch nicht einmal selbst von seinen Erfolgen erzählen musste, sondern dass der Bürgermeister von ihm in den höchsten Tönen sprach. Eine wunderbare Werbekampagne. Das würde ebenfalls sehr förderlich sein, wenn auch die Sache mit der Überführung der Drogenbarone natürlich wesentlich mehr wog.

       Der Tag wäre perfekt geworden, wenn nicht, kurz bevor Thomas und Philip gehen wollten, die Stimmung hohe Wellen geschlagen und der vertrauliche Ton zu Scherzen und Scharaden Anlass gegeben hätte. Einer aus der Runde hatte Thomas für das kommende Wochenende mit seiner Familie einladen wollen. Er, Peter, habe eine Segelyacht in der Nähe vor Anker liegen. Das wäre doch nett, wenn man sich auch privat ein bisschen näher käme, und die Familie würde es bestimmt genießen. Thomas hatte dankend abgelehnt, weil er ja am Wochenende noch in Venezuela sein würde. Zuerst sagte er nur entschuldigend, er sei verhindert, denn er habe einen wichtigen Termin. Aber der freundliche Gastgeber ließ nicht locker. Er meinte, dass es für einen Richter bestimmt immer sehr viele wichtige Termine geben würde, selbst am Wochenende. Aber Thomas solle sich doch mal einen Ruck geben oder zumindest für einen Tag reinschauen. Oder nur für einen Abend. Es wäre doch schade, wenn der Jurist so ausgelastet wäre, dass er noch nicht einmal am Wochenende ein paar Stunden Zeit erübrigen könnte.

      Thomas hatte sich ob dieses sehr anhänglichen Zeitgenossen zu der Bemerkung hinreißen lassen, dass das leider wirklich nicht ginge, weil er am Wochenende nicht in New York sei.

      “Nun, das wäre allerdings nicht schlimm, wenn Sie nicht in New York wären”, versuchte Peter es noch einmal, “vielleicht wären wir ja auch, ohne es zu wissen, am selben Ort, so dass es kein Problem wäre, sich doch noch zu treffen. Oder vielleicht segele ich ja auch dort vorbei, wo Sie gerade sind?!”

      Langsam reichte es Thomas mit diesem Peter. Der war ja derart penetrant!

      “Hören Sie, können wir den Termin nicht verschieben?!”, versuchte Thomas sich herauszuwinden, “diese Woche ist es leider gar nicht möglich, ich konnte mich schon kaum für diesen Empfang freima­chen.”

      Hoffentlich gibt er jetzt endlich Ruhe, seufzte Thomas im Stillen und verdrehte innerlich die Augen.

      “Nein, leider nicht.”

      “Und warum nicht?”, horchte Thomas leicht verärgert nach, um mit einem schon etwas versöhnlicheren Grinsen anzufügen, “und sagen Sie nicht, es liegt an Ihrem vollen Terminkalender.”

      “Nein”, erwiderte Peter lächelnd, “obwohl in gewisser Weise schon. Ich bin zu diesem Empfang gekommen, weil ich mir dort einen Eindruck von Ihrer Person verschaffen wollte. Bisher sind mir nur Lobeshymnen über Sie und Ihre Fähigkeiten zu Ohren gekommen, und nun wollte ich den Mann, über den man so viel Gutes sagt, wenigstens einmal persönlich treffen und, wenn möglich, mich auch etwas intensiver mit ihm unterhalten, was auf einem Empfang ja schlecht geht. Na ja, ich wollte das hier eigentlich nicht so heraus posaunen, aber wir haben Sie in Washington in den engeren Kreis der Personen aufgenommen, die wir gern für die in Kürze zu besetzende Stelle am Obersten Gerichtshof vorschlagen wollen. Daher wäre mir eine Unterredung über Ihre juristischen und politischen Ansichten sehr willkommen. Und natürlich möchte ich auch die Person, die ich dem Präsidenten vorschlagen will, ein wenig näher kennenlernen. Allerdings steht der Termin, wo ich dem Präsidenten meinen Kandidaten vorschlagen will, schon nächste Woche an. Deshalb wollte ich Sie gerade an diesem Wochenende auf meine Segelyacht einladen. Denn leider hatte ich vorher keine Zeit, mich mit Ihnen persönlich in Verbindung zu setzen.”

      Und zu den anderen Männern in der Runde gewandt, fügte er hinzu: “Ich hoffe, meine Herren, Sie empfinden das nicht als Mauschelei, es geht mir nur darum, mich gut über die Person zu informieren, die mir am Herzen liegt. Denn schließlich bin ich ein Berater des Präsidenten, und wenn ich ihn beraten soll, muss ich auch gut informiert sein.”

      Diese nickten verständnissinnig und waren ganz Peters Meinung. Thomas allerdings verwünschte sich selbst, weil er jetzt in einen Interessenkonflikt geriet. Was sollte er nun machen? Die Reise nach Venezuela absagen und sich mit Peter treffen oder lieber erst seine verhassten Gegner zur Strecke bringen und auf Peters geniales Angebot verzichten? Er entschied sich für die Reise nach Venezuela, weil er der Meinung war, dass ein Erfolg bei der Bekämpfung des organisierten Verbrechens den Präsidenten wesentlich mehr beeindrucken würde, als wenn Peter ihn als seinen Wunsch­kandidaten vorschlug. Schließlich hatte dieser Peter doch gesagt, dass es mehrere Personen gäbe, die zum engeren Kandidatenkreis gehörten. Wer konnte schon dafür garantieren, dass Peters Vorschlag so ins Gewicht fallen würde, dass der Präsident Thomas den anderen Kandidaten vorzog? Aber wenn er, Thomas, einen solchen Erfolg bei der Bekämpfung der Drogenkriminalität erzielen sollte, würde er Peters Sympathie gar nicht mehr benötigen. Wer war dieser Peter schließlich schon? Von dem hatte er noch nie gehört. Wer wusste schon, ob der überhaupt so wichtig war, wie er tat.

      “Peter, ich danke Ihnen für Ihren Einsatz und für Ihre positive Haltung meiner Person gegenüber”, setzte Thomas also an, “wirklich, ich fühle mich außerordentlich geehrt...”

      Und im Stillen dachte er sich: Ich brauche deine Sympathie nicht. Du hast keine Ahnung, was ich in den nächsten Tagen alles auf die Beine stellen werde.

      “... aber so sehr es mich auch schmerzt, ich kann leider wirklich nicht.”

      Es entstand eine Pause. Irgendwie hatte Thomas das Gefühl, dass es mit dieser allgemeinen Erklärung noch nicht getan sei, dass er sich sozusagen dafür rechtfertigen müsste, dass er Peters unglaubliches Angebot ausschlug. Zwar fuchste ihn das sehr, aber er wollte auch keine schlafenden Hunde wecken. Denn er befürchtete, dass die Männer misstrauisch werden würden, und man wusste ja nie, wo sich Mittelsmänner der Mafia befanden. Also fuhr er fort: “Nun, es ist eine persönliche Angelegenheit.”

      “Das muss aber eine sehr wichtige persönliche Angelegenheit sein, dass Sie dafür so eine Chance sausen lassen”, bemerkte einer der Männer aus der Runde.

      “Allerdings”, erwiderte Thomas.

      “Wie wichtig denn?”, wollte ein anderer wissen, um anschließend süffisant grinsend fortzufahren, “oder ist die persönliche Angelegenheit etwa zu delikat?”

      Thomas hätte sein Gegenüber am liebsten ob dieser Aussage geköpft und kochte, denn diese Bemerkung hatte jetzt umso mehr die Neugier der anderen Männer in der Runde geweckt. Logischerweise wollten sie nun konkret wissen, was denn für den


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