Paradoxe Gerechtigkeit. Stefanie Hauck

Paradoxe Gerechtigkeit - Stefanie Hauck


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hatte bestimmt gute Beweggründe für diese Wahnsinnsaktion und hat es gut gemeint. Aber wie heißt es noch so schön: Gut gemeint ist das Gegenteil von gut. Und wenn ich mir überlege, dass dieses Gebot, wo es darum geht, dass man Vater und Mutter ehren soll, einen sehr interessanten Nachsatz hat, kommt mir das fast wie Ironie vor, denn der Nachsatz ist eine Verheißung und lautet: ... dann wirst du lange in dem Land leben, dass ich, der Herr, dein Gott, dir gebe. Oh weh, das sieht im Moment gar nicht danach aus.

      Sophie nahm ihre Bibel zur Hand und schlug eine Lieblingsstelle von ihr auf. Da ging es darum, dass Gott sogar die Beweggründe der Menschen kennt, wenn deren Gewissen sie anklagt, und dass er sie trotzdem nicht verurteilt (Die Bibel, NT, 1. Johannesbrief, Kap. 3, Verse 20 + 21: Doch auch, wenn unser Gewissen uns anklagt und schuldig spricht, dürfen wir darauf vertrauen, dass Gott größer ist als unser Gewissen. Er kennt uns ganz genau. Kann uns also unser Gewissen nicht mehr verurteilen, meine Lieben, dann dürfen wir voller Freude und Zuversicht zu Gott kommen.)

      Wie gut, dass das da steht, dachte Sophie und klappte die Bibel mit einem Seufzer wieder zu. Gott weiß, dass ich eigentlich nichts gegen meinen Paps habe, aber dass er mich ohne Ende annervt. Vielleicht ist sogar Gott von ihm genervt. Aber zumindest ist Gott nicht so ein humorloser Knochen wie mein Vater. Apropos Humor, Cedric hat mir doch ein Buch geschenkt. Mit Cartoons. Der Titel lautet Gott ist... kleine Theologie für Katzen und andere Zeitgenossen. Woher weiß der eigentlich, dass ich vorhabe, Theologie zu studieren?

      Sie stand auf und ging zu ihrem Schreibtisch. Dort lag es. Der Einband sah schon verheißungsvoll aus. Irgendwie lustig. Eine kleine gelbe Katze, die einen Freudensprung machte, war auf dem Deckel zu sehen.

      Ich wollte die ganze Zeit schon da reingucken, dachte sie, aber immer kam was dazwischen. Na, vielleicht heitert es mich jetzt ein bisschen auf.

       Damit legte sie sich auf ihr Bett. Sophie war höchst erstaunt, dass das ganze Buch nur aus Cartoons bestand. Allerdings waren es geniale Cartoons. Besser und vielsagender als so manch eine Predigt.

      Der hier passt gut auf Papas derzeitige Situation, dachte sie. Und dieser hier. Und der auch.

      Sophie lachte sich schief. Die Bilder waren einfach zu gut.

      Du bist schon ein Schatz, Cedric, dachte sie. Ich wünschte, du wärst auch schon mein Schatz. Aber wir wollen mal nichts überstürzen. Ich bin mal gespannt, wie Cedric auf die Sache mit Paps reagiert. Wenn er auf meiner Seite steht, taugt er was. Wenn nicht, kann man ihn vergessen. Ein Mann sollte der Frau, die er liebt, immer den Rücken stärken und sich vor sie stellen. Besonders dann, wenn’s brenzlig wird.

      Sophie war so froh, dass die Cartoons sie aufmunterten. Das hatte sie jetzt dringend gebraucht. Und es waren nicht diese superchristlichen blöden Sprüche in einer Sprache, die man nur verstand, wenn man Historiker war oder eine Leidenschaft für Etymologie hatte. Diese Cartoons hier taten ihr im Moment richtig gut.

      Das baut mich ja total auf, dachte sie. Aber der hier ist der beste... Gott ist nicht der allerletzte Notnagel. Wie oft sagen wir das: Jetzt hilft nur noch beten. Die Katze hat völlig Recht, wenn sie sagt: Warum hast du das nicht als erstes getan? Ja, warum eigentlich nicht?! Ob schon mal jemand auf die Idee gekommen ist, für Papa zu beten? Außer Tante Laetitia bestimmt keiner, und Mama war viel zu fertig. Vielleicht sollte ich mal für Paps beten. Und für Onkel Jeremiah. Ich habe nämlich das komische Gefühl, dass die beiden gemeinsam auf der Flucht sind. Hm, ich werde mir eine CD auflegen, das ist eine gute Einstimmung.

      Sie kramte in ihren CDs und fand schließlich eine, die sie für geeignet hielt.

      “Die ist gut”, murmelte sie vor sich hin, “‘My utmost for His highest’. Ruhige Anbetungslieder. Sehr schöne Texte. Und sehr schöne Musik. Hab ich außerdem schon länger nicht gehört und passt zu der Situation.”

      Sophie schloss ihre Zimmertür zu, um nicht gestört zu werden, legte die CD auf und zündete eine Kerze an.

      Dann kann ich mich besser konzentrieren, wenn ich auf die Kerzenflamme gucke, dachte sie.

      Zuerst saß sie einfach nur so da, während die Musik spielte. Irgendwie kam wieder alles in ihr hoch, was sich an diesem Tag ereignet hatte. Dann aber wurde sie etwas ruhiger. Schließlich stand sie auf, kniete sich in der Mitte ihres Zimmers auf den Boden und breitete die Arme aus. Sophie kniete sich normalerweise nie zum Beten hin, aber heute war es ihr ein Bedürfnis. Sie versprach sich davon nicht eine größere Wirksamkeit ihres Gebets, es war ihr einfach wichtig. Irgendwie. Sie wusste nicht genau, warum. Das mit den ausgebreiteten Händen hatte sie einmal in Cedrics Gemeinde gesehen. Es gefiel ihr gut. Eine schöne Haltung. Nicht so in sich zusammengekauert, sondern wie ein Kind, das in Erwartungshaltung ist.

      Und ich erwarte etwas von dir, Vater im Himmel, dachte sie. Nicht dass du verpflichtet wärst, etwas für uns zu tun, aber du hast uns lieb, und deshalb bin ich sicher, dass du uns helfen möchtest. Keine Ahnung, warum alles so gekommen ist, aber es wird sicher irgendeinen Sinn haben.

      “Vater im Himmel”, begann sie im Stillen, “du hast dieses ganze Chaos heute gesehen. Du weißt auch, dass ich oft Streit mit meinem Paps hatte und dass ich ihn nicht besonders gut leiden kann, weil er so ein Besserwisser ist und immer alles kontrollieren muss. Aber jetzt ist er in echten Schwie­rigkeiten. Deshalb bitte ich dich, dass du ihm hilfst. Und Onkel Jeremiah auch, wenn er bei ihm ist. Und bitte gib, dass die beiden sich vertragen. Ich meine, es wäre doch wunderbar, wenn sich die beiden überhaupt wieder vertragen würden. Vielleicht hast du ja auch alles so kommen lassen, damit sich die beiden wieder vertragen. Und um Paps eine Lehre zu erteilen, dass es so nicht mehr weitergehen kann. Er ist kein schlechter Mensch, aber er ist einfach unerträglich. Und ich finde es nicht okay, dass einer, der sich Christ nennt, so lange mit seinem Bruder in Streit lebt. Das ist nicht in Ordnung. Bitte mach da was dran, Vater im Himmel, weil keiner von uns was dran machen kann. Aber du. Und hilf auch Mama, mit der Situation fertig zu werden. Und auch mir. Ich meine, Papa ist zwar nicht da, aber erträglicher wird es dadurch nicht. Es war einfach fürchterlich... der CIA, die Presse und dann noch Justin. Und ich habe auch ein bisschen Schiss, wenn ich am Montag wieder ins College gehe. Die werden mich bestimmt schief von der Seite angucken. Hoffentlich ist Cedric auf meiner Seite. Vater im Himmel, du weißt, dass ich ganz schön verliebt bin in Cedric. Es wäre genial, wenn es was mit uns geben würde. Aber auch darin möchte ich dir vertrauen, dass du alles gut machen wirst. Amen.”

      Als Sophie geendet hatte, fühlte sie sich wohler.

      Das war eine gute Idee, die ganze Sache vor Gott zu bringen, dachte sie. Jetzt ist er am Zug. Mal sehen, was er daraus macht.

      Teil 1 – Kapitel 10

       Die beiden folgenden Tage verliefen ähnlich. Jerry ging mit dem Kompass in der Hand voraus und bahnte den Weg, Thomas kam hinterher. Mit der Zeit hörten auch die kleinen Streitereien langsam auf. Die beiden waren zwar nicht die besten Freunde geworden, aber sie hatten es satt, ihre Kraft damit zu vergeuden, sich gegenseitig zu beschuldigen und am Zeug zu flicken.

      Eigentlich hatte Jerry sich sehr dafür interessiert, warum Thomas verfolgt wurde und was überhaupt der Grund dafür gewesen war, dass der Bruder sich persönlich in die Höhle des Löwen gewagt hatte, aber im Moment war Jerry zu frustriert, um sich diese Geschichte erzählen zu lassen.

      Es war mühsam, bei diesen klimatischen Verhältnissen durch den Dschun­gel zu wandern und dabei ständig in Angst sein zu müssen, dass man sich zu nah an eine menschliche Siedlung begeben hatte, wodurch ihre Position den Verfolgern bekannt werden konnte. Denn das war ihre einzige Chance, dass sie unerkannt im Urwald vorankamen und irgendwann über die grüne Grenze - im wahrsten Sinne des Wortes grün - nach Guyana gelangten. Und man konnte nur hoffen, dass bis dahin die ganze Suche nach ihnen offiziell abgeblasen worden war oder die Personalien nicht mehr so streng kontrolliert wurden, so dass sie von Georgetown aus einen Flieger in die USA nehmen konnten. Eigentlich waren das zu viele “Glücks­fälle”, fand Jerry. Aber er beschloss, nicht zu viel darüber nachzudenken, damit er nicht völlig den Mut verlor und vor allem, weil er dann noch mehr gefrustet sein würde, als er es ohnehin schon war.

      Schließlich


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