Lichtsturm. Mark Lanvall

Lichtsturm - Mark Lanvall


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hätte verkaufen können. Das war kein billiger Betrüger und kein Spinner. Dieser Kerl war ein Vollprofi. Und das machte ihn so gefährlich.

      Da! Ben erkannte ein kurzes Zucken am Mundwinkel des Mannes. Nur für den Bruchteil einer Sekunde zeigte er ein abschätziges Lächeln. Triumph und Freude über eine erfolgreich aufgetischte Lügengeschichte ließen sich nie vollständig verbergen. Und der Triumph an diesem Abend hätte für den Mann auf der Bühne größer nicht sein können. Im Zuschauerraum saßen Leute, die schon mit dem festen Vorsatz gekommen waren, ihm zu glauben. Und das taten sie nur allzu gerne. Wie Zombies hingen sie an seinen Lippen, aufnahmebereit mit geöffneten Augen und Mündern. Und der Saal war voll!

      Scheiße, das konnte hässlich werden, dachte Ben. Vorsichtig sah er hinüber zu seinem Kumpel Maus, der auf der anderen Seite des Saals ein paar Reihen hinter ihm saß. Sein Blick wurde von einem breiten selbstzufriedenen Lächeln quittiert. Entweder hatte Maus die fanatische Stimmung im Saal noch nicht bemerkt, oder er wollte sie nicht bemerken. Er fläzte respektlos in seinem Klappsessel und verfolgte das Geschehen auf der Bühne mit unverhohlener Verachtung und einer Spur Belustigung. Ben fragte sich, ob er dem eleganten Mann auf der Bühne schon aufgefallen war. Nicht nur wegen seiner legeren Sitzhaltung. Auch sonst war Maus nicht wirklich unauffällig. Ihn als Mix aus Computer-Nerd und Kleinstadt-Rapper zu bezeichnen traf es am besten. Seine viel zu große Jeans hing unter der Basketball-großen Wampe. Dazu trug er ein Bushido-T-Shirt mit Ketchup-Flecken, eine Trainingsjacke und - ausgerechnet heute - eine klischeehaft-große, goldene Kette. Sein Gesicht hätte man für das eines 16-Jährigen halten können, jedenfalls wenn sich Maus gelegentlich rasiert hätte. Nicht einmal die Basecap hatte er abgenommen. Maus lebte das Bild, das er selbst von sich hatte. Hin und wieder war das liebenswert, manchmal aber auch nur peinlich.

      „Und ich bitte Sie eindringlich, verehrte Damen und Herren. Nein, ich flehe Sie an: Machen sie nicht den Fehler, den so viele andere Menschen auf diesem Planeten machen. Schließen Sie nicht Ihre Augen! Sehen Sie das Unvermeidbare, das bald geschehen wird! Erkennen Sie den einzig wahren Weg, der sich Ihnen öffnet!“

      Markus Zöllner - der elegante Mann auf der Bühne - stellte plötzlich jede Bewegung ein und blickte mit weit geöffneten, durchdringenden Augen in die Menge. Erst als Zöllner sich sicher war, dass er die Aufmerksamkeit aller Zombies im Saal hatte, fuhr er fort.

      „Sie werden kommen“, sagte er leise und öffnete dabei betont lässig den Knopf seines Jacketts. „Machen Sie sich bitte nichts vor. Die Zeichen sprechen eine klare Sprache. Sie werden bald kommen. Und dann werden sie wissen wollen, wer auf ihrer Seite steht und wer gegen sie ist.“

      Einige Zuschauer nickten eifrig, andere hielten sich angstvoll die Hand vor den Mund.

      „Sie werden fragen, wem sie vertrauen können und wem nicht. Denken Sie nicht, dass sie das wissen wollen? Ich an ihrer Stelle würde das wissen wollen.“

      Ein paar mehr Zombies nickten. Maus schüttelte grinsend den Kopf. Idiot! Mach nicht alles kaputt. Das hier ist nicht Klingelmännchen. Das hier ist eine Nummer größer. Und gefährlicher.

      Zöllner wurde jetzt lauter. Dazu zeigte er mit seinem ausgestreckten Finger wahllos auf seine Zombies.

      „Aber was ist mit Ihnen? Stehen Sie auf der Seite der Ankömmlinge? Werden Sie Ihnen helfen? Oder wollen Sie lieber zu denen gehören, die von ihnen vernichtet werden? Wie Würmer im Dreck, die dem Bau einer Schnellstraße im Wege sind?“

      Die letzten Worte spie er aus. Auf einer Großleinwand hinter ihm wuchs das Bild eines kohlrabenschwarzen Raumschiffs zu gewaltiger Größe heran. Es wurde unruhig im Stadtteilzentrum. Angst, Unsicherheit, Fragen vermischten sich. Die Zuschauer verlangten nach einer Lösung des Rätsels. Zöllner hatte sie da, wo er sie haben wollte. In den nächsten Minuten würden sie alles tun, was er von ihnen verlangte. Ben wusste, dass es am Ende darauf hinauslief, dass Zöllner ordentlich Geld von ihnen einsacken würde. Es war offensichtlich und es wäre nicht das erste Mal.

      Markus Zöllner war ein begnadeter Lügner, ein Demagoge und in direkter Folge ein steinreicher Mann. Seine Geschichte: Eine außerirdische Zivilisation, die der Ochdoi, plante, schon bald auf der Erde zu landen und dort sesshaft zu werden. Die Menschheit wurde dabei - wohlwollend formuliert - als lästiges Geschmeiß empfunden. Trotzdem gab es Hoffnung, nämlich für die Menschen, die die Ochdoi als nützliche Lakaien anerkannten. Und da kam Zöllner ins Spiel. Denn er war einer von ganz wenigen Kontaktpersonen der Außerirdischen auf der Erde - mit dem Auftrag, die Ankunft vorzubereiten und Verbündete unter den Menschen zu finden. Letztere konnten sich auf ein paradiesisches Leben freuen, denn die Ochdoi würden zum Dank schwere Krankheiten ebenso gründlich ausmerzen wie Gewalt, Umweltprobleme, inkompetente Politiker und nervige Chefs.

      Diese furchtbar abenteuerliche Geschichte würzte Zöllner mit UFO-Videos, Entführungserlebnissen, Tonaufnahmen von außerirdischen Stimmen und vielen anderen fantasiereichen Details. Natürlich wurde er von den Allermeisten trotzdem für einen Spinner gehalten. Andere aber glaubten ihm. Und es wurden immer mehr. 10.000 sollten es alleine schon in Deutschland sein, ein anderer „Kontaktmann“ in den USA brachte es bereits auf 60.000 bestens vernetzte Ochdoi-Fanatiker.

      Maus war vor einem Jahr im Web auf Zöllner gestoßen und hatte seinen Siegeszug seitdem verfolgt. Erst waren es nur ein paar spektakuläre Videos bei YouTube und eine Seite bei Facebook. Dann kamen die ersten Auftritte auf Bühnen und in Talkshows. Schließlich veranstaltete Zöllner Seminare und verkaufte Bücher und DVDs in großen Mengen. Übrigens auch an viele, die sich für schlau und aufgeklärt hielten, aber trotzdem beim Thema „Zöllner“ mitreden wollten.

      Markus Zöllner spielte als skrupelloser Hochstapler in der allerersten Liga. Und damit passte er hervorragend ins Beuteschema von Maus, Ben und Viktoria. Jemand musste ihn bloßstellen, musste den Menschen zeigen, was Zöllner wirklich im Schilde führte. Der Zeitpunkt für „Operation Rosswell“ war gekommen.

      Ben sah zurück zu Maus. Der amüsierte sich noch immer über Zöllners Riesen-Raumschiff. Herschauen, Idiot! Maus sah ihn an. Sein Lächeln wich schlagartig einem ernsthaften und entschlossenen Gesichtsausdruck. Ben nickte ihm langsam zu. Maus verstand und schickte im Rekordtempo eine SMS los: „R&R“ - die Abkürzung für „Rock 'n Roll“. Das war das Startsignal für Viktoria.

      Unglaublich! Es funktionierte von Mal zu Mal besser. Markus Zöllner war zufrieden. Und dabei war ihm völlig egal, ob es an seinem Talent als Redner lag oder daran, dass immer mehr von sich aus bereitwillig diesen Ochdoi-Unsinn schluckten. Dummes Volk! Wohlhabendes Volk! Zöllner hatte keinerlei Skrupel, diese Leute nach Strich und Faden auszunehmen. Er zwang sie ja nicht dazu. Wenn sie zahlten - und sie würden auch an diesem Abend zahlen - dann doch freiwillig. Aus Dummheit, aber freiwillig. Früher hatte er sich immer gefragt, wie so viele Deutsche so naiv sein konnten, auf einen cholerischen Zwerg wie Hitler hereinzufallen - damals vor mehr als 70 Jahren. Und er war sich sicher gewesen, dass so etwas heute in dieser aufgeklärten Zeit nicht mehr passieren konnte. Inzwischen war ihm klar, dass die gleichen Mechanismen immer noch funktionierten und immer funktionieren würden: Unmut, Angst, Zorn und schließlich das Angebot einer einfachen Lösung. Ein passabler Teil der Menschheit war damit zu packen. Er war groß genug, um ihn, Markus Zöllner, zu einem reichen Mann zu machen.

      Und damit begann der beste Teil des Abends.

      „Wenn das so ist, dann kommen Sie! Treten Sie in den Kreis derer, auf die die Ankömmlinge nicht verzichten können und wollen. Heißen Sie die Ochdoi willkommen! Geben Sie ihnen, was sie wollen! Dann werden sie es Ihnen hundertfach vergelten. Helfen Sie Ihnen! Und helfen Sie mir, damit ich ihnen einen angemessenen Empfang bereiten kann. Sie zählen auf mich.“ Eine kurze Pause. „Und ich zähle auf jeden Einzelnen von Ihnen!“

      Tosender Jubel. Zöllner sah, dass ein paar von Ihnen bereits den Geldbeutel gezückt hatten, obwohl er von Spenden noch gar nichts gesagt hatte. Großartig!

      Doch dann schlug die Stimmung plötzlich um. Zöllner blickte in ungläubige, verwirrte Gesichter. Die Arme, die ihm eben noch zugejubelt hatten, sackten nach unten. Und mit ihnen die Geldbeutel.

      Viktoria hatte sich selbst übertroffen. Ein leichtes Flimmern huschte über die Leinwand


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