CFS/CFIDS/ME. Hanspeter Hemgesberg
genauso bekannt wie nach radioaktiven Unfällen und militärischen Aktivitäten. Man beobachtete beispielsweise Fälle von ME/CFS unter den Aufräumtruppen nach der Tschernobyl-Katastrophe („Clean-Up Worker“ – „Aufräumarbeiter“) und ME/CFS ist u.a. unter dem Namen „Genbaku Bura Bura Atomic Bomb Disease“ (Langzeitfolgen der beiden Atombomben-Abwürfe auf Hiroshima und Nagasaki/Japan – auch genannt: „Genbaku-Bura-Bura-Krankheit) historisch zweifelsfrei belegt.
Diese Spekulationen werden untermauert durch die Aussage einer der führenden Forscherinnen, Nancy Klimas von der Universität Miami, nach Klimas sind ca. 80% der Fälle gar nicht richtig diagnostiziert.
Frauen sind häufiger betroffen als Männer, die Heilungsrate liegt bei unter 20%.
Die Situation der Patienten
Genese, Klinik, Diagnostik und Biologische Parameter
ME/CFS beginnt entweder mit einem infektiösen oder infektions-ähnlichen Ereignis meist mit den Symptomen einer Grippe oder setzt schleichend unter oft stufenweiser Verschlechterung des Gesamtbefindens ein. Das klinische Bild ist Schwankungen unterworfen, die Verlaufsformen reichen von einer durchgehenden Bettlägerigkeit bis hin zu wellenförmigen Mustern, in denen auch Beschwerdefreiheit über längere Zeiträume herrschen kann.
In der ärztlichen Praxis werden folgende Symptome und Störungen mit unterschiedlicher Ausprägung beobachtet. Die Symptome sind allerdings bei jedem Patienten unterschiedlich und können sich im Laufe der Erkrankung verändern:
Anhaltende, massivste Erschöpfung (keine bloße Müdigkeit!) länger als 6 Monate durchgehend anhaltend bis hin zur Bettlägerigkeit, typisch verstärkt bis zu 48 Std. nach körperlicher Aktivität,
starke Kopfschmerzen,
massive Konzentrationsstörungen,
massive Einschränkung des Kurzzeitgedächtnisses,
häufige Infekte, die aber nicht richtig ausbrechen, plötzlich aufflackernde Erkältungssymptome, „grippe-artiges“ Gefühl,
Persönlichkeitsveränderungen,
(Nacken-)Verspannungen, Nackensteifigkeit,
epileptiforme Anfälle und Spasmen,
Gereiztheit, starke Nervosität, allgemein emotionale Dysbalance, Überreaktionen, Depressionen infolge sozialer Probleme.
Ausgrenzung, Isoliertheit
Angstzustände, Panikattacken,
Schwindel,
druckempfindliche, vergrößerte oder schmerzhafte Lymphknoten,
starke Überempfindlichkeit gegenüber Lärm, Hitze und Kälte,
multiple Schmerzzustände (Muskeln, Rücken, Gelenke),
Taubheitsgefühle,
Tinnitus,
Sprachprobleme (Wortfindungsstörungen, Buchstaben-verwechseln),
Schwellungsgefühl,
Herzrasen,
Hautausschläge, Juckreiz,
Dysurie, Strangurie oder Inkontinenz,
erhöhte Temperatur, fiebriges Gefühl ohne Temperaturerhöhung, oder auch Untertemperatur,
Halsschmerzen,
Gesichtshitze oder Rötung (Flush),
Unterzuckerungsgefühl,
Sehstörungen,
starke Benommenheit (Brain Fog – „Hirn-Nebel“),
eiskalte Gliedmaßen,
Magen-Darm-Störungen, Übelkeit, Erbrechen, Durchfälle,
massive Nahrungsmittelunverträglichkeiten …
Anamnetisch stehen einige Informationstools zur Verfügung, die praktisch selten oder nie genutzt werden. Durchgesetzt haben sich in Anamnese und Diagnose bei Verdacht auf ME/CFS neben der entsprechenden Ausschlussdiagnostik inkl. Infektionsparameter die sogen. „Kanadischen Kriterien CFS“ modifiziert nach Carruthers BM Myalgic encephalomyelitis – International Consensus Criteria aus 2003 [danach müssen für die Diagnose CFS/CFIDS/ME die Kriterien „Fatigue/ Erschöpfung/Müdigkeit“ + „Zustandsverschlechterung nach Belastung (= Post-Exertionelle Malaise/PEM) definitiv erfüllt sein und dazu mindestens eines der nachfolgenden Störungen: „Schlafstörungen“, „Schmerzen“ sowie ferner zwei oder mehr der nachstehenden Störungen: „neurologische/kognitive Manifestationen“ + „autonome bzw. neuro-endokrine Immun-Manifestitionen“. Zusätzlich muss die Erkrankung für mindestens 6 Monaten bestehen. CFS ist eine Ausschluss-Diagnose. CFS-Symptome können auch bei anderen Erkrankungen auftreten. Häufige komorbide Erkrankungen bei CFS sind: Fibromyalgie, Reizdarm, Hashimoto Thyreoiditis] , die die Vorgängerkriterien von Fukuda und Holmes (s.später) ersetzen.
Der Grad des Aktivitätsniveaus lässt sich anamnetisch am besten durch die sogen. Punkte-Skala von David Bell [Die Bell-Skala definiert den Grad einer Behinderung durch ein chronisches Erschöpfungssyndrom anhand von Kriterien steigender Beeinträchtigung von 100 bis 0 Punkten. Bei 100 Punkten liegen keine Symptome vor, bei 0 Punkten ist der Patient unfähig, selbstständig aus dem Bett aufzustehen] erfassen, die bei den Patienten oft auch als Grundlage für eine tägliche Dokumentation des Verlaufs dient.
In der Analytik besteht die Schwierigkeit oft darin, dass innerhalb der Standard-Diagnostik keine manifesten Abweichungen zu finden sind. Jedoch sichern bei gezielter Fragestellung in der Summe eine ganze Reihe von biologischen Parametern die Diagnose ME/CFS.
Der britische Biochemiker und emeritierte Professor (University of Sunderland) für Chemie Malcom Hooper hat die wesentlichen „CFS-Anomalien“ zusammengefasst:
Immun-System/IS
[Chronische Aktivierung und Dysfunktion des Immunsystems – Hinweise auf persistierende virale Infektionen (Enteroviren, Ebstein-Barr-Virus/EBV, Humanes Herpes Virus 6 und 7/HHV 6-7 – niedrige Zahl an Zytotoxizität der Natürlichen Killerzellen/NK + Anomalien der T-Zellen – erhöhte Zelltod-Rate – Allergien – Anomalien der Gen-Expression im Bereich der Immun-Funktionen]
Gehirn/Zentrales Nervensystem,
[Defizite beim Arbeitsgedächtnis, bei der Konzentration, der Informations-Verarbeitung und den autonomen Funktionen einschließlich neural vermitteltem niedrigen Blutdruck und orthostatischer Intoleranz. – Anomalien: regionale Minder-Durchblutung des Gehirns, (Nachweis durch SPECT), Anomalien in der weißen und grauen Gehirn-Substanz (Nachweis durch MRT), zerebrale Entzündungs-Prozesse, Myelinisierungs-Minderung, Dysfunktionen der Neurotransmitter, (115-116,119) und metabolische Dysfunktionen (Nachweis mittels MRT/PET), sowie Anomalien der Proteine in der Rückenmarksflüssigkeit – Anomalien in der Genexpression im neurologischen Bereich.
Endokrinum (Hormonelles System)
[Beeinträchtigung in der Aktivierung der Hypothalamus-Hypophysen(vorderlappen) Nebennierenrinde-Achse (HPA-Achse), der sogen. „Stress-Aachse“ – Anomalien der Gen-Expression im neuroendokrinen Bereich]
Herz-Kreislauf-System
[Minderdurchblutung, Beeinträchtigung der Gefäßspannung, einschließlich einer abnormalen Reaktion auf Acetylcholin, geringes Blutvolumen, Vaskulitis, d.h. entzündliche Erkrankungen der Blutgefäße, wozu auch erhöhter oxidativer Stress, Entzündungen und arterieller Gefäßsteifigkeit; sowie Funktionsstörungen des Herzens]
Muskuläre ‚Störungen‘
[Strukturelle und biochemische Anomalien, einschließlich einer gestörten Erholung der Muskeln nach körperlicher Belastung, wobei die Gen-Expression in der Reaktion auf Belastung abnormal ist und es zu einer Zustandsverschlechterung nach Belastung kommt]
Gastro-Intestinale Störungen