Die Hoffnung aus der Vergangenheit. Sabine von der Wellen

Die Hoffnung aus der Vergangenheit - Sabine von der Wellen


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meiner Großmutter erfuhr ich dann von meinem Vater und dass er in Osnabrück lebt und dort eine Familie mit drei Kindern hat. Und ich erfuhr außerdem von ihr von einem weiteren Kind meines Vaters, das sogar älter ist als ich.

      Dass ich so viele Geschwister habe, konnte ich erst nicht fassen und in mir setzte sich der Wunsch fest, sie kennenzulernen.

      Aber ich erfuhr bei ihr noch mehr. Vielleicht löste das auch alles Nachfolgende aus und ließ diese Träume von dem blonden Mädchen in mir hochpeitschen. Von alten Aufzeichnungen, die ich bei meiner Großmutter auf dem Dachboden fand, als ich ihr half, ihn zu entrümpeln, erfuhr ich von meinem Urgroßvater, dem Alchemisten Kurt Gräbler, der gleichzeitig auch mein Ururgroßvater war. Sie bat mich, die Kiste mit seinen Heften zu entsorgen und ich beschloss sie zu behalten … und fand in ihnen ein Stück unglaublicher Familiengeschichte.

      Ich las diese drei handgeschriebenen Hefte heimlich und nur nachts, wenn ich nicht Gefahr lief, von meiner Mutter dabei entdeckt zu werden. Zu dem Zeitpunkt bekam ich schon mein eigenes Hotelzimmer, wenn wir irgendwo einkehrten. Das half mir in die Hefte einzutauchen und auch, meine daraus resultierenden Erkenntnisse zu verkraften. So las ich zu Beispiel als Einführung in das erste Heft eine Widmung, die an meine Großmutter gerichtet war: „Liebste Tochter! Wenn du diese Bücher liest wirst du erkennen, welch wichtiger Weg mich durchs Leben führte und warum alles geschah, wie es geschah. Ich bin einem Geheimnis ganz nah und hoffe, dass der Wunsch nach ewigem Leben sich für mich bewahrheiten wird. In meinem unterirdischen Labor in meinem Garten halte ich hoffentlich die Macht über Leben und Tod in den Händen. Ich hoffe es zumindest für dich und mich. Denn mit meiner Entdeckung rette ich unser beider Leben.“

      Er schrieb diese Widmung für meine Großmutter, die seine zweite Tochter ist. Außerdem offenbarten mir diese Hefte eine Geschichte, die schon lange tief in mir verankert zu sein schien, wie ich feststellen musste.

      So fand ich geschrieben: „Meine Mutter brachte mich am 13.3.1904 zur Welt. Heinrich, dein Onkel, war da erst ein Jahr alt. 1907 folgte deine Tante Marie, 1909 dein Onkel Hans und 1910 deine Tante Josefine. Wir wohnten auf einem kleinen Hof in der Nähe von Bersenbrück, der uns durch die fleißigen Hände meiner Eltern und Großeltern alles bot, was man zum Leben braucht. Darüber hinaus verkauften wir jedes Jahr ein Schwein, die Eier unseren Hennen und die Milch von zwei Kühen. Außerdem gehörte uns ein Pferd, das nicht mehr das Jüngste war, aber durchaus willig. Zu der Zeit zählten wir zu den wohlhabenden Bauern. Heinrich und ich suchten in den umliegenden Wäldern Holz für den Winter, ernteten im Herbst mit deiner Oma Beeren und suchten Pilze. Im Frühjahr und den ganzen Sommer hindurch halfen wir unserem Vater und Großvater bei der Feldarbeit. Meine Kindheit war schön und unbeschwert, bis Ende 1914 Großvater uns die Nachricht aus der Stadt mitbrachte, dass Krieg war. Alles lechzte in einem schaurigen Freudentaumel danach, in die Welt hinauszuziehen und sich diesem Krieg anzuschließen.

       Krieg! Was sollte das überhaupt sein? Ich war zehn Jahre alt und konnte mir nichts darunter vorstellen.

       Einige Wochen später schloss sich mein Vater diesem „Krieg“ an und er sprach mit belegter Stimme von Ruhm und Ehre für das Vaterland. Meine Großmutter und meine Mutter weinten und wir saßen verschreckt wie Hühner in unserem Schrankbett.

       Wir mussten im folgenden Frühjahr mit den Großeltern und meiner Mutter allein den Acker bestellen. Von Vater hörten wir nur etwas durch die wenigen Briefe, die uns verschmutzt und zum Teil unleserlich erreichten. Darin schrieb er vom Grauen des Krieges, von Tod und Verderben und von Verwundungen und Schmerzen. Erst starb Großmutter und dann folgte ihr der Großvater, der den Tod seiner geliebten Frau und die Angst um seine Söhne, die im Krieg kämpften, nicht länger ertragen konnte. Am Gemeindehaus lasen wir die wöchentlichen Gefallenenlisten durch, die uns Kinder magisch anzogen. Ich nahm immer, wenn wir wieder daheim waren, Mutter in die Arme und flüsterte ihr zu, dass alles in Ordnung ist. Es schien fast, als brächte ich als einziger diese Zettel mit Todesnachrichten und unseren Vater im Krieg in Zusammenhang. Ich wusste, solange er nicht darauf stand, musste er am Leben sein.

       Man holte uns unsere Schweine und die Kühe weg. Unser Pferd ließen sie uns, da es zu alt war. Die Hühner versteckten wir in einem Kellerloch.

       Im November 1918 wurde ein Waffenstillstand beschlossen und der Krieg beendet.

       Unser Haus stand noch, doch anderen ging es weitaus schlechter als uns. In den umliegenden Ortschaften Ankum und Alfhausen hatten in den Jahren des Krieges Bomben ganze Straßenzüge zerstört und es waren viele Menschen gestorben, auch Freunde und Verwandte von uns.

       Da der Krieg nun endlich beendet schien, glaubte ich, Vater käme wieder nach Hause. Doch wir warteten noch zwei Jahre, in denen es uns so schlecht ging, dass wir kaum leben oder sterben konnten. Mutter bläute uns ein, wenn Vater zurückkommt, wird alles wieder besser werden. Doch als er kam, war er nur noch ein Schatten seiner selbst. Wir erkannten ihn kaum, als er eines Tages vor unserer Tür stand. Er war dem Tod näher als wir. Ich begann mehr denn je den Krieg zu hassen und den Tod zu fürchten. Das Einzige, was mich in der folgenden Zeit aufrecht hielt, war ein junges Mädchen mit dem schönen Namen Sonja. Wir lernten uns in dem kleinen Laden unseres Ortes kennen. Ihrem Vater gehörte der Kramerladen, in dem es zu der Zeit immer weniger Waren gab. Ich war dorthin geeilt, um nach etwas Medizin für unseren Vater zu fragen, der schrecklichen Husten und hohes Fieber hatte. Doch der Kramer wollte mir nichts geben, da ich nicht bezahlen konnte. Es war Sonja, die mich hinter dem Haus abfing und mir ein Säckchen Tee und ein kleines Glas mit weißem Pulver in die Hand drückte. Sie kam mir vor wie ein Engel.

       Die Medizin half und noch mehr half Frau Ton, die täglich mit Sonja bei uns vorbeischaute und meinem Vater Wickel machte und Kräuterpackungen auflegte. Meine Mutter war voller Bewunderung für diese Frau und ich war voller Bewunderung für Sonja.

       Sonja zeigte mir, wie ich Vater selbst Kräuterpackungen machen konnte und ging mit mir in die umliegenden Wälder zum Kräutersammeln. Ich verliebte mich in sie.

       Vater wurde körperlich gesund. Doch geistig blieb er ein Wrack. Manchmal jagte er uns in den Keller und schrie, dass Bombenangriffe bevorstünden. Doch es war vorbei! Der Krieg war vorbei! Doch im Kopf meines Vaters tobte er ununterbrochen weiter.

       Der Kramer starb und ein Onkel von Sonja übernahm den Laden. Er verbat Sonja, sich mit mir zu treffen. Ich war 18 Jahre alt und hin und hergerissen von zwiespältigen Gefühlen. Ich wollte dieses Mädchen heiraten. Doch ihr Onkel war dagegen und suchte ihr einen reichen Bauern, den sie statt meiner ehelichen sollte. Es waren die Reichen, die immer noch reich waren und die Armen, die am Existenzminimum lebten. Besserung war nicht in Sicht. Deutschland steckte in einer tiefen Krise. Ich wollte dem entfliehen. So versuchte ich Sonja klarzumachen, dass wir beide fliehen mussten. Weg von diesem Ort, der unsere ganze Kindheit lang unser Zuhause gewesen war und raus aus diesem Land, das sich ruiniert hatte.

       Doch Sonja wollte nicht gehen. Sie wollte lieber den Bauern heiraten und ein Dasein ohne Liebe, aber dafür in geordneten Verhältnissen führen. Ich hatte ihr weder hier noch in der großen weiten Welt etwas zu bieten.

       Mein Vater war zum Tyrannen geworden und ertrug nicht, dass ich einer anderen Welt nachsann als der, die sein Leben bestimmte. Ich wollte nicht hier zu Hause am Hungertuch nagen und zusehen, wie Sonja diesen Bauern heiratete.

       Als wir erneut heftig aneinandergerieten, packte ich mein weniges Hab und Gut und verschwand eines Nachts.

       Viele Tage marschierte ich durch verwahrloste, vom Krieg gezeichnete Gegenden, sah zerstörte Städte und tausende von Grabstätten, die sich auf ackergroßen Flächen vor den Städten dahinzogen. Ich lebte von der Hand in den Mund und geriet nach langer Zeit zu einem Hafen. Dem Hungerstod schon recht nahe, nahm mich eine Frau zu sich, die die alte Hafenkneipe „Zur Welle“ betrieb. Nach drei Monaten, die ich ihr in der Schankstube aushalf und mit ihr Bett und Tisch teilte, ließ ich mich auf einem alten Kutter anwerben, der mich nach irgendwohin mitnehmen sollte.

       Dort bekam ich eine karge


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