Transkription. Christoph Papke

Transkription - Christoph Papke


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Lammroth eine Zweitwohnung unterhalte und sich die Post dorthin nachsenden lasse, da sein Hausbriefkasten trotz der nun schon länger anhaltenden Abwesenheit einfach nicht überquellt.“

      Hartmann überlegte und schob auf der Nase seine Brille zurecht. „Wenn dieser Lammroth einen Nachsendeantrag gestellt hat, ließe sich der neue Wohnort doch mit Sicherheit über die Post ermitteln.“

      „Leider nein,“ antwortete Pohl, „das Postgeheimnis ist nach

      Artikel 10, Absatz 1 des Grundgesetzes geschützt. Eine Zuwiderhandlung sieht wegen des Verstoßes des Post- und Fernmeldegeheimnisses eine strafrechtliche Verfolgung gemäß Paragraf 206 des Strafgesetzbuches mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren, mindestens aber eine saftige Geldstrafe vor.“

      „Dann ist der Kerl also verschwunden“, fasste Hartmann zusammen, „und niemand weiß wohin.“

      „Richtig“, stimmte der Leiter der Rechtsabteilung zu, „das scheint leider so zu sein.“

      „Hat denn der Kerl keine Verwandten oder Bekannte, die etwas zu seinem Verbleib beitragen können, Freunde, Kumpel, Kollegen, eine Beziehung?“

      „Auch da wurde gründlich, aber ergebnislos nachgeforscht. Allem Anschein nach handelt es sich bei Ihrem Plagiatsautor um einen Einzelgänger, der weder Freunde noch Bekannte oder Familienangehörige hat. Auch keine Beziehung. Tut mir leid.“

      „Und sein beruflicher Werdegang“, begehrte Hartmann weitere Auskünfte, „ließ sich dahingehend etwas herausbekommen?“

      „Wir hatten Kontakt mit dem Weiterbildungsträger, bei dem Gernot Lammroth beschäftigt war oder ist, erhielten aber keine brauchbaren Auskünfte über sein derzeitiges Aufgabengebiet oder frühere Aufträge, außer dass Lammroths dortige Beschäftigung offensichtlich freiberuflicher Natur ist oder war.“

      „Und Lammroths Ausbildungen? Konnten Sie diesbezüglich wenigstens etwas in Erfahrung bringen?“

      „Auch hier muss ich sagen“, antwortete Pohl, „dass strenge rechtliche Regelungen die Herausgabe derartiger Informationen verbieten. Das Bundesdatenschutzgesetz untersagt Arbeitgebern, eingeschlossen Auftraggebern von Weiterbildungsmaßnahmen – wie in Lammroths Fall – strengstens und unter Strafe die Weitergabe personenbezogener Daten.“

      Fridjof Pohl zuckte mit den Schultern und fuhr fort: „Wenn Sie mich fragen, würde ich diesen Herrn vorläufig vergessen und den Fall solange ad acta legen, bis sich tatsächlich eine unseren Konzern betreffende Urheber- oder Lizenzrechtsverletzung offenbart. Dieser Lammroth ist mit hoher Wahrscheinlichkeit einfach abgetaucht, warum auch immer, und will anscheinend nicht mehr auffindbar sein - für uns nicht und für keinen anderen.“

      „Sie meinen also“, bat Hartmann seinen Justiziar um dessen abschließende Einschätzung, „ich sollte diesen Kerl einfach vergessen und nicht mehr nach ihm suchen?“

      „Würde ich raten“, antwortete dieser, „Dazu ist dieser Kerl mitsamt seiner Geschichte doch wirklich zu unbedeutend. Schließlich, glaube ich, haben Sie Wichtigeres und vor allem Besseres zu tun als einem kleinen Plagiatsverbrecher hinterherzulaufen.“

      Da Hartmann offensichtlich keine weiteren Fragen mehr zu stellen beabsichtigte, nutzte Fridjof Pohl sogleich die Gelegenheit, andere wichtige Vorgänge, wie die Vertragsgestaltung zum Übernahmeangebot des Independent-Verlags, anzusprechen. Hartmann schaute auf seine Uhr und zeigte sich einverstanden, da er bis zum nächsten Termin noch Zeit hatte.

      Nein, entschied Hartmann nach dem Weglegen der Bettlektüre noch am Abend desselben Tages, ich werde mir diese Nacht nicht wieder versauen und nicht auf dem Wohnzimmerteppich Spazieren gehen, ich weiß, was zu tun ist. Sein Entschluss stand fest: das Spiel mit Lammroth war doch noch nicht und vor allem lange noch nicht beendet. Die Argumentationskette hatte sich auch nach der Einschaltung Fridjof Pohls - wie sich herausgestellt hatte, eine nutzlose und völlig überflüssige Zeitverschwendung - um keinen Deut geändert. Es blieb dabei: Warum sollte ein Autor erst ein Manuskript entwerfen und einem Verlag anbieten, um sich dann vom Acker zu machen? Und Lammroth hatte zwei Manuskripte im Rohr - erst das Quatschige zur weltweiten Bündelung der Hochliteratur, dann aber vor allem das, was unbestritten Erfolg versprach. Und welcher Autor machte sich die Mühe der langen Anreise zu einem Verleger, um nach einem schließlich doch aussichtsreichen Anbahnungsgespräch die Segel zu streichen und, wo auch immer hin, zu verschwinden? Hartmanns Gedankenkarussell drehte sich schneller und schneller. Hatte er vielleicht selbst zu wenig Interesse an dem zweiten Manuskript signalisiert? Zu wenig, um den wie vom Erdboden Verschluckten von einem lohnenden Zweitkontakt zu überzeugen? Wohl kaum, versuchte sich der Grübler zu beruhigen, jeder Autor, ob Mann oder Frau, würde sich solch eine Chance nicht entgehen lassen. Hartmanns mitternächtliche Überlegungen ließen, während er weiter und weiter nachdachte, schließlich genügenden Platz, um zu erkennen, dass sich seine Gedanken im Kreis bewegten, immer wieder dieselben Fragen, immer wieder dieselben Antworten – und das, seitdem der seltsame Kerl aus Berlin in sein Leben getreten war. Wollte Hartmann der nächtlichen Teppichfolter entgehen, musste er endlich eine definitive Entscheidung treffen. Ein Blick zur anderen Betthälfte zeigte, dass seine Ehefrau eingeschlafen war. Sie hatte sich umgedreht und längst mit schlafwandlerischer Sicherheit das gefunden, was Hartmann so oft vergeblich suchte: entspannte Ruhe. Wollte er an diesem Tag wenigstens ein bisschen davon abbekommen, musste er ihn mit einer konstruktiven Aufarbeitung der Geschehnisse beenden. Folglich griff Hartmann zu einem stets auf seinem Nachttisch liegenden Block, nahm den Bleistift daneben und notierte stichpunktartig erstens, was im Falle Lammroth seltsam erschien, zweitens die möglichen Schlussfolgerungen daraus und drittens, was demnach zu tun war. Anderthalb Stunden später war der Top-Manager fertig und schlief bis zum Weckerklingeln durch.

      Nach dem Mittagessen des nächsten Tages beauftragte Hartmann eine seiner Sekretärinnen, den kessen Anselm Fischer zu rufen.

      „Hätten Sie Lust auf einen kleinen Verdauungsspaziergang?“, fragte der Medienmacher den jungen Trainee. Anselm Fischer fühlte sich geschmeichelt. Wenn der Alte schon fragte, würde jeder aus dem Konzern es als Auszeichnung betrachten, mit ihm eine Runde drehen zu dürfen. Also willigte Fischer bereitwillig ein. Während sie gemächlich losmarschierten, erkundigte sich Hartmann zunächst unverbindlich nach dem aktuellen Stand des Trainee-Programms. Er fragte, was an Ausbildungsinhalten noch anstehe, ob der junge Mann sich immer noch gut in der Firmenzentrale aufgehoben fühle und an welchen Aufgaben er gerade arbeite. Fischer gab höflich Auskunft, obgleich er nicht recht verstand, worauf Hartmanns Fragen eigentlich hinauswollten. Ihm schwante, dass der Vorstandsvorsitzende bestimmt kein Auswertungsgespräch über das bisher im Programm Erlebte führen wollte. Die von Hartmann erbetenen Auskünfte erteilt, ließ der Trainee seiner Neugier freien Lauf und stellte seinerseits die Frage: „Herr Hartmann, Sie als oberster Chef haben doch bestimmt anderes zu tun als mich nach dem Stand meiner Entwicklung zu fragen. Was ist der wirkliche Grund Ihrer Einladung zum Spaziergang?“

      Hartmann lief gemessenen Schrittes weiter. Er atmete tief und bewusst die sauerstoffreiche Luft des Parks ein, den er mit dem jungen Mann durchschritt, und überlegte, ob er im Alter dieses jungen Mannes auch den Mut gehabt hätte, seinem obersten Chef solch eine direkte Frage zu stellen. Schwer zu beantworten, wurde ihm bewusst, sein oberster Chef war zu dieser Zeit sein Vater. Ein paar Schritte weiter, führte er die Kommunikation fort: „Sie erwähnten doch öfter, dass Ihr Freund, dieser Ömer Titec, Inhaber eine Detektei sei.“

      „Ja“, stimmte Fischer zu.

      „Nun ja, ich habe da vielleicht einen kleinen Auftrag für Ihren… Kumpel.“

      „Okay. Worum handelt es sich – wenn ich fragen darf?“

      Hartmann gab sich betont lässig: „Ihr Freund könnte mir einen Autor aufspüren, der menschenscheu ist und sich hin und wieder aus der Öffentlichkeit zurückzieht. Sich verkriecht.“

      „Klingt spannend“, sagte Fischer, „Kennt man den Autor, ist er berühmt?“

      Hartmann blieb kurz stehen. „Würden Sie wollen, dass alle Welt von Ihrer Menschenangst erfährt?“

      „Nee, bestimmt nicht“, antwortete Fischer im Bewusstsein,


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