Transkription. Christoph Papke

Transkription - Christoph Papke


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      „Lieber Herr Pohl“, ersuchte der Konzernleiter seinen Führungsmitarbeiter, „ich habe da einen vielleicht nicht ganz gewöhnlichen Auftrag.“

      Fridjof Pohl hörte seinem Chef konzentriert zu. Hartmann fuhr fort: „Mir ist in meiner Lesestunde zufällig ein ebenso seltsames wie ungewöhnliches Manuskript in die Hände gefallen. Ein, wie soll ich sagen, überdrehter Autor aus Berlin hat mir ein aus mehreren tausend Werken zusammengeklautes Manuskript vorgelegt, das er als eine Art universelle Kompilation, wie man in Fachkreisen sagt, verkaufen möchte. Mir geht es weniger um dieses Manuskript als vielmehr um den Mann, der unerlaubt aus Büchern zitierte und damit in beträchtlichem Umfang Urheberrechte beziehungsweise Verwertungsrechte verletzt hat, die unter anderem auch unsere Verlage betreffen. Ich möchte den Täter persönlich zur Rechenschaft ziehen, kann ihn aber nicht mehr auffinden.“

      Hartmann hatte seinem Justiziar mit Bedacht nicht alles erzählt, erst recht nicht den wahren Grund der Suche nach Lammroth. Das Leben hatte den erfahrenen Medienmacher gelehrt, in bestimmten Situationen lediglich das Notwendigste preiszugeben - nicht nur, wenn es um potenzielle Bestsellermanuskripte ging, sondern auch, wenn Personen in skandalträchtige Vorfälle involviert waren. Wirklich vertrauen, hatte darüber hinaus die jahrelange Berufspraxis ihn lernen lassen, konnte er nur seiner Ehefrau und mit Abstrichen neben seinem langjährigen Weggefährten Dr. Schneider eventuell noch seiner Chefsekretärin Elisabeth von Goeben.

      „Wie kann ich helfen?“, bemühte sich Pohl, eine genauere Anweisung zu erhalten.

      „Nun ja, fürs erste würde es mir reichen, wenn Sie den Mann ausfindig machten und dafür sorgten, mit mir persönlich in Kontakt zu treten. Das ist unseren Mitarbeitern in Berlin nämlich bisher nicht gelungen.“

      „Das dürfte so schwierig nicht sein“, antwortete Fridjof Pohl, „Wo erhalte ich die Kontaktdaten?“

      „Frau von Goeben reicht Ihnen Anschrift, Vita und so weiter her. Der Kerl wohnt in Berlin.“

      Pohl wusste, dass damit der Auftrag ausgelöst war ohne weitere Erläuterungen. Er stand auf, begab sich zur Tür und wollte gerade das Zimmer verlassen, als Hartmann ihn noch einmal ansprach: „Ach ja, mir ist im Lebenslauf des Mannes eine berufliche Ungereimtheit aufgefallen. Angeblich hat er Informationsverarbeitung studiert und soll damit als EDV-Dozent sein Geld verdienen. Mich würde schon interessieren, ob das stimmt und ob der Kerl das schon sein ganzes Leben lang macht.“

      „Kriegen wir raus“, antwortete Pohl mit einem freundlichen Kopfnicken, bevor er in sein Büro zurückkehrte.

      Hartmann fühlte sich nun besser. Wenn er jetzt rasch noch den Brief an Minister Hunscha diktierte, in dem er den Kanzleramtsminister – und damit auch als eigentliche Adressatin die Kanzlerin - darüber informierte, dass die Fernsehredaktion seines Politmagazins gegenwärtig und in absehbarer Zeit keine Sendebeiträge mit DDR-Inhalten plane, im Rahmen des journalistischen Auftrages selbstverständlich aber jederzeit anlassbezogen zu Themen mit gesellschaftspolitischer Bedeutung, auch die Deutsche Demokratische Republik betreffend, zurückkehren werde, wäre er der an ihn gerichteten Ministerbitte nachgekommen, ohne dabei sein dem kritischen Journalismus verpflichtetes Gesicht zu verlieren. Am Abend dieses Arbeitstages, wusste Hartmann, stand dann zwar noch eine Spendengala in Bielefeld auf dem Programm, zu der er und seine Frau eingeladen waren, anschließend würde er aber endlich wieder ohne Teppichläufe und quälende Grübelei in den Schlaf finden.

      So kam es auch - bis ein Albtraum den Medienmacher um 3 Uhr nachts aus dem Schlaf riss. Schweißgebadet erinnerte er sich schemenhaft an eine Gernot Lammroth ähnliche Figur, die knietief im Wasser einer Justizvollzugsanstalt, wahrscheinlich der in Bautzen, vielleicht handelte es sich aber auch um die zentrale Untersuchungshaftanstalt der Stasi in Berlin-Hohenschönhausen, stand, bekleidet mit einer DDR-Armee-Uniform und einer entsicherten Maschinenpistole im Anschlag. An Schlafen war nicht mehr zu denken. Hartmann streifte sich den Morgenmantel über, ging leise in die Küche und trank in einem Zug ein großes Glas Wasser herunter. Dann begab er sich auf Strecke – Teppich! Vor sich hin trottend, malte er sich alle Trauminterpretationen aus, die ihm einfielen. Es waren zu viele, um eine sichere Auswahl zu treffen. Gegen 4 Uhr war er vom Denken und Gehen so erschöpft, dass er in sein Bett fiel und sofort, diesmal traumlos, bis zum Weckruf durchschlief.

      Sicher mit zu wenig Schlaf, dafür aber mit einer gewissen Vorfreude auf die anstehende Vorstandssitzung betrat Hartmann am nächsten Morgen sein Büro. Generell empfand er für diese zum operativen Geschäft gehörenden Besprechungen weder Freud‘ noch Leid, die Routine hatte die Gefühle in vielen Jahren abgeschliffen. Auf der Tagesordnung stand die Beschlussfassung zur Vorlage der Übernahme eines Independent-Verlags, der von sich aus angeboten hatte, in die Verlagsgruppe des Konzerns aufgenommen zu werden. Mit einem Markanteil von 0,3 Prozent im deutschen Buchhandel brachte der angebotene Verlag durchaus attraktive Umsatzzahlen mit, um aussichtsreich eine Integration in Hartmanns Verlagsgruppe zu verhandeln. Was jedoch Hartmanns gute Laune in Wahrheit anbelangte, war es die Vorfreude auf ein Wiedersehen mit seinem jungen Trainee, der zum ersten und wahrscheinlich einzigen Mal als Gast an einer Vorstandssitzung des Hartmann-Konzerns teilnehmen durfte. Und als hätte er den jungen Frechdachs richtig eingeschätzt, stellte dieser irgendwann mitten in der Sitzung eine Frage. Das hatte sich noch niemand getraut, der ohne eingeräumtes Rederecht einer Konzernvorstandssitzung als Gast beiwohnen durfte. So viel Mut musste und wollte mit einer Einladung zum Mittagsessen belohnt werden. In der konzerneigenen Personalkantine debattierten nach Sitzungsschluss zwei an Lebensjahren unterschiedliche Männer über die Vorzüge, ein Schalke 04-Fan oder ein Borussia Dortmund-Anhänger zu sein. Die Kontrahenten sparten dabei nicht mit stichhaltigen Argumenten, gegenseitiger Verhöhnung und mehrfacher Bezeugung, trotz dieser gravierenden Unterschiede einander sympathisch zu finden.

      „Warum sind Sie eigentlich ein so glühender Anhänger der Borussia?“, wollte Hartmann wissen.

      Anselm Fischer lachte. „Weil mein Kumpel Ömer, Sie wissen schon, der Fußballer, mit dem ich bei Tennis Borussia in der A-Junioren-Bundesliga spielte, seinerzeit ein Angebot aus Dortmund für die zweite Mannschaft bekam. Das hätte sein Sprungbrett in die Bundesliga sein können. Aber nach langem hin und her haben sich sein Vater und er dazu entschieden, die Schule in Berlin zu Ende zu bringen und Abi zu machen. Ich glaube, er hat mit seinem Studium auf eine sichere Zukunft setzen wollen.“ Der junge Trainee hielt kurz inne und verfiel ins Grübeln. „Obwohl, in die Bundesliga hätte er es dicke geschafft. Und sich mit einer Detektei selbstständig zu machen, ist heutzutage auch nicht gerade zukunftssicher.“

      Hartmann nickte: „Nun wollen Sie sicher wissen, warum ausgerechnet ich Schalke-Fan bin.“

      Fischer antwortete mit vollem Mund: „Ist schon klar. Sie wohnen gleich um die Ecke von Rheda-Wiedenbrück und jeder weiß, dass dort Schalkes Aufsichtsratsvorsitzender residiert. Und seine Wurstfabrik hat.“ Der junge Mann schaute auf seinen Teller: „Ist das Fleisch hier auch von ihm?“

      Hartmann lächelte. Fischer hatte seinen Bissen heruntergeschluckt und redete weiter: „Die ganze Umgebung hier steht auf Schalke. Ich muss schon froh sein, nicht mit Tomaten oder anderen Sachen beworfen zu werden, wenn ich mich als Dortmund-Fan oute. Außerdem sind Sie bestimmt in den gleichen Communities wie der Fleischgroßhändler aus Wiedenbrück. Geben Sie es zu!“

      Hartmann gab keine Auskunft, freute sich aber, dass es dem jungen Mann wieder einmal gelungen war, das Geschäft für einige Zeit in den Hintergrund rücken zu lassen.

      Es dauerte eine gute Woche, bis Fridjof Pohl wegen des an ihn gerichteten Auftrags seinen obersten Chef wieder aufsuchte. Leider nicht mit befriedigenden Ergebnissen. Gernot Lammroth war nicht aufzuspüren. Verschiedene Mitarbeiter einer mit der Rechtsabteilung kooperierenden Kanzlei in Berlin hätten Lammroths Wohnung mehrmals aufgesucht, den Herrn aber nicht angetroffen. Angestellte Recherchen hätten weder Krankenhausaufenthalte noch Aufenthalte in Haftanstalten oder irgendwelche Reiseabwesenheit zutage gefördert. Befragungen des wohnnahen Umfeldes legten die leise Vermutung nahe, dass der Gesuchte Deutschland verlassen habe, um sich eventuell für längere Zeit irgendwo in Südamerika oder Kanada niederzulassen.

      „Wie kommen Sie darauf?“, hakte Hartmann nach.

      „Das


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