Burnout. Dr. Hanspeter Hemgesberg
man früher sehr treffend als „reizbare Schwäche" bezeichnet.
Das ganze mündet schließlich in einen Endzustand, der durch Resignation, Entmutigung, verringerte Frustrationstoleranz, leichte Kränkbarkeit, Niedergeschlagenheit, schließlich sogar durch Minderwertigkeits- und Versagensgefühle gekennzeichnet ist.
Die Sichtweise der Betroffenen wird schwer nehmend, pessimistisch, ja von Negativismus und/oder Fatalismus geprägt.
Man erkennt diese Menschen angesichts ihres früheren Auftretens kaum wieder.
Psychosoziale Konsequenzen
Das hat Folgen.
Langsam, aber stetig wird das gesamte Leistungsvermögen regelrecht abgebaut:
Die Motivation, die Kreativität, die Gedächtnisleistung, d.h. es behindern immer häufiger Merk- und Konzentrationsstörungen, ja regelrechte Vergesslichkeit. In diese Zeit fallen auch die ersten ernsteren körperlichen Beschwerden ohne nachweisbaren Grund. So kann es nicht ausbleiben, dass sich schließlich auch Partner- oder Eheprobleme, zuletzt auch allgemeine familiäre Schwierigkeiten dazu gesellen.
Jetzt beginnt der Betroffene wie eine Kerze gleichzeitig von beiden Seiten her abzubrennen.
Auch zu Hause gibt es keine Rückzugs- und Erholungsmöglichkeiten mehr. In diese Zeit fällt deshalb nicht selten ein wachsender Alkohol-, Nikotin- und Kaffee-Konsum, möglicherweise sogar ungesteuerte, weil verzweifelte und vor allem nicht ärztlich kontrollierte Selbstbehandlungsversuche mit Beruhigungs-, Schmerz-, Schlaf- und Aufputschmitteln aus fremden und früheren Beständen.
Denn ein Arzt wird selbst in diesem Stadium nur selten hinzugezogen, und wenn, dann – wie erwähnt – unter vorgeschobenen, d.h. im Grunde irrelevanten und damit irreführenden Voraussetzungen bzw. Klagen. Dies betrifft nicht zuletzt „starke Persönlichkeiten", die es als Schwäche empfinden, letztlich „ohne Grund" um Hilfe nachzusuchen bzw. die die möglichen, nur dunkel erahnten Hintergründe von vornherein ablehnen.
„Burnout haben nur Schwächlinge oder Erfolglose“
Berufliche Einbußen
Einige der schwerwiegendsten Konsequenzen aber konzentrieren sich auf den Arbeitsplatz. Natürlich reagiert jeder anders, aber immer wieder zu hören sind folgende Charakteristika:
Desillusionierung, Gefühl von Widerwillen, Ärger, Versagen, ggfls. Entmutigung; Gleichgültigkeit; Schuldgefühle; negative Einstellung mit wachsendem Widerstand, täglich zur Arbeit zu gehen; ständiges Auf-die-Uhr-Sehen im Dienst; Fluchtphantasien und Tagträume; Überziehen von Arbeitspausen, verspäteter Arbeitsbeginn, vorverlegter Arbeitsschluss und wachsende Fehlzeiten; Verlust von positiven Gefühlen gegenüber Patienten, Klienten, Schülern, Kunden usw.; deshalb vermehrte Verschiebung von entsprechenden Kontakten; innerer Widerstand gegen Anrufe und Besuchstermine; heimlich einschleichender Dienst nach Vorschrift; Stereotypisierung von Klienten, Patienten u.a. („ist doch immer das gleiche ..."); Unfähigkeit, sich auf die anderen zu konzentrieren, ihnen geduldig zuzuhören; vermehrt tadelnde, negative, reizbare oder gar aggressive Einstellung den anderen gegenüber; Vermeidung von Diskussionen mit Mitarbeitern und Vorgesetzten; immer öfter mit sich selber beschäftigt; zunehmend unbewegliche, ja starre Denkkategorien; misstrauischer Widerstand gegen jegliche Veränderungen im Betrieb, manchmal fast wahnhaft anmutende Reaktionen; damit wachsende Rückzugsneigung und Isolationsgefahr u.a.
Nach außen äußert sich diese verhängnisvolle „Abwehrstrategie" gegenüber der inzwischen ungeliebten Berufsaufgabe oft darin, dass der Kontakt zu Patienten, Kunden, Schülern usw. immer mehr vom menschlichen Aspekt weggerückt und zum „Fall" degradiert wird, zum „Vorgang", zur „Bearbeitungs-Nummer" usw. Das Subjekt sinkt zum Objekt herab. Damit erlischt die innere Beziehung. Die ursprünglich positiven Gefühle werden ins Negative verkehrt. Es kommt zu einer ungewohnten seelischen Verhärtung und schließlich sogar Verflachung des Gemütslebens (bei aber unveränderter oder wachsender Kränkbarkeit für eigene Belange).
Schließlich der für jeden erkennbare Endzustand: Ironie, Sarkasmus und Zynismus.
Das Ende
Das ist natürlich keine gute Strategie.
Vor allem fällt sie auf den Betroffenen zurück. Jetzt schwindet nämlich auch das Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit, die erworbenen Kenntnisse, die langjährigen Erfahrungen. Minderwertigkeitsgefühle, Unsicherheit, Gleichgültigkeit und depressive Verstimmungen greifen um sich. Die Arbeit liefert ohnehin kein Erfolgsgefühl mehr. Die Verlagerung des Interesses auf die Freizeit („Aufblühen am Wochenende") ist zweischneidig. Das Wochenende dient eigentlich der Erholung und Bereicherung, nicht der Kompensation von „5-6 Werktagen Frust".
Was übrig bleibt, ist eine sonderbare Mischung aus Widerwillen, Resignation, Selbstmitleid, Bitterkeit, Reizbarkeit, Aggressivität, Negativismus, Ressentiments, Misstrauen, Deprimiertheit, Angst, bisweilen sogar Panikbereitschaft. Die Entwertung der anderen schlägt um in die Entwertung der eigenen Person.
Spätestens jetzt erdrücken die schon lange belastenden körperlichen Beschwerden, die nach wie vor durch keinen organischen Befund gestützt werden können (obgleich man vielleicht von einem Facharzt zum anderen gewandert ist, ausgedrückt in dem modernen Begriff „doctor hopping"). Am häufigsten sind es Schlaf-, Appetit- und sexuelle Störungen, Kopfschmerzen – vor allem ein dumpf-diffuser, manchmal helm-, manchmal reifen-artiger Kopfdruck, beim einen mehr im Bereich der Stirn, beim anderen im Hinterhauptsbereich lokalisiert –, ferner Beschwerden von Wirbelsäule und Gelenken, Magen-Darm-Leiden, Herz- und Kreislaufbeschwerden sowie die bereits erwähnte erhöhte Anfälligkeit für Infektions- (vor allem Erkältungs-)Krankheiten. Der Betroffene fehlt immer häufiger am Arbeitsplatz. Aber jetzt nicht mehr aus rein seelischen oder psychosozialen, sondern auch aus organischen oder treffender: psychosomatischen Beschwerden (unverarbeitete seelische Probleme, die sich im körperlichen Bereich äußern und keinen krankhaften Befund ergeben, mit Ausnahme der üblichen "Grenzbefunde", die jeder hat).
Das läutet die letzte Runde dieses Teufelskreises ein, die dann lautet:
abnehmende Arbeitsmoral und damit Qualitätsverlust der eigenen Leistung innere Kündigung seelischer Einbruch mit zahlreichen körperlichen Symptomen ohne nachweisbare Ursache entgleiste Selbstbehandlungsversuche mit Genussmitteln und Medikamenten zusätzliche Partner- und Familienprobleme längerfristige Krankschreibungen wegen unklarem Krankheitsbild Gefahr der Kündigung Verzweiflung mit gesamthaft negativer Einstellung, zumindest aber Unerfülltheit, Hoffnungslosigkeit, Gefühl der Sinnlosigkeit ggfls. sogar Selbsttötungsgedanken existentielle Gefährdung.
Was sollten wir alle daraus lernen?
Wenn man/frau sich den Leidenskatalog betrachtet – zumal die Therapeuten –, dann kann das Gebot der Stunde einzig heißen:
Den Burn-Out-Betroffenen so früh als nur möglich, so umfassend wie erforderlich und dabei so wenig als irgend möglich durch Therapien (auch gut gemeinte/gut geglaubte) noch weiter und mehr belastend zu behandeln und so schnell und nachhaltig als möglich, die „Burn-Out-Spirale“ zu durchbrechen!
Symptome + Fehl-Regulationen
Immer handelt es sich beim Burnout um einen – zumindest im Anfangsstadium der Krankheit – schleichend langsam verlaufenden und vielmals sich versteckenden („maskierten“) Krankheits-Aufschaukel-Prozess.
Das macht es dann auch vielmals nicht leicht, diese heimtückige Krankheit bereits in einem frühen Stadium zu erkennen und somit entsprechend früh gegenregulativ mit dann auch mit ‚geringerem‘ Aufwand und geringer Belastung für den Kranken erfolgreich zu behandeln.
Aber:
Ähnlich einem urplötzlich mit Urgewalt hereinbrechendem Unwetter (mit Blitz & Donner, mit Hagel und Starkregen und auch mit Orkan) kann sich das Burnout-Syndrom aber auch manifestieren; quasi von jetzt auf sofort!
Das ist aber der seltenere Fall.
Leider