Plot & Struktur: Dramaturgie, Szenen, dichteres Erzählen. Stephan Waldscheidt
bei jeder Abweichung im Klaren darüber, dass Statik nicht zuletzt auf Naturgesetzen beruht, an denen Sie nichts ändern können.
Dieser Schreibratgeber setzt voraus, dass Sie die Grundlagen der klassischen Romanstruktur – das Drei-Akte-Schema und seine Meilensteine (Plotpoints, Wendepunkte usw.) – wenigstens einigermaßen kennen. Er beschränkt sich dabei nicht nur auf diese eine von vielen denkbaren Strukturen. In diesem Buch beziehe ich mich vorwiegend auf diese einfache Struktur, weil sich daran das Meiste auch am einfachsten erläutern und veranschaulichen lässt.
Das heißt jedoch nicht, dass nur diese Struktur für Ihren Roman die beste oder die richtige wäre. Es geht nicht darum, ob Sie etwas richtig oder falsch machen – beim Schreiben eines Romans bedeuten solche Etiketten nichts. Wichtig ist allein, ob die von Ihnen gewählte Struktur es Ihnen erlaubt, Ihre Ziele bestmöglich zu erreichen. Dabei unterstützt Sie dieser Ratgeber.
In mehr als siebzig Kapiteln enthüllt dieser Ratgeber Schreibtipps und Tricks, wie Sie Plot und Struktur Ihres Romans optimieren – bei der Planung, beim Schreiben, bei der Überarbeitung. Mir war es wichtig, Ihnen vor allem die Dinge zu verraten und zu erläutern, die Sie nicht schon aus anderen Ratgebern kennen. Insofern bietet dieses Buch auch dann noch viele Wege zur Verbesserung Ihres Romans, wenn Sie bereits einiges zum Thema gelesen haben. Hier finden Sie Informationen, Wissen, Anregungen, die gerade Ihnen als erfahrenem Autor, erfahrener Autorin gezielt und unmittelbar weiterhelfen. Je erfahrener Sie sind, desto mehr werden Sie von diesem Buch profitieren. Daher auch der Reihentitel »Meisterkurs« – dieser Ratgeber zeigt Ihnen, wie Sie zur Meisterschaft beim Schreiben eines Romans gelangen.
Mit rein theoretischen Überlegungen dürfen andere Sie langweilen. Dagegen bietet Ihnen »Plot & Struktur« konkrete, praktische und mit Beispielen aus Literatur und Film anschaulich belegte Tipps. Jeden davon können Sie sofort in Ihrem Roman anwenden. Die einzelnen Kapitel bauen nicht aufeinander auf. Lesen Sie die Kapitel in ihrer Abfolge, nach Themen sortiert oder greifen Sie gezielt auf die Schreibtipps zu, die gerade zum Stand Ihres Romanprojekts passen.
Wer mein Blog schriftzeit.de in den Jahren 2011 bis 2014 verfolgt hat oder meine Artikel auf selfpublisherbibel.de liest, wird einiges wiedererkennen. Dieser Ratgeber bietet dennoch mehr als nur eine willkommene Wiederholung – was für sich schon eine Menge wäre.
Meiner Erfahrung nach entdeckt man bei jedem Romanprojekt andere Aspekte, die man verbessern möchte, stößt auf neue Knackpunkte, die nach Lösungen verlangen. Auch entwickeln Sie sich als Autorin oder Autor permanent weiter, sodass ein Artikel, der Ihnen vor zwei Jahren nur wenig weitergeholfen hat, Ihnen jetzt die perfekte Antwort auf eine aktuelle Frage liefert. So habe auch ich einige Ratgeber, die ich immer wieder konsultiere – jedes Mal mit Gewinn.
Diesen Gewinn für einen besseren Roman wünsche und verspreche ich Ihnen mit diesem Buch.
Stephan Waldscheidt, im April 2016
PS: Weitere Bände vom »Meisterkurs Romane schreiben« sind erhältlich oder in Vorbereitung. Sie sind themenspezifisch und können unabhängig voneinander gelesen werden. Noch mehr zu »Plot & Struktur« finden Sie in meinen anderen Schreibratgebern: schriftzeit.de/rat
Übrigens: Was unterscheidet Geschichte und Plot? Als Unterscheidung sinnvoll erscheint mir folgende einfache Abgrenzung: Eine Geschichte erzählt, was passiert. Der Plot beschreibt, auf welche Weise es erzählt wird.
Lassen Sie’s krachen!
Erzählen & Plotten
Die Grundlagen des Erzählen
Die Drei-Akte-Struktur und warum Sie für Ihren Roman so sinnvoll ist
Der einfachste Weg, einen Roman zu plotten
Warum ein plotgetriebener Roman scheitert – und wie Sie ihn retten
Erfolgreich mit Erzählregeln brechen
Konkrete Ziele im Roman
Warum Sie Ziele und Bedrohungen aussprechen sollten
Wie Entscheidungen des Helden Ihren Roman besser machen
Veränderungen im Roman zeigen, indem Sie sie nicht zeigen
Die Wandlung des Protagonisten zeigen
So planen und plotten Sie Ihren Roman richtig
Noch mehr Tipps zum Plotten
Wie Sie von hinten nach vorn arbeiten
Der Zauber der ersten Seite – und all der Seiten danach
Entscheidungen und Opfer beim Plotten Ihres Romans
Die Grundlagen des Erzählens oder: Wie ich letzten Sommer von einer Ente attackiert wurde
Es gibt zwei Arten von Romanen. Solche, die vor allem eine Geschichte erzählen wollen. Und solche, bei denen die Geschichte Nebensache ist. Letztere nennt man gelegentlich »anspruchsvolle Literatur« – »Literaturbetriebsliteratur« nennt sie mein Agent. Ich nenne sie falsch etikettiert. Ein Roman, der keine Geschichte erzählt, ist keiner. Überlassen wir sie dem Feuilleton und kümmern uns um das, was unsere Leser lieben sollen: um Geschichten und die Charaktere, von denen wir erzählen wollen.
Mit Erschrecken und mit Erstaunen stelle ich bei meinen Romangutachten immer wieder fest, dass viele Autoren gar nicht wissen, was überhaupt eine Geschichte ist. Aber auch erfahrenen Autoren kann es einen kreativen Schub und Schubs verleihen, wenn sie sich dann und wann an das Fundament erinnern, auf das sie ihre Geschichte bauen.
Ein amerikanischer Kollege hat das Wesen einer Geschichte sehr anschaulich erklärt. Als Lehrer hatte er seinen Schülern nach den Ferien die übliche Aufgabe gegeben: »Schreibt auf, was ihr in den Ferien erlebt habt.« Die Ergebnisse waren vorhersehbar langweilige Episoden über Ausschlafen, ins Schwimmbad gehen, zelten. Eines Tages aber kam der Lehrer auf die Idee, die alles veränderte. Er formulierte seine Frage um: »Schreibt auf, was in euren Ferien schiefging!«
Auf einmal inspiriert, produzierten die gelangweilten Fünftklässler Anekdoten, die in der Bandbreite alles aufwiesen, was man von einer guten Geschichte erwartet: Emotionen, Drama, Witz und Leidenschaft, eine Handlung, eine Dramaturgie. Da wurde von Kissenschlachten erzählt, die ein ganzes Zimmer zerlegten, von abbrechenden Ästen und schreienden Stürzen in eiskaltes Wasser. Autoreifen quietschten, Stewardessen schrien und einem dicken Mann platzte mitten im Restaurant die Hose. Die Kinder, die bislang den Geschichten ihrer Mitschüler mit sackenden Augenlidern und zum Gähnen oder Quasseln aufgerissenen Mündern beigewohnt hatten, hörten auf einmal still und gebannt oder auch mal kichernd zu. Aber sie hörten zu.
Muss in einer Geschichte also immer etwas schiefgehen? Nicht unbedingt. Nehmen wir das Beispiel mit dem Sturz in eiskaltes Wasser.
Der neunjährige Niko balanciert auf einem Baumstamm über einen Bach. Am Ufer stehen seine Freunde und schreien und bewerfen ihn mit Matsch, Hauptsache, Niko klatscht ins Wasser und liefert ihnen eine Show. Immer wieder rutscht Niko aus, er wird von Dreckklumpen getroffen, sogar eine um ihre Brut im Ufergras besorgte Entenmutter attackiert ihn. Aber Niko schafft es gegen alle Widrigkeiten trockenen Fußes ans Ende des Baumstamms, ans andere Ufer.
Die Geschichte hat dennoch gleich mehrere Aspekte, die sie zur Geschichte machen.
1. Niko hat ein Ziel. Er will ans andere Ufer. Und wir Leser können das Ziel verstehen und können genau erkennen, ob er es erreicht.
2. Je mehr ihn seine Freunde verspotten, desto stärker wird sein Wunsch. Dadurch wird uns Niko sympathisch: Er kämpft für sein Ziel. Und wir feuern ihn in Gedanken an, identifizieren uns vielleicht sogar mit ihm. In jedem Fall können wir uns in ihn hineinversetzen, sind empathisch.
3. Niko setzt etwas aufs Spiel: Er könnte klatschnass