Die Hauptmannstochter. Alexander Puschkin

Die Hauptmannstochter - Alexander Puschkin


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Leben nichts als Kwass in den Mund zu nehmen die Güte gehabt. Wer aber ist an allem schuld? Der verdammte Musje! So kam er immer zur Antipjewna gelaufen: › Madame, je vous prii Wodka.‹ Da hast du nun dein ganzes › je vous prii‹! Nicht zu sagen: dieser Hundesohn hat dich gut erzogen. Und daß man auch gerade zum Erzieher einen Heiden aussucht! Als wenn der Herr nicht seine eigenen Leute hätte!«

      Eigentlich schämte ich mich, ich wandte mich ab und sagte:

      »Du kannst gehen, Saweljitsch; ich will deinen Tee nicht.«

      Aber es war nichts Geringes, Saweljitsch zum Schweigen zu bringen, wenn er schon einmal zu predigen begonnen hatte.

      »Sieh du mal, Peter Andrejewitsch, ist es denn wirklich so schön das Bummeln. Der Kopf ist schwer und man mag nicht essen. Der Säufer taugt zu nichts ... Trink doch mal Gurkensauce mit Honig, am besten aber wäre es, wenn du durch einen kleinen Kräuterschnaps dich nüchtern machen würdest, willst du nicht?«

      In diesem Moment kam ein Knabe herein und brachte mir ein Billett von I. I. Surin. Ich erbrach es und las folgende Zeilen:

      »Mein teurer Peter Andrejewitsch, bitte schicke mir durch meinen Knaben die hundert Rubel zu, die du gestern an mich verloren hast. Ich benötige das Geld dringend.

      Zu allen Diensten bereit

      Iwan Surin!«

      Da war nichts zu machen. Ich machte ein möglichst gleichgültiges Gesicht, wandte mich an Saweljitsch, der der Verwalter meines Geldes, meiner Wäsche und meiner Geschäfte war und befahl ihm, dem Knaben hundert Rubel zu geben.

      »Wie! warum?« fragte mich der bestürzte Saweljitsch.

      »Ich schulde sie ihm,« entgegnete ich mit aller nur möglichen Kaltblütigkeit.

      »Schulden!« antwortete Saweljitsch, der von Minute zu Minute immer mehr erstaunte: »Ja wie kannst du sie ihm denn schulden? Da ist etwas nicht in Ordnung. Es ist dein Wille, Herr, aber das Geld gebe ich nicht heraus.«

      Ich bedachte, daß, wenn ich in dieser entscheidenden Minute den alten Starrkopf nicht unterbekäme, es mir in Zukunft äußerst schwierig sein würde, mich von seiner Vormundschaft zu befreien und darum sah ich ihn hochmütig an und sagte:

      »Ich bin der Herr und du bist mein Diener. Das Geld gehört mir. Ich habe es verspielt, weil es mir so gefiel; dir aber kann ich nur raten, hier nicht den Klugen zu spielen, sondern auszuführen, was man dir befiehlt.«

      Saweljitsch war von meinen Worten so überrascht, daß er ganz starr dastand und nur die Hände zusammenschlug.

      »Worauf wartest du denn noch?« schrie ich wütend.

      »Väterchen Peter Andrejewitsch,« sprach er mit zitternder Stimme: »quäle mich nicht so und mach mich nicht traurig. Ach du mein Licht, hör doch auf mich den Alten: schreibe diesem Räuber, daß du nur gescherzt hättest und daß wir gar nicht soviel Geld hätten. Hundert Rubel! Barmherziger Gott! Sage, daß deine Eltern dir aufs strengste verboten hätten um anderes zu spielen als um Nüsse ...«

      »Schwätz keine Dummheiten,« unterbrach ich ihn streng, »her mit dem Gelde oder ich schmeiß dich hinaus.«

      Saweljitsch sah mich tieftraurig an und dann holte er, was ich schuldig war. Der arme Alte tat mir eigentlich leid; ich aber wollte meine Freiheit und außerdem ihm beweisen, daß ich kein Kind sei. Das Geld wurde Surin zugestellt. Saweljitsch hatte jedoch Eile, mich aus dem verwünschten Gasthaus zu bringen. Er erschien mit der Nachricht, daß die Pferde bereit seien. Mit unruhigem Gewissen und stummer Reue verließ ich Simbirsk, nahm von meinem Lehrer keinen Abschied, da ich nicht glaubte, ihn jemals wiederzusehen.

      1 Utschitjel (russisch) = Lehrer

      Zweites Kapitel

      Der Führer

      Ach du Weite, du, weite Ferne du,

      Ach du Flur, du unbekannte du!

      Daß ich zu dir doch nicht kommen wär',

      Hätt' das gute Pferd mich nicht zu dir geführt:

      So verführten sie des kühnen Knaben Herz,

      Flinke Eile, kühner Jugendmut,

      Des berauschten Bluts Vergessenheit.

       Altes Lied

      Meine Betrachtungen auf dem Wege waren nicht sehr heiter. Mein Verlust war nach dem damaligen Geldwerte nicht unbedeutend. Ich mußte mir innerlich gestehen, daß mein Betragen im Simbirskschen Gasthaus dumm war und so fühlte ich mich Saweljitsch gegenüber schuldig. Das alles quälte mich. Finster saß der Alte ganz an den Rand des Wagens gedrückt, wandte sich von mir ab, schwieg und räusperte sich nur zuweilen. Ich wollte mich unbedingt mit ihm versöhnen, aber ich wußte nicht wie es anzufangen sei. Endlich sagte ich ihm:

      »Nun, nun Saweljitsch! Es ist schon genug, wollen wir Frieden machen, ich bin ja schuld; ich sehe selbst ein, daß ich schuld bin, ich habe gestern gelumpt und dich um nichts beleidigt. Ich verspreche dir in Zukunft klüger zu sein und mehr auf dich zu hören. Ärgere dich nicht weiter und machen wir Frieden.«

      »Ach Väterchen Peter Andrejewitsch!« entgegnete er mit einem tiefen Seufzer: »auf mich selber bin ich wütend, selber bin ich an allem schuld. Wie konnt' ich dich auch allein im Gasthause lassen! Was tun? Die Sünde ist nun mal geschehen: ich gedachte die Küsterfrau, meine Gevatterin, aufzusuchen. Und so war's denn: ging zur Gevatterin, ließ dich in dem verfluchten Loch allein. Ein Unglück und damit genug! Wie soll ich meinem Herrn vor die Augen treten? Und wenn sie's erfahren, was werden sie dazu sagen, daß das Kind trinkt und spielt?«

      Um den armen Saweljitsch zu trösten, versprach ich ihm, nie wieder ohne seine Einstimmung auch nur eine Kopeke zu verschleudern. Allmählich beruhigte er sich dann, konnte es aber nicht lassen, immer noch zuweilen vor sich herzumurmeln, indem er den Kopf schüttelte:

      »Hundert Rubel! Keine Kleinigkeit!«

      Ich näherte mich dem Orte meiner Bestimmung. Rings um mich dehnten sich traurige Wüsten aus, die von Hügeln und Schluchten durchschnitten wurden. Alles war von Schnee bedeckt ... Die Sonne sank. Unser Reisewagen fuhr auf einem schmalen Wege oder genauer gesagt, er folgte der Spur von Bauernschlitten. Plötzlich schaute unser Fuhrmann scharf zur Seite, wandte sich dann an mich, indem er den Hut abnahm, und sagte:

      »Herr befiehlst du nicht lieber umzukehren?«

      »Und, warum das?«

      »Das Wetter ist unzuverlässig: schon erhebt sich ein leichter Wind; und sieh, wie er den frischen Schnee aufwirbelt.«

      »Ja was geht das uns an?«

      »Aber siehst du auch, daß dort ...?«

      Und der Fuhrmann wies mit der Peitsche nach Osten.

      »Ich sehe dort nichts außer weißer Steppe und hellem Himmel.«

      »Nein, nein: jenes Wölkchen meine ich.«

      Und tatsächlich sah ich nun am Rande des Himmels ein weißes Wölkchen, das ich anfangs für einen kleinen fernen Hügel gehalten hatte. Der Fuhrmann teilte mir mit, daß dieses Wölkchen einen heftigen Schneesturm prophezeie.

      Ich hatte von den dortigen Schneestürmen gehört und wußte, daß ganze Karawanen von ihnen verschüttet worden waren. Saweljitsch stimmte der Ansicht des Fuhrmannes bei und riet umzukehren. Doch der Wind schien mir nicht stark zu sein: ich glaubte, daß es möglich wäre, noch rechtzeitig die nächste Station zu erreichen, und befahl schneller zu fahren.

      Der Fuhrmann beeilte sich und sah immer scharf nach Osten. Die Pferde liefen munter. Der Wind wurde von Stunde zu Stunde heftiger. Das Wölkchen verwandelte sich in eine weiße Wolke, die schwer heraufkam, wuchs und allmählich den ganzen Himmel bedeckte. Feiner Schnee kam herab, plötzlich fiel er in dichten Flocken. Der Wind heulte, das war der Schneesturm. In einem Augenblick war der dunkle Himmel mit dem Meer von Schnee verschmolzen. Alles verschwand.


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