Die Hauptmannstochter. Alexander Puschkin

Die Hauptmannstochter - Alexander Puschkin


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Ich reichte ihm eine Tasse Tee, er trank einen Schluck und verzog das Gesicht.

      »Euer Wohlgeboren erweisen mir vielleicht die Gnade ... und befehlen, daß man mir ein Glas Wein bringe; Tee ist nicht unser Kosakengetränk.«

      Gerne erfüllte ich sein Verlangen. Der Wirt nahm Kanne und Glas aus einem Tischaufsatz, trat an ihn heran und sah ihm ins Gesicht:

      »Oh,« sagte er, »du bist wieder in unserer Gegend! Von wo hat Gott dich hergeführt?«

      Mein Führer zwinkerte bedeutungsvoll mit den Augen und antwortete mit einem Sprichwort:

      »Im Garten habe ich Hanf gepickt, die Alte warf mit einem Stein nach mir und traf mich nicht. Nun, was machen die Euren?«

      »Ja, was sollen Unsere denn machen!« entgegnete der Wirt, indem er in dem zweideutigen Gespräche fortfuhr: »Man wollte zum Abendgebete läuten, aber die Popenfrau erlaubte es nicht, der Pope ist zu Gast und die Teufel in der Gemeinde.«

      »Schweig, alter Freund,« versetzte mein Landstreicher, »es wird ein Regen kommen, und es werden auch Pilze kommen, und werden Pilze da sein, so werden auch Körbe da sein; jetzt aber (hier zwinkerte er wieder bedeutsam) verbirg das Beil, der Förster kommt. Auf Euer Wohlgeboren Gesundheit!«

      Bei diesen Worten ergriff er seinen Becher, bekreuzigte sich und trank ihn auf einen Zug leer, dann verbeugte er sich vor mir und suchte wieder seinen Hängeboden auf.

      Ich konnte damals nichts von diesem Diebesgespräche verstehen, später aber erriet ich, daß sie von den Zuständen im Jaikschen Heere sprachen, welches damals nach dem Aufruhr im Jahre 1772 eben erst gebändigt worden war. Saweljitsch hörte höchst unzufrieden zu. Argwöhnisch sah er bald den Wirt, bald den Führer an. Diese Herberge lag weit vom Wege ab in der Steppe, wo keine Ansiedlung in der Nähe war, und glich sehr einem Räuberwirtshause. Doch da war nichts zu machen. Es war unmöglich, an eine Fortsetzung der Fahrt zu denken. Die Unruhe Saweljitschs amüsierte mich sehr. Indessen machte auch ich mich zur Nacht bereit und legte mich auf die Bank. Saweljitsch beschloß, auf den Ofen zu kriechen; der Gastwirt lag auf dem Fußboden. Bald schnarchte die ganze Hütte und ich schlief wie ein Toter.

      Am nächsten Morgen erwachte ich ziemlich spät und sah, daß der Sturm vergangen war, die Sonne leuchtete hell. Der Schnee lag wie ein blendendes Tuch auf der unübersehbaren Steppe. Die Pferde waren angespannt. Ich zahlte dem Gastwirt, der eine so mäßige Summe verlangte, daß sogar Saweljitsch keinen Streit mit ihm anfing und nicht wie gewöhnlich zu handeln begann; der gestrige Verdacht war völlig aus seinem Kopfe geschwunden. Ich rief den Führer, dankte ihm für die erwiesene Hilfe und befahl Saweljitsch, ihm einen halben Rubel für Schnaps zu geben. Saweljitschs Gesicht verdüsterte sich.

      »Einen halben Rubel für Schnaps!« sagte er, »ja, wofür denn? Dafür vielleicht, daß du die Güte hattest, ihn auf deinem Wagen zur Herberge zu führen? Obgleich es dein Wille ist, Herr: wir haben aber keinen überflüssigen halben Rubel. Wenn man jedem Trinkgeld geben wollte, würde man bald selber hungern müssen.«

      Ich wollte mit Saweljitsch nicht streiten. Ich hatte ihm versprochen, daß er meine Gelder nach seinem Gutdünken verwalten dürfe. Es war mir aber trotzdem sehr unangenehm, daß ich mich bei diesem Menschen nicht bedanken konnte, der uns, wenn auch nicht aus einer Gefahr, so doch zum wenigsten aus einer sehr peinlichen Lage befreit hatte.

      »Gut,« sagte ich kaltblütig, »wenn du ihm schon keinen halben Rubel geben willst, so gib ihm irgend eines meiner Kleidungsstücke. Er ist zu dünn gekleidet. Gib ihm meinen Hasenpelz.«

      »Mein Gott, lieber Herr Peter Andrejewitsch!« sagte Saweljitsch, »wozu ihm denn den Hasenpelz geben? Der Hund wird ihn ja doch nur in der nächsten Schenke versaufen.«

      »Es braucht doch dir keine Sorge zu machen, alter Freund,« sagte mein Landstreicher, »ob ich ihn nun versaufe oder nicht. Seine Wohlgeboren schenken mir einen Pelz von der eigenen Schulter, das ist eben sein Herrenwille, deine Sklavensache aber ist es, nicht zu streiten, sondern zu gehorchen.«

      »Du fürchtest Gott nicht, du Räuber!« entgegnete ihm Saweljitsch wütend; »du siehst doch, daß das Kind noch nichts begreift, und bist froh, es in seiner Einfalt zu bestehlen. Was brauchst du einen herrschaftlichen Pelz? Du kannst ihn ja nicht mal über deine verfluchten Schultern bringen.«

      »Bitte, räsoniere nicht,« sagte ich zu meinem Erzieher, »bring' ihn sofort her.«

      »Großer Gott!« stöhnte Saweljitsch, »den fast ganz neuen Hasenpelz! Und wenn's noch jemand anders wäre, aber so – einem Säufer, einem Lumpen!«

      Allein, der Hasenpelz erschien. Der Bauer versuchte ihn anzuziehen, und tatsächlich war der Pelz, aus dem ich schon fast herausgewachsen war, auch ihm ein wenig zu eng. Allein, es gelang ihm doch auf irgendeine Weise, und so zog er ihn denn an, während die Nähte platzten. Saweljitsch fing fast zu heulen an, als er die Nähte krachen hörte. Der Landstreicher war von meinem Geschenke sehr befriedigt. Er gab mir bis zum Reisewagen das Geleite und sagte dann mit einer tiefen Verbeugung:

      »Besten Dank, Euer Wohlgeboren! Möge Gott Ihre Güte belohnen. Niemals werde ich Ihre Gnade vergessen.«

      Er ging seines Weges und auch ich fuhr weiter, ohne Saweljitsch zu beachten, und hatte bald den gestrigen Schneesturm, meinen Führer und den Hasenpelz vergessen.

      In Orenburg angekommen, begab ich mich geradewegs zum General. Ich erblickte einen Mann von hohem Wuchs, den das Alter schon gebeugt hatte. Seine langen Haare waren ganz weiß. Sein alter und etwas verblichener Uniformrock war wie eine Erinnerung an einen Krieger aus der Zeit Anna Iwanownas; er sprach mit stark deutschem Akzent. Ich gab ihm meines Vaters Brief. Als er seinen Namen las, musterte er mich schnell.

      »Mein Gott!« sagte er, »ist es denn schon so lange her, daß Andrej Petrowitsch noch in deinen Jahren war, und jetzt hat er schon einen solch wackeren Burschen zum Sohn! Ach, die Zeit, die Zeit!«

      Er erbrach den Brief und las ihn halblaut, indem er ab und zu Bemerkungen machte: »›Gnädigster Herr Andrej Karlowitsch, ich hoffe, daß Eure Exzellenz ...‹ was sind das für Zeremonien? Pfui, er sollte sich schämen! Natürlich Disziplin – Hauptsache, aber schreibt man so einem alten Kameraden? ... ›Eure Exzellenz nicht vergessen haben ...‹ Hm ... ›und ... damals ... der verstorbene Feldmarschall Mün... Feldzug ... wie auch ... Karolinchen!‹ ... O Bruder! So erinnert er sich auch noch immer an unsere alten Sünden? ›Doch zur Sache ... zu ihm, meinem Taugenichts ...‹ Hm ... ›mit stacheligen Handschuhen anzufassen ...‹ Was sind stachelige Handschuhe? Das muß wohl so eine russische Redensart sein ... Was bedeutet das ›mit stacheligen Handschuhen anfassen‹?« fragte er, indem er sich an mich wandte.

      »Das bedeutet,« entgegnete ich mit möglichst unschuldiger Miene, »möglichst gnädig umgehen, nicht allzu streng, einige Freiheit lassen, mit einem Wort, mit stacheligen Handschuhen anfassen.«

      »Hm, ich verstehe ... ›Und ihm keine Freiheit geben ...‹ Nein, die stacheligen Handschuhe müssen doch etwas anderes bedeuten ... ›Gleichzeitig ... sein Paß ...‹ Wo ist denn der? Ach so ... ›Aus dem Semjonoffschen Regiment streichen lassen ...‹ Gut, gut: Wollen wir machen ... ›Erlaubst, daß ich dich ohne alle Titel umarme und ... alter Kamerad und Freund.‹ Ah! also endlich ... und so weiter, und so weiter ...«

      »Nun, Lieber,« sagte er, nachdem er den Brief durchgelesen hatte und meinen Paß weglegte; »nun wird alles gemacht werden, du wirst als Offizier in das *** Regiment versetzt werden, und damit du keine Zeit verlierst, sollst du schon morgen zur Festung Bjelogorsk abreisen, wo der Hauptmann Mironow, ein guter und ehrlicher Mann, dein Kommandant sein wird. Dort wirst du wirklichen Dienst und Disziplin lernen. In Orenburg kannst du nicht bleiben: Zerstreuungen sind einem jungen Manne schädlich. Für heute aber bitte ich dich, mit mir zu Mittag zu speisen.«

      »Von Stunde zu Stunde schönere Aussichten!« dachte ich; »was hilft es mir jetzt, daß ich fast noch im Mutterleibe Sergeant der Garde wurde! Und wohin hat mich das nun geführt? Zum ** Regiment, in eine wüste Festung, die auf der Grenze der kirgisisch-kosakschen Steppen liegt! ...« Ich speiste bei Andrej Karlowitsch zusammen mit seinem alten Adjutanten. Strenge deutsche Sparsamkeit


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