Die Hauptmannstochter. Alexander Puschkin

Die Hauptmannstochter - Alexander Puschkin


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schaute aus dem Reisewagen, alles war Sturm und dunkel. Der Wind heulte mit solch wildem Ausdruck, als wäre er lebendig; der Schnee überschüttete mich und Saweljitsch. Die Pferde gingen im Schritt und blieben bald stehen.

      »Was fährst du denn nicht mehr weiter?« fragte ich den Fuhrmann ungeduldig.

      »Was soll man da noch weiterfahren?« entgegnete er, indem er vom Bock kroch, »sowieso wissen wir nicht, wohin wir gefahren sind: da ist kein Weg zu sehen und ringsum nur Finsternis.«

      Ich schimpfte auf ihn ein. Saweljitsch trat für ihn ein.

      »Warum mußtest du auch nicht hören,« sagte er böse, »wärst du doch lieber in die alte Herberge zurückgekehrt, hättest Tee getrunken, bis zum Morgen geschlafen, dann hätte auch der Sturm nachgelassen und wir konnten weiterfahren. Wohin eilen wir denn so? Gut wär's, wenn's noch auf eine Hochzeit ginge!«

      Saweljitsch hatte recht. Da war nichts mehr zu machen, der Schnee stürzte nur so. Um den Reisewagen herum bildete sich ein hoher Schneehaufen. Die Pferde standen da, ließen die Köpfe hängen und erzitterten von Zeit zu Zeit. Der Fuhrmann hatte nichts zu tun und machte sich am Geschirr zu schaffen. Saweljitsch brummte; ich schaute ringsum und hoffte irgendein Anzeichen von Weg oder Wohnung zu erblicken, doch ich konnte nichts sehen als das trübe Wirbeln des Schneesturmes. Plötzlich sah ich etwas Schwarzes.

      »He, Fuhrmann!« schrie ich, »sieh doch mal hin – was ist das da für ein schwarzer Gegenstand?«

      Der Fuhrmann schaute angestrengt hin.

      »Gott weiß was, Herr,« sagte er, indem er sich auf seinen Platz setzte; »nicht eigentlich ein Wagen, nicht eigentlich ein Baum, denn es bewegt sich scheinbar. Vielleicht ein Wolf oder ein Mensch.«

      Ich befahl ihm, auf den unbekannten Gegenstand zuzufahren, der sich im selben Augenblicke uns entgegenbewegte. Nach etwa zwei Minuten begegneten wir einem Manne.

      »He, guter Mann!« schrie ihm der Fuhrmann zu: »sag', weißt du nicht, wo der Weg ist?«

      »Der Weg ist hier, ich stehe auf hartem Boden,« entgegnete der Wanderer, »aber warum fragst du?«

      »Hör' mal, lieber Bauer,« sagte ich zu ihm, »vielleicht kennst du diese Gegend hier? Willst du mich bis zum nächsten Nachtquartier führen?«

      »Ich kenne die Gegend,« antwortete der Wanderer, »ich habe sie, Gott sei Dank, kreuz und quer durchfahren und durchwandert. Aber was für ein Wetter das ist, da kann man jeden Augenblick vom Wege abkommen. Besser wäre es, hier zu halten und zu warten, der Sturm wird nachlassen und der Himmel klarer werden, dann werden die Sterne uns schon den Weg zeigen.«

      Seine Kaltblütigkeit ermunterte mich. Ich war schon bereit, mich in mein Schicksal zu ergeben und in der Steppe zu übernachten, als plötzlich der Wanderer sich gewandt auf den Bock schwang und dem Fuhrmann sagte: »Nun, Gott sei Dank, ein Haus ist nicht mehr fern; biege nach rechts ab und fahre drauflos.«

      »Warum soll ich nach rechts fahren?« fragte der Fuhrmann mürrisch, »wo siehst du denn einen Weg? Du glaubst wohl, daß die Pferde und das Geschirr nicht mir gehören und daß wir nur so drauflosfahren können.«

      Mir schien der Fuhrmann recht zu haben.

      »Allerdings,« sagte ich, »warum glaubst du denn, daß ein Haus nahe sei?«

      »Deshalb, weil der Wind von dorther wehte,« antwortete der Wanderer, »und ich den Geruch des Rauches spürte; folglich ist ein Dorf in der Nähe.«

      Seine Findigkeit und die Feinheit des Geruchs verwunderten mich. Ich befahl dem Kutscher zu fahren. Schwer stampften die Pferde durch den tiefen Schnee. Der Reisewagen bewegte sich nur langsam vorwärts, denn bald mußte ein Schneehaufen überfahren werden, bald sanken wir in einen Graben, und es war ein beständiges Schwanken von einer Seite zur anderen wie ein Schiff auf stürmischem Meer. Saweljitsch stöhnte und jeden Augenblick stieß er gegen mich. Ich ließ die Matte aus starkem Lindenbast herab, hüllte mich fester in meinen Pelz und schlief ein, eingewiegt vom Gesang des Sturmes und dem Schaukeln der langsamen Fahrt.

      Und ich hatte einen Traum, den ich niemals mehr vergessen konnte und in dem ich auch noch heute etwas wie eine Prophezeiung sehe, wenn ich ihn mit den seltsamen Geschehnissen meines Lebens zusammenhalte. Der Leser wird mir verzeihen, denn er weiß vermutlich aus Erfahrung, wie sehr es dem Menschen eigen ist, sich dem Aberglauben hinzugeben, so sehr er auch alle Vorurteile verachten mag.

      Ich verfiel in jenen Zustand der Sinne und der Seele, in welchem die Wirklichkeit den Träumen weichend, mit diesen zu den unklaren Bildnissen des ersten Schlummers verschmilzt. Mir schien es, als ob der Schneesturm noch wüte und als ob wir noch immer durch die Schneewüste irrten. Plötzlich sah ich ein Tor und fuhr auf unseren Gutshof. Mein erster Gedanke war die Furcht, mein Vater könnte über mich wegen der unfreiwilligen Rückkehr unter das Dach meines Vaterhauses zornig werden und dies für absichtlichen Ungehorsam halten. Unruhig sprang ich aus dem Reisewagen und sah: die Mutter kam mir auf der Treppe mit tieftraurigem Gesicht entgegen. Leise sagte sie zu mir: »Der Vater ist krank, ist dem Tode nahe und will von dir Abschied nehmen.« Voll Furcht folge ich ihr ins Schlafgemach. Ich sehe, das Zimmer ist schwach beleuchtet; rings um das Bett stehen Menschen mit traurigen Gesichtern. Leise trete ich an das Bett heran; die Mutter schiebt den Vorhang zurück und spricht: »Andrej Petrowitsch! Peter ist zurückgekommen, als er von deiner Krankheit erfuhr; segne ihn.« Ich kniete nieder und schaute auf den Kranken. Doch da? ... An Stelle meines Vaters sehe ich einen schwarzbärtigen Bauer im Bett liegen, der mich heiter ansieht. Verwundert wandte ich mich zur Mutter und fragte sie: »Was soll das bedeuten? Dies ist nicht der Vater. Und aus welchem Grunde soll ich um den Segen eines Bauern bitten?« – »Ach, das hat nichts zu sagen, Peter,« entgegnete mir meine Mutter: »das ist dein stellvertretender Vater; küß ihm die Hand und mag er dich segnen ...« Ich willigte nicht ein. Da aber sprang der Bauer vom Bette auf, griff nach seinem Beile und begann es nach allen Seiten zu schwingen. Ich wollte fliehen ... und konnte nicht; das Zimmer füllte sich mit Leichen; ich strauchelte über Körper und glitt in den Blutlachen aus ... Der entsetzliche Bauer rief mich liebevoll an und sprach: »Fürchte dich nicht, sondern komm und laß dich segnen ...« Grauen und Verwunderung packten mich ... Und in diesem Augenblicke erwachte ich, die Pferde hielten; Saweljitsch faßte mich an der Hand und sprach:

      »Steig aus, Herr, wir sind da.«

      »Wo denn?« fragte ich und rieb mir die Augen.

      »In einer Herberge. Gott half und wir stießen gerade auf ihren Zaun. Herr, steig schnell aus und erwärme dich.«

      Ich stieg aus dem Wagen. Der Schneesturm wütete noch immer, wenn auch mit geringerer Gewalt. Es war so dunkel, daß man geradesogut sehen konnte wie ein Blinder. Der Gastwirt kam uns an die Pforte entgegen und führte mich, während er eine Laterne unter dem Rockschoß hielt, in die Wirtsstube, die eng, aber ziemlich reinlich war; ein Kienspan erleuchtete sie. An der Wand hingen eine lange Büchse und eine hohe Kosakenmütze.

      Der Gastwirt, der von Geburt ein Kosak aus Jaik war, schien ein Mann von etwa sechzig Jahren zu sein, war aber noch frisch und rüstig. Saweljitsch brachte mein Teegeschirr herein und verlangte Feuer, um den Tee zu bereiten, der mir noch niemals so notwendig erschienen war wie jetzt. Der Wirt eilte, alles zu besorgen.

      »Wo ist der Führer?« fragte ich Saweljitsch.

      »Hier, Euer Wohlgeboren«, entgegnete mir eine Stimme irgendwo von oben.

      Ich blickte nach einer Art Hängeboden und sah einen schwarzen Bart und zwei funkelnde Augen.

      »Bist wohl tüchtig durchfroren, Freundchen?«

      »Wie soll man nicht frieren in so einer dünnen Jacke! Ich hatte noch einen Schafpelz, aber warum soll ich es verheimlichen, ich habe ihn gestern Abend in der Kneipe versetzt, der Frost kam mir nicht so schlimm vor.«

      In dieser Minute kam der Wirt mit dem dampfenden Samowar herein; ich bot unserm Führer eine Tasse Tee an; der Bauer kroch von seinem Hängeboden herunter. Sein Aussehen kam mir merkwürdig vor. Er war vierzig Jahre, von mittlerem Wuchs, mager, aber breitschulterig. Sein schwarzer Bart war schon ein wenig grau gesprenkelt, die lebhaften großen


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