Auferstehung. Лев Толстой

Auferstehung - Лев Толстой


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genommen.

      Nechljudow ging schweigend hinaus. Er hatte nicht einmal das Gefühl der Beschämung. Er hatte an Matrona Pawlownas Miene gesehen, daß sie sein Verhalten mißbillige, und er sagte sich, daß sie recht habe, es zu mißbilligen, und wußte, daß das, was er tat, schlecht sei. Aber das animalische Gefühl, das über dem früheren Gefühl der reinen Liebe zu ihr emporgewuchert war, hatte ihn ganz in seinen Bann geschlagen und beherrschte ihn vollkommen, ohne irgendeine andere Empfindung neben sich aufkommen zu lassen. Er dachte jetzt nur daran, seiner Leidenschaft Genüge zu tun, und war blind für alles andere.

      Den ganzen Abend war er wie gestört – bald kam er zu den Tanten, bald ging er wieder in sein Zimmer oder auf den Flur hinaus, und er hatte nur den einen Gedanken, wie er sie allein zu Gesicht bekommen könnte; aber sie mied ihn offenbar, und auch Matrona Pawlowna war bemüht, sie nicht aus den Augen zu lassen.

      17

      So verging der ganze Abend, und die Nacht brach an. Der Doktor war zu Bett gegangen. Auch die Tanten legten sich schlafen. Nechljudow wußte, daß Matrona Pawlowna jetzt im Schlafzimmer der Tanten war, und daß Katjuscha allein im Mädchenzimmer weilte. Er ging wieder auf den Flur hinaus und von da auf die Treppe vor dem Hause. Draußen war es dunkel, feucht und warm, und der weiße Nebel, der im Frühling den letzten Schnee zum Schwinden bringt oder vielmehr von dem tauenden letzten Schnee erzeugt wird, erfüllte die ganze Atmosphäre. Vom Flusse her, der in einer Entfernung von hundert Schritten am Bergabhang vorüberströmte, ließen sich seltsame Laute vernehmen: der Eisgang hatte begonnen.

      Nechljudow stieg die Treppe hinunter und ging auf dem zu Eis erstarrten Schnee über die Pfützen hinweg nach dem Fenster des Mädchenzimmers. Sein Herz klopfte so laut in der Brust, daß er es hören konnte; sein Atem stockte oder entrang sich als schwerer Seufzer der Brust. In dem Mädchenzimmer brannte eine kleine Lampe. Katjuscha saß allein am Tische, in Nachdenken versunken, und sah vor sich hin. Nechljudow schaute sie lange an, ohne sich zu rühren – er wollte sehen, was sie trieb, wenn sie sich unbeobachtet wähnte. Zwei Minuten etwa saß sie regungslos da, dann erhob sie die Augen, lächelte und schüttelte, als wolle sie sich selbst einen Vorwurf machen, den Kopf; und dann, nachdem sie ihre Haltung verändert, legte sie mit einer leidenschaftlichen Bewegung beide Arme auf den Tisch und starrte vor sich hin ins Leere.

      Er stand da, sah sie an und hörte dabei unwillkürlich das Klopfen seines Herzens und gewisse seltsame Laute, die vom Flusse herüberdrangen. Dort, auf dem Flusse, ging im Nebel eine langsame, rastlose Arbeit vor sich – bald knackte und krachte es, bald erfolgte ein Sturz, bald klirrten die dünnen Eisschollen wie zersplittertes Glas.

      Er stand da und blickte auf das nachdenkliche, von innerer Gedankenarbeit zerquälte Gesicht Katjuschas, und er hatte ein lebhaftes Mitgefühl mit ihr, seltsamerweise jedoch steigerte gerade dieses Mitgefühl sein Verlangen nach ihr.

      Er klopfte ans Fenster. Sie erbebte am ganzen Körper, wie von einem elektrischen Schlage getroffen, und Entsetzen malte sich auf ihrem Gesichte. Dann sprang sie auf, ging zum Fenster und preßte ihr Gesicht gegen die Scheibe. Der Ausdruck des Entsetzens wich auch dann noch nicht von ihrem Gesichte, als sie, beide Handflächen wie Scheuklappen an die Augen legend, ihn erkannte. Ihr Gesicht war ungewöhnlich ernst – er hatte es nie so gesehen. Sie lächelte erst dann, als er sie anlächelte – lächelte nur gleichsam zum Zeichen, daß sie sich ihm unterwerfe, in ihrer Seele aber war kein Lächeln, sondern die helle Angst. Er machte ihr ein Zeichen mit der Hand, sie möchte doch zu ihm auf den Hof hinauskommen. Doch sie schüttelte verneinend den Kopf, sie wollte nicht hinaus und blieb am Fenster stehen. Er näherte sein Gesicht noch einmal dem Fenster und wollte soeben rufen, daß sie hinauskommen möchte, doch in diesem Augenblick wandte sie sich nach der Tür um – offenbar wurde sie von dort aus gerufen. Er trat vom Fenster zurück. Der Nebel war so dicht, daß Nechljudow schon in einer Entfernung von fünf Schritten das Fenster nicht sah und das Licht der Lampe nur wie ein großer roter Fleck aus dem Dunkel hervortrat. Vom Flusse her ließ sich immer noch dasselbe seltsame Rauschen, Krachen und Klingen des Eises vernehmen. Vom Hofe her erscholl, aus ganz kurzer Entfernung, das Krähen eines Hahnes, andere Hähne in der Nähe antworteten aus dem Nebelmeer heraus, und vom Dorfe her ließen sich, einander überschreiend und in eins verschmelzend, weitere Hahnenrufe hören. Alles ringsum, bis auf den Fluß, war sonst vollkommen still. Es war der zweite Hahnenschrei.

      Zwei- oder dreimal war Nechljudow um die Hausecke herumgegangen und dabei mehrmals in die Pfützen geraten. Noch einmal trat er an das Fenster des Mädchenzimmers. Die Lampe brannte noch immer, und Katjuscha saß wieder allein am Tische, als sei sie unentschlossen. Kaum war er ans Fenster getreten, als sie ihren Blick auf ihn richtete. Er klopfte an die Fensterscheibe. Ohne erst nachzusehen, wer geklopft hatte, lief sie sogleich aus dem Mädchenzimmer, und er hörte, wie die Außentür sich mit einem leisen, weichen Geräusche öffnete und dann knarrte. Er erwartete sie schon an der Freitreppe und schloß sie sogleich in seine Arme. Sie schmiegte sich an ihn und hob den Kopf empor, und ihre Lippen empfingen seinen Kuss. Sie standen hinter der Flurecke auf einer trockenen Stelle, von der der Schnee bereits weggetaut war, und er war ganz von qualvollem, unbefriedigtem Verlangen erfüllt.

      Plötzlich ließ sich dasselbe weiche Geräusch an der Außentür vernehmen, und Matrona Pawlownas unwillige Stimme rief:

      »Katjuscha!«

      Sie riß sich von ihm los und kehrte in das Mädchenzimmer zurück. Er hörte, wie der Haken vorgelegt wurde. Gleich darauf wurde alles still. Das rote Auge in dem Fenster verschwand, und nur der Nebel und das Krachen und Knacken auf dem Flusse blieben unverändert.

      Nechljudow trat an das Fenster – niemand war zu sehen. Er klopfte – keine Antwort erfolgte. Er kehrte von der Vordertreppe aus in das Haus zurück und ging auf sein Zimmer, doch er konnte nicht einschlafen. Er zog die Stiefel aus und ging barfuß durch den Korridor bis an die Tür von Katjuschas Stübchen, das neben Matrona Pawlownas Zimmer lag. Anfangs hörte er Matrona Pawlownas ruhiges Schnarchen, und er wollte schon eintreten, als sie plötzlich zu husten begann und sich auf dem knarrenden Bette umdrehte. Er stand unbeweglich da und blieb wohl fünf Minuten lang so stehen. Als alles wieder still geworden war und das ruhige Schnarchen sich von neuem vernehmen ließ, ging er weiter, wobei er sich bemühte, möglichst auf die nicht knarrenden Dielen zu treten. So gelangte er zu Katjuschas Tür. Alles war still. Sie schlief offenbar nicht, denn ihr Atem war nicht zu hören. Kaum aber hatte er flüsternd »Katjuscha!« gerufen, als sie aufsprang, an die Tür herankam und in unwilligem Tone, wie ihm schien, ihn zu überreden suchte, doch fortzugehen.

      »Was soll denn das heißen? Schickt sich denn das? Die Tanten werden es hören,« sprach ihr Mund, doch ihr ganzes Wesen sprach: »Ich bin ganz dein.«

      Und nur dies vernahm Nechljudow.

      »Öffne doch nur einen Augenblick, ich flehe dich an,« stammelte er halb im Wahnsinn.

      Sie wurde still, dann hörte er das leise Geräusch der Hand, die nach dem Haken tastete. Der Haken sprang zurück, und er trat durch die offene Tür.

      Er packte sie so, wie sie war, in dem groben, rauen Hemd, das ihre Arme bloß ließ, hob sie empor und trug sie fort.

      »Ach, was tun Sie denn?« flüsterte sie.

      Aber er achtete nicht auf ihre Worte, sondern trug sie auf sein Zimmer.

      »Nicht doch, lassen Sie mich los,« sagte sie, während sie sich dicht an ihn schmiegte.

      Als sie zitternd und schweigend, nicht ein Wort auf seine Reden erwidernd, von ihm gegangen war, trat er auf die Treppe hinaus, blieb dort stehen und suchte sich die Bedeutung dessen, was geschehen war, klarzumachen.

      Auf dem Hofe war es bereits heller geworden; vom Flusse her ließ sich, noch lauter als am Abend, das Schnauben, Knacken und Klingen der Eisschollen vernehmen, dem sich noch ein Rieseln zugesellt hatte. Der Nebel begann sich zu senken, hinter der Nebelwand schwebte der abnehmende Mond hervor und beleuchtete etwas Unheimliches, Schwarzes.

      »Was ist das nun: ein großes Glück oder ein großes Unglück, was mir da widerfahren ist?« dachte er. Doch schließlich sagte er sich: »Es ist doch immer so, und alle tun


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