BeOne. Martha Kindermann
Stühlen und würdet in die Kameras lächeln.« Recht hat er. »Welch glücklicher Umstand, dass Berds paralysiertes Umherwandern Akira zum Umdrehen ermutigte und sie euch zu Hilfe eilen konnte.«
»Weiß sie es? Centa? Also, dass wir wahrscheinlich manipuliert wurden?« Ich muss es wissen, denn bis vor wenigen Stunden war unsere Präsidentin mein unangefochtenes Idol und eine großartige, starke und zudem sympathische Person mit einem eigentümlichen Lebenslauf, zugegeben. War ich wirklich so blind?
»Aber sicher!« Rafael blickt ernst in die Runde und bringt uns dazu, die Luft anzuhalten. »Sie braucht euch wieder zurück, denn dann kann sie die dressierten Affen vor aller Augen durchdrehen lassen und beweisen, dass sie die einzig wahre Anführerin an der Landesspitze Polars ist und die Polarjahrtradition völlig überholt und schwachsinnig.«
»Aber, das wolltet ihr doch, oder? Die Initiation abschaffen und faire Verhältnisse schaffen.« Taranee bringt meine Gedanken zum Klingen.
»Schon«, ergreift Mirco das Wort, »aber wir wollten es auf ehrliche Weise und mit der Unterstützung und dem Verständnis der Bevölkerung tun. Dass Centa eine Gefahr werden könnte, vermutete meine Abteilung ja schon länger, deshalb bin ich hier. Aber die Akten der Dritten werden ausgetauscht, sobald sie in einem der Häuser stationiert werden. Wir haben einen fiktiven Nachnamen und sonst nichts.«
»Jünger«, Berd schiebt die Brille zurecht und lässt den analytischen Logiker raushängen. »Sie ist die jüngste Tochter – möglicherweise ein makaberes Wortspiel.« Ich sehe viele nickende Köpfe.
»Das könnte gut sein, Berd«, lobt Lehmann.
»Aber wenn wir doch alle dieselben Ziele haben, warum gibt es dann so viele unterschiedliche Lager?« Richtig Berd.
»Die Morenos wollen das Land dafür büßen lassen, was sie Centa angetan haben, und beweisen, dass die Dritten gefährliche Waffen auf den Stühlen der Macht sein könnten. Sie haben aber nicht vor, ihre Macht aufzugeben und dafür müssen sie euch Eleven opfern.«
»Scheiße, Mirco!« Rafael greift nach der nächsten Tasse, wird jedoch einsichtig und stellt sie in Zeitlupe zurück auf den Tisch. »Sie haben die Bedrohung BePolar mit aufgebaut, um alles unter Kontrolle zu haben, und jetzt sind wir ihre Puppen, die sie tanzen lassen. Wir sind am Arsch.«
Caris
Tag 73
»Ist dir kalt?« Valentin blickt mich mitfühlend von der Seite an und öffnet das Tor der unscheinbaren Garage hinter dem Bürgerhaus.
»Nur ein bisschen. Keine Sorge!«, sage ich, obwohl meine Zähne, an diesem kalten Oktoberabend bereits zu zittern beginnen.
»Gut, dann komm. Drinnen machen wir uns warme Gedanken.« Was auch immer er damit meint, seine Worte klingen wiedereinmal so malerisch schön, dass ich ihm einfach folgen muss. »Kopf einziehen! Das Tor klemmt ein wenig und wir wollen die Nachbarschaft ja nicht wecken.«
Nein, bestimmt nicht! Schließlich treibt sich ein wahnsinnig heißer Lehrer nicht mit der minderjährigen Schülerin in zwielichtigen Ecken herum, ohne Aufsehen zu erregen.
»Ich bin ein wenig aufgeregt, muss ich zugeben. Was versteckst du in dieser Baracke, was du mir nicht hättest beschreiben können?« Er streckt mir die offene Hand entgegen und sofort sind meine nervösen Zweifel verschwunden.
»Du wolltest deine Mutter kennenlernen.«
»Moment. Ist sie da drinnen? Hier in NW/74? Ehrlich?« Ich bin total aus dem Häuschen doch weiß nicht, ob ich fliehen oder schnellstmöglich durch den Spalt im Garagentor schlüpfen soll. Ich bin meiner Mutter nie begegnet. Ich habe nie ihre Stimme gehört, ihr Parfum gerochen oder einen Gutenachtkuss auf der Stirn gespürt. Was, wenn sie nicht das ist, was ich mir mein ganzes Leben lang ausgemalt habe?
»Nein, Caris. Sie ist nicht hier. Noch nicht. Aber sie wird kommen, um dich kennenzulernen. Doch bis dahin haben wir noch eine Menge Arbeit vor uns.«
»Arbeit?« Keine Ahnung, was er meint. Will er eine Willkommensparty in diesem versifften Loch organisieren oder nur hübsche Kleider anprobieren? Na ja, Arbeit kostet Zeit und diese werde ich mit Valentin, meinem absoluten Schwarm verbringen. Was kann es Besseres geben?
»Du musst wissen, Caris, deine Mutter ist nicht irgendjemand, sondern die wohl wichtigste Frau des Landes. Du wirst sie nicht enttäuschen wollen, nehme ich an?« Ohne ein weiteres Wort verschwindet er unter dem Tor und lässt mich verwirrt in der Kälte zurück.
Meine Mutter, die wichtigste Frau des Landes? Außer Präsidentin Jünger fällt mir da beim besten Willen keine ein und die ist erstens, viel zu jung, zweitens, viel zu schwarzhaarig und drittens, eine Klasse für sich. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich verträumter Peilo mit dieser Wahnsinnskarrierefrau verwandt bin, kann nur bei null Prozent liegen. Wen meint Valentin also mit seiner Andeutung? Mir bleibt nichts anderes übrig als ihm wie ein dressierter Pudel hinterherzukriechen und das Missverständnis klarzustellen.
»Caris?«
»Da bin ich.« Ein eisiger Schauer läuft mir den Rücken hinunter als ich den Raum, in dem wir uns befinden, näher inspiziere. Die Wände sind mit schweren, durchsichtigen Plastikmatten abgehangen, die mich an eine Dokumentation aus dem Schlachthaus erinnern und es riecht penetrant nach Desinfektionsmittel. In der Mitte unter einer grellen Lampe steht eine Metallliege, an deren Seiten und Fußende Gurte angebracht sind. Mehrere Computer zieren einen geräumigen Eckschreibtisch mit Drehstuhl und eine gläserne Vitrine voller Medikamente macht das Bild des gruseligen Killerkabinetts perfekt. Plötzlich vermisse ich meinen Dad, mein Lieblingskuscheltier Mr. Fissels und unsere schlichte Zweiraumwohnung. Plötzlich wird mein Mund trocken, meine Hände schwitzig, meine Beine zu Wackelpudding und mein Herz ein hyperventilierender Muskel. Plötzlich ist meine Liebe und Bewunderung für diesen Mann, der angeblich meine Mutter kennt wie weggeblasen. Was mache ich hier? Was macht er hier und wieso nur habe ich nicht auf meinen überfürsorglichen Vater gehört und bin einem Fremden in eine verlassene Garage gefolgt? Das hört sich ja schon in Gedanken komplett gestört an.
»Du kannst deinen Mantel da drüben ablegen.« Valentin deutet auf den einzigen Stuhl im Raum und verschließt mit einem dumpfen Geräusch meinen letzten Ausweg. Die Garage/ das Psychogefängnis ist zu und mein Leben zieht im Zeitraffer an mir vorbei.
Lagerfeuerliebe
Es ist ein friedlicher Abend. In all der Hektik, Aufbruchsstimmung, Angst und Nervosität ist es dennoch ein friedlicher Abend und ich bin hin und weg. Im Hof des Lofts wurde ein Feuer entzündet. Ausreichend groß, um uns Wärme zu spenden, jedoch klein genug, um es vor neugierigen Städtern verbergen zu können. Kerzen in alten Marmeladengläsern sorgen für eine gemütliche Atmosphäre und der Duft von geschmolzenem Käse und gebratenem Stockbrot machen die Stimmung perfekt. Egal wie chaotisch es in mir drin gerade aussieht, dieser Abend holt mich ab.
»Wächter«, Rafael erhebt einen unversehrten Kaffeepott und alle Anwesenden tun es ihm gleich, »wow, es erfüllt mich mit Stolz, dass unser kleiner Kreis mittlerweile eine so stattliche Anzahl neuer mutiger Anwärter aufweist und ihr alle geblieben seid, nachdem die neusten Infos die ursprünglichen Pläne geändert haben. Danke!« Er fährt sich mit der freien Hand durch die kurzen Haare und zieht den Mund nachdenklich kraus. »Schon morgen werden wir unsere Schläfer zurück in die Höhle des Löwen schicken und den Stein ins Rollen bringen. Es wird kein Zurück mehr geben!«
Ich sehe in nickende Gesichter und leuchtende Augen wohin ich auch blicke.
»Es wird verdammt gefährlich und vermutlich sagt auch der ein oder andere den Zellen des NaSPo Hallo, aber wir könnten kein besseres Team in diese Missionen schicken und das ist alles, was zählt. Ihr seid stark, ihr habt die Zukunft vor Augen und seid bereit Opfer zu bringen. Bravo!«
Er tippt mit dem Zeigefingernagel gegen seine Tasse und als einer nach dem anderen einstimmt, erklingt ein verrücktes Orchester, dass mir beinahe die Tränen in die Augen treibt. Ich für meinen Teil sehe