Die Dämonen. Roland Enders

Die Dämonen - Roland Enders


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      Das Wesen, das einmal eine Hyäne gewesen war, wanderte im dunklen Nadelwald, der die Hänge des Wolfszahngebirges säumte, nach Norden, getrieben von dem Verlangen, die schwarz gekleideten Menschen zu finden, die seine Gedanken und Tagträume beherrschten, und sie zu töten, damit es endlich wieder es selbst sein konnte. Die Kreatur versuchte, diese unaufhörlich vor ihrem inneren Auge vorbeiziehenden Bilder, die der Meister ihr eingegeben hatte, zu unterdrücken, indem sie sich an vage Erinnerungen aus einer fernen Vergangenheit klammerte.

       Sie sieht sich wieder mit ihrer Sippe jagen. Das Rudel rennt durch das hohe Gras der südländischen Steppe. Hyänen können nicht so schnell laufen wie Antilopen, sind aber ausdauernd und unerbittlich. Sie suchen sich meist ein altes oder krankes Tier aus und hetzen ihr Opfer so lange, bis es nicht mehr weiter kann. Gemeinsam fallen sie dann über es her und reißen es in Stücke.

       Wenn die Jagd vergeblich ist – und das ist nicht selten der Fall – halten sie Ausschau nach kreisenden Aasvögeln, um die Kadaver verendeter Tiere zu finden. Dabei schlagen sie auch oft deren Jäger in die Flucht, seien es Wildhunde, Wölfe oder große Laufkatzen. Mit ihren Kiefern, ausgestattet mit sehr starken Muskeln, kann eine Hyäne Knochen wie dürre Äste brechen. Die Anführerin des Rudels hat sogar einmal eine einzelne Löwin angegriffen, um ihr die geschlagene Beute abzujagen, und ihr eine Pranke halb abgebissen, bevor sie selbst tödlich von ihr verletzt wurde. Aber der Rest des Rudels hat der Katze, fast doppelt so groß wie eine Hyäne yäneH , den Garaus gemacht.

       Jetzt ist das Rudel ohne Leittier, und ein Kampf um seine Führung beginnt. Drei weibliche Hyänen streiten darum, und sie selbst ist in ihrem Tagtraum wieder eine von ihnen. Sie versucht es, aber sie ist die jüngste und schwächste und unterliegt den anderen. Schwer verletzt bleibt sie zurück, als ihre Sippe weiterzieht. Tagelang verkriecht sie sich im Gebüsch, frisst nichts als eine Maus, die sich unvorsichtig in ihre Nähe gewagt hat. Als die Bisswunden geschlossen und verschorft sind, hinkt sie ihrem Rudel hinterher. Es nähme sie wieder auf, wenn sie sich der neuen Rudelführerin unterwürfe. Aber dann gerät sie eines Nachts in eine Falle. Sie stößt auf ein frisches totes Kaninchen und macht sich gierig und unvorsichtig über es her. Doch der Boden gibt unter ihr nach, und sie stürzt in eine tiefe Grube, aus der sie sich nicht befreien kann.

       Die verhassten Zweibeiner erscheinen nach Sonnenaufgang und werfen ein Netz über sie. Bevor sie es zerfetzen kann, sind drei Männer in die Grube gesprungen und haben sie trotz heftiger Gegenwehr zusammengeschnürt, bis sie sich nicht mehr bewegen kann. Dann bindet man ihr einen Sack über den Kopf.

       An die Tage und Wochen danach erinnert sie sich kaum noch. Vage Bilder einer stinkenden Hafenstadt, eines engen, vergitterten Käfigs auf schwankenden Planken, einer Wüste aus Wasser, dann wieder einer Stadt der Menschen und schließlich eines weiteren Käfigs, etwas größer als der erste, erscheinen vor ihrem inneren Auge.

       Sie ist nicht allein. Rings um ihr Gefängnis erblickt sie andere, ebenfalls eingesperrte Tiere. Manche kennt sie, etwa die gewaltigen Alafanten mit ihren Stoßzähnen und langen Rüsseln, dann die baumhohen, langhalsigen, gescheckten Tiere, die in der Steppe die Blätter der Akazien mit ihren schlangenartigen Zungen von den dornigen Zweigen pflücken, und einige Gazellenarten. Diese Herdentiere sind in einem großen, von einem tiefen Graben umgebenen Gehege gefangen. Ebenso erkennt sie den Leoparden, ihren Fresskonkurrenten, der in einem engen Verhau hinter einem Gitter auf und ab läuft und sie manchmal anfaucht. Andere Wesen hat sie dagegen noch nie gesehen, wie die riesige, gestreifte Raubkatze im Nachbarkäfig oder das große Tier mit den kurzen Hörnern und dem zotteligen Fell, das in seinem Pferch vor sich hin stiert. Und überall wimmelt es von den abscheulichen Menschen, diesen lärmenden Zweibeinern, die sie anstarren und dabei Laute ausstoßen, die denen ihres eigenen Rudels nicht unähnlich sind. yänenH

       Und dann, eines Tages, holt sie der Meister zu sich, und sie erfährt, was Schmerz ist.

      Die Rippen traten aus ihren eingefallenen Flanken hervor. Seit Tagen schon hatte sie nichts gefressen. In dieser bitterkalten Winternacht wagte sie sich wieder einmal hinunter in die Ebene, um zu jagen, aber das Wild verbarg sich, und die Viehgatter auf den Weiden standen leer, denn die Bauern hatten ihre Rinder, Schafe und Ziegen in die Ställe gebracht.

      Ein Geruch nach Dung und Mist lockte sie zu einer menschlichen Ansiedlung. Sie umkreiste das stille und dunkle Dorf, dessen Häuser fast unter dem Schnee begraben lagen. Eines stand etwas abseits. Ein wenig Licht sickerte durch die Ritzen der geschlossenen Läden und warf helle Streifen auf die drei Fuß hohe Schneedecke. Vorsichtig schlich sie näher. Ein leises Muhen drang aus dem Stall herüber, der in der Nähe des Hauses stand. Die Stalltür stand einen Spalt offen. Sie zwängte sie auf und glitt geräuschlos ins dunkle Innere. Die einzige Kuh im Stall roch die Hyäne, bevor sie sie erblickte. Sie konnte nur noch einen lauten Angstruf ausstoßen, dann zerfetzten scharfe Reißzähne ihre Kehle.

      Kaum hatte die dämonische Kreatur zu fressen begonnen, stürzten drei Zweibeiner in den Stall. Sie mussten den Todesschrei der Kuh gehört haben. Einer von ihnen trug eine brennende Fackel, die beiden anderen hielten lange Stangen in den Händen, an deren Enden gekrümmte, wie Reißzähne aussehende und gefährlich wirkende Klingen befestigt waren. Der kleinere Mensch mit der Fackel schrie erschrocken auf und ließ sie fallen, als er die hyänenartige Kreatur entdeckte, fast ebenso groß wie ihre Beute, die Kuh. Die beiden anderen kamen mit nach vorne gereckten Stangen vorsichtig auf sie zu.

      Diese lästigen Zweibeiner störten sie beim Fressen, wollten ihr vielleicht sogar die Beute streitig machen. Aber sie dachte nicht daran, sie preiszugeben. Sie empfand die kleinen, schwachen Wesen nicht als echte Bedrohung. Gier und bohrender Hunger beherrschten sie im Augenblick noch stärker als der Wunsch zu töten, und so fraß sie hastig weiter, die Menschen dabei nicht aus ihrem Blick lassend. Sie würde sich später um sie kümmern.

      Die scharfe Klinge der Sense fuhr in ihre Flanke und schlug eine klaffende, tiefe Wunde. Sie stieß ein Heulen aus und sprang auf. Bevor der Mann zu einem erneuten Hieb ausholen konnte, hatte sie ihm den Arm, mit der er die Waffe schwang, abgebissen. Er sank mit kreidebleichem Gesicht zu Boden, während ein Strahl Blut aus dem Stumpf spritzte. Der andere Angreifer drehte sich um und wollte fliehen, aber er kam nicht weit. Sie packte ihn am Bein und spürte den Oberschenkelknochen splittern. Er schrie wie ein Schwein, als sie seine Bauchdecke öffnete und die Gedärme herausriss. Tödlich verletzt, versuchte er dennoch zu entkommen und rollte sich zur Seite auf die am Boden liegende Fackel. Diese erlosch, und Dunkelheit füllte den Stall. Die dritte Person lief heulend davon.

      Draußen fand sie ihre Spur, die zur Hütte führte. Die Frau, die sich ins Innere des Hauses geflüchtet hatte, konnte ihr Schluchzen und Winseln nicht unterdrücken, und die Hyäne vernahm es. Aber die fest verschlossene Tür und die versperrten Fensterläden hielt sie auf. Und so kehrte sie zurück zum Stall und fraß sich den Bauch voll.

      Sie konnte nicht weiter. Die Verletzung machte ihr arg zu schaffen. Sie hatte viel Blut verloren und war geschwächt. Instinktiv hatte sie die Wunde ausgeleckt und gesäubert, trotz der Schmerzen, die ihre raue Zunge dem wunden Fleisch bereiteten. Nun musste sie abwarten, bis sie heilte. Aber als Tier der Savanne war sie die Kälte dieses Landstrichs nicht gewohnt. Der eisige Wind biss in ihre Wunde und quälte sie. Der Schorf gefror in dem tiefen Schnitt und verhinderte das Zusammenwachsen der Wundränder. Hier draußen würde sie nicht lange überleben.

      Zwei Tage nachdem sie die Menschen getötet hatte, fand sie endlich einen Unterschlupf: ein schmaler Höhleneingang in der Flanke einer steilen Felswand. Sie zwängte sich hindurch und kroch auf dem Bauch immer tiefer hinein, bis sich der steil hinabführende Gang etwas erweiterte. Als Nachtjäger konnte die Hyäne im Dunkeln gut sehen. Diese Fähigkeit hatte ihr Meister noch erheblich verbessert, und so reichte ihr die schwache Spur von Licht, das von weit her zu kommen schien. Hier war es nicht so bitterkalt wie draußen, und es schien umso wärmer zu werden, je weiter sie vordrang. Also kroch sie immer tiefer in den Tunnel hinein, auf das ferne Licht an seinem Ende zu. Der kaum wahrnehmbare Schimmer verstärkte sich zu einem bleichen und kalten Glühen.

      Schließlich erreichte sie eine riesige


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