Die Narben aus der Vergangenheit. Sabine von der Wellen

Die Narben aus der Vergangenheit - Sabine von der Wellen


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      Ich lasse mich auf eine Treppe zu einem Buchladen fallen und zünde mir eine Zigarette an. Es nieselt nur noch, aber hier sitze ich geschützt und die Woge des Alkohols überrollt mich immer mehr. Das Zeug war auch wirklich erschreckend stark. Vielleicht war der Wodka auch von wer weiß woher geschmuggelt oder von irgendeinem Hinterwäldler selbst gebrannt worden.

      Mir ist klar, ich werde bald stock betrunken sein und das macht mich wütend, weil ich mich so auf keinen Fall mehr bei Carolin blicken lassen kann, obwohl sie mir mit jeder Minute mehr fehlt. Und dass es ihr so schlecht ging, als ich abhaute, lässt mein schlechtes Gewissen wachsen wie eine Zauberbohne. Verdammt!

      Ich stehe auf und suche nach meinem Handy. Vielleicht sollte ich Daniel anrufen und fragen, ob er endlich zu Hause ist. Aber was soll ich ihm erklären? Dass ich wieder einmal mein Leben nicht geschissen bekomme?

      Ich hieve mich hoch und gehe los. Es regnet wieder stärker, aber ich merke das gar nicht. In mir toben immer mehr die Gedanken an all den Scheiß, der mich und Carolin ständig umgibt. Warum kann sie nicht einfach nur ein normales Mädchen mit einem normalen Leben sein?

      Wie ein kleiner, roter Teufel knurrt eine Stimme in mir: Ein normales Mädchen? Kein normales Mädchen würde bei dir durchgeknallten Kreatur bleiben.

      Ich wollte doch nur wissen, was uns in der Zukunft erwartet - verteidige ich mich, als ginge es darum.

      Jaja! Und, weißt du es jetzt? Bist du nun zufrieden? Carolin braucht dich nicht. Sie hat noch zwei andere Männer in petto, die nur auf sie warten. Und die Hellseherin sagte doch, wenn du ihr blöd kommst oder betrunken … oder zugekifft, dann ist sie weg.

      Ich bleibe stehen und lehne mich an eine Laterne. In meinem Bauch wütet etwas und in meinem Kopf wirbeln kleine Stürme. Ich laufe weiter und weiß, wohin mich meine Füße tragen. Ich gehe in mein Panikreich und werde dort versuchen wieder klar zu werden. Vielleicht sollte ich kalt duschen? Oder mich auskotzen?

      Von weiteren wilden Gedanken getrieben, die sich erbarmungslos in meinen Kopf schieben, laufe ich den langen Weg nach Hause.

      Wer sind die beiden Kerle, die Carolins anderes Schicksal sind? Und warum sind es zwei? Welche Frau hat ein Schicksal mit zwei Kerlen? Das kann es doch gar nicht geben! Wenn ein Mann zwei Frauen haben will, ist das ja noch verständlich … aber nicht die Sache mit Carolin. UND WER SIND DIE TYPEN?

      „Scheiße!“, fluche ich vor mich hin und biege in die nächste dunkle Straße ein. „SCHEISSE!“, brülle ich laut und unbeherrscht.

      Tim schiebt sich in meinen Kopf. Seine dunklen Augen und seine schimmernden schwarzen Haare mit dem Blaustich. Und dann Julian, sein Bruder.

      Mir stockt der Atem. Zwei Männer, die in einer Verbindung zueinander stehen.

      Mein Magen rebelliert und ich lehne mich an eine Hauswand, stütze mich mit der Hand ab und übergebe mich. Ich kotze den Anwohnern direkt auf die Treppe. Nah toll.

      Schnell wanke ich weiter und versuche nicht mehr an Carolin und ihre Brüder zu denken. Aber nein … Tim ist nicht ihr Bruder. Er ist nur Julians Bruder. Das hatte er uns doch erklärt.

      Ich komme von dem Thema nicht mehr los und trete wütend an einem Hauseingang gegen einen Terrakottatopf mit Blumen. Der springt krachend auseinander und ich laufe weiter. In meinem Kopf brummen Bienen, die langsam zu Hornissen werden. Und dann packt mich die Wehmut. „Das ist meine Carolin!“, jaule ich auf wie ein getretener Hund.

      „Kann sie ja auch bleiben“, murrt ein Penner, der ein klappriges Fahrrad schiebt, an dem Tüten und Taschen hängen.

      „Du bekommst sie nicht auch noch!“, brülle ich den Typ an und er schiebt sein Fahrrad schnell weiter.

      Endlich komme ich nach einer gefühlten Ewigkeit bei der Villa an und versuche mich zusammenzureißen. Im Haus ist alles dunkel und wenn ich Glück habe sind meine Eltern nicht da.

      Ich schließe die Haustür auf und stolpere die Treppe hoch. Da keiner in den Flur gestürmt kommt und das Flutlicht anwirft, scheint wirklich keiner da zu sein.

      In meinen vier Wänden angelangt, suche ich sofort nach der Fernbedienung und schließe meine Tür mit einiger Mühe, weil ich verlernt habe, sie blind zu bedienen. Und ich bin blind, oder sehe vielmehr alles doppelt, oder sogar dreifach … wie mein Wodka. Die Tussi hat mich voll abgefüllt. Wie einen dummen Buben. Und mehr bin ich auch nicht.

      „Carolin, was willst du mit mir?“, frage ich leise und in einem Anflug von Selbstzerstörung. „Du kannst jeden haben. Sogar zwei auf einmal. Aber du willst mich!“, überkommt mich eine traurige Erkenntnis, und lässt mich nicht nur auf mein Sofa fallen, sondern auch einen winzigen Lichtblick in mein Gehirn. Ich suche nach meinem Handy. Ich muss ihr Bescheid sagen, dass ich zu Hause schlafe.

      Mit größter Schwierigkeit schreibe ich: „Schatz, sei mir nicht böse. Ich wollte dir so nicht unter die Augen treten und schlafe zu Hause.“

      Mehr kriege ich nicht auf die Reihe und versende das. Mein Kopf schaltet sich aus und beginnt wie ein Hamster in einem Rad seine Runden zu drehen. Mir ist wieder übel und ich versuche, auf meinem Sofa liegend und ohne meine Schuhe oder Jacke auszuziehen, schnell einzuschlafen. Carolin hätte mich ins Bett gebracht und schlafen gelegt. Ganz sicher.

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