Die Narben aus der Vergangenheit. Sabine von der Wellen

Die Narben aus der Vergangenheit - Sabine von der Wellen


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Sie weiß, ich komme nicht mehr klar und meine offensichtliche Schwäche macht mich wütend.

      Sie geht an mir vorbei ins Schlafzimmer und ich sehe ihr hinterher. Hätte sie mich an die Hand genommen, gesagt, dass sie mich nicht gehen lässt, so würde ich bleiben. Aber sie lässt nur die Tür laut ins Schloss krachen.

      Ich spurte los, von Selbstzweifeln und Wut getrieben, greife meine Jacke und verlasse die Wohnung. Dabei lasse ich die Tür hinter mir genauso laut zufallen, wie Carolin es zuvor mit der Schlafzimmertür getan hatte. In meinem Bauch liegt ein Stein und ich spüre betroffen seine Schwere, die meine Unzulänglichkeit auf erdrückende Weise zum Ausdruck bringt. Das schürt meine Wut über alles, was mir immer wieder passiert und mit einem Mal fühlt sich sogar die Liebe zu Carolin falsch an.

      Vor Daniels Tür klingele ich Sturm. Aber er macht nicht auf. Er ist nicht da und ich verlasse wütend das Haus und laufe in die Stadt. Ich bin am Ende und alles übersteigt meine Kräfte.

      Es ist kalt und nieselt leicht. Ich schließe meine Jacke und laufe geduckt durch die Straßen. In einer Nische eines Schuhgeschäftes bleibe ich stehen und zünde mir eine Zigarette an. Ich nehme mein Handy in die Hand und will Daniel anrufen, um zu erfahren, wo er steckt. Aber noch bevor ich seine Nummer drücke, frage ich mich, was ich ihm sagen soll?

      Du, Daniel, komm mal schnell nach Hause, ich brauche dringend meine Dosis Weiß?

      Er würde mich genauso ansehen wie Carolin.

      Ich schüttele den Kopf und atme tief durch. Aus dem Nieseln wird Regen und ich sehe auf der anderen Straßenseite eine kleine Kneipe, die mir wenig einladend entgegenleuchtet. Vielleicht genau das Richtige für meine aufgebrachte, trostlose Verfassung.

      Schnell sprinte ich zur Tür, trete meine Zigarette aus und gehe hinein. Es ist nicht viel los und ich setze mich an die Theke. Eine brünette, ältere Frau beugt sich über den Tresen und fragt: „Was solls denn sein?“

      „Ein Bier“, brumme ich, weil sie mich ansieht wie Sam und Teddy Frischfleisch. Doch dann verbessere ich mich: „Ne, mach mir ein Wodka O-Saft … einen doppelten am besten.“

      Sie nickt und grinst mich ziemlich herausfordernd an und ich sehe mich um, ob es nicht noch andere Männer in dem Laden gibt, denen sie sich widmen kann. Aber es sitzt nur ein steinalter, betrunkener Kerl in einer alten Strickjacke an der anderen Seite der Theke, und eine Männerrunde mit scheinbar dem Altersheim entlaufenen Kartenspielern an einem Tisch. Mir ist klar, warum ich hier gerade zur Attraktion werde.

      Sie stellt mir ein Glas hin und ich trinke einen Schluck. Das mit dem Doppelten hat sie wirklich wörtlich genommen. Zumindest was den Wodkaanteil angeht, der schmeckt wie der Doppelte vom Doppelten.

      Da auch andere rauchen, zünde ich mir eine Zigarette an und die Wirtin beginnt Gläser zu polieren. Aber sie sieht dabei nicht die Gläser an …

      Ich trinke meinen Wodka eilig aus, weil ich lieber schnell wieder gehen möchte. Aber bevor ich mir den letzten Schluck in die Kehle kippe, steht schon ein neuer Dring da. „Geht aufs Haus“, sagt die Wirtin. „Du siehst so aus, als brauchst du noch einen.“

      Sie hat recht. Demnach könnte sie mir gleich die Flasche hinstellen.

      „Danke“, raune ich und trinke das erste Glas leer.

      Die Wirtin bringt an den Rentnertisch neue Getränke und einer packt ihr doch tatsächlich an den Hintern. Ich kann es nicht fassen! Und sie quiekt auf, als wäre sie fünfzehn.

      Ich trinke das zweite Glas auch ziemlich schnell leer und die Wirtin fragt: „Noch einen?“

      Ich will eigentlich gehen, aber ich kann nicht. Ich fühle mich einfach noch nicht bereit für die Welt da draußen. Außerdem wird Carolin sauer sein, weil sie denkt, ich bin schon wieder zugedröhnt und ich wäre das auch, wenn Daniel zu Hause gewesen wäre.

      Bevor ich etwas sage, steht schon das dritte Glas vor mir.

      Die Wirtin sieht mich an und murmelt: „Das Leben ist ein Schwein.“

      Sie spricht mir aus der Seele und ich nicke. Und dann sage ich leise: „Und ich bin auch eins. Meiner Freundin geht es nicht gut und ich bin einfach abgehauen.“

      Es dauert, bis die Wirtin sagt: „Warum solltest du anders sein als all die anderen Männer?“

      Ich sehe sie mürrisch an. „Ich muss anders sein. Sonst hätte sie sich nicht in mich verliebt.“

      Sie lacht gehässig auf. „Weißt du, Junge, wahrscheinlich hast du recht. Ich habe mir schon immer gedacht, dass es anders sein muss, als es nach außen hin scheint. Ihr Männer seid die Guten und ganz okay. Es sind die Frauen, die euch zu Schweinen machen, stimmt’s?“, sagt sie und ihre Worte klingen verdammt ironisch.

      Will sie mich verarschen?

      Ich nehme das dritte Glas und trinke einen Schluck. Ich glaube, langsam ist schon aus dem doppelten ein dreifacher geworden. Die Wirtin grinst, als ich mein Gesicht verziehe. Leise raune ich: „Nein, ich war vorher schon eins. Meine Freundin hat aus dem Schwein einen Menschen gemacht. Sie hat so was wie mich gar nicht verdient. Sie hat sogar mal gesagt, dass sie nicht weiß, was sie verbrochen hat, um mich zu verdienen.“ Ich lache wütend bei der Erinnerung daran auf. „Und trotzdem ist sie immer noch da.“

      Das Gesicht der Wirtin verfinstert sich. „Du schlägst sie doch nicht, oder?“

      Ich sehe auf. „Nein! Ich würde ihr niemals wehtun!“ Mein Mund schließt sich und ich frage mich, was ich hier gerade mache. Was ich getan habe, als ich ging. Habe ich ihr damit nicht sogar wehgetan? Es ist noch keine zwei Tage her und sie hatte sich nur eins von mir gewünscht: Dass sie wichtiger für mich ist als meine Drogen. Ich hatte ihr das versichert und sogar noch einen draufgesetzt. Sie ist das Wichtigste für mich auf der ganzen Welt! Jaja.

      „Ich bin wieder der alte Arsch. Das alte Schwein, wie schon mein ganzes Leben lang“, murre ich aufgebracht und trinke das Glas leer, um zu gehen.

      „Noch einen? Zum Abschluss?“, fragt die Wirtin und hat schon ein Glas in der Hand.

      Mir ist komisch. Das Zeug, das sie mischt, ist zu stark und die Gläser verdammt noch mal zu groß.

      „Aber bitte einen normalen“, antworte ich und bleibe sitzen.

      Sie stellt einen neuen hin und bringt dann wieder Getränke an den Herrentisch. Diesmal drehe ich mich nicht um. Aber die Alten machen Sprüche, als wären sie gerade dem Jungbrunnen entsprungen.

      „Mira, mein Mädchen, kommst du mir heute Nacht die Füße wärmen?“

      Ein anderer antwortet lachend: „Die wärmt dir nicht nur die Füße. Auch deine verschrumpelten Eier.“

      Noch ein anderer brüllt grölend: „Heute nicht. Mira ist auf einen anderen Fang aus.“

      Der ganze Tisch grölt los und ich schüttele den Kopf und nehme einen Schluck aus meinem Glas. Das Getränk ist die Hölle und bestimmt kein einfacher Wodka O-Saft. Ich weiß, nach dem muss ich gehen.

      Die Wirtin Mira kommt wieder zurück an die Theke und lächelt. Sie ist gar nicht mehr so alt und hat einen Vorbau, der sich sehen lassen kann.

      Ich krame meine Geldtasche hervor und brumme: „Was bin ich schuldig?“

      Wieder grölt die Rentnerband hinter mir los und mir wird klar, sie verfolgen jeden meiner Schritte.

      „Fünfunddreißig“, höre ich die Wirtin undeutlich sagen und haue ihr zwei Zwanziger auf den Tresen, trinke den Rest meines Glases aus und schiebe mich vom Hocker.

      „Hey Junge, komm, Jass eine Runde mit uns!“, ruft einer der Opas vom Tisch und gestikuliert wild, dass ich zu ihnen kommen soll.

      Ich winke nur ab und gehe zur Tür. Ich muss schnell hier raus, weil ich das Gefühl habe, hinter mir rattert schon ein Bulldozer heran. An der frischen Luft überrollt er mich dann auch gnadenlos.

      Ich sehe auf meine Uhr und habe Schwierigkeiten, die Ziffern zu erkennen. Eine Stunde war ich in der Kneipe


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