Die Narben aus der Vergangenheit. Sabine von der Wellen

Die Narben aus der Vergangenheit - Sabine von der Wellen


Скачать книгу
sie anlächelt. Zwischen ihm und uns bauen sich die anderen auf, die wahrscheinlich gar nicht mitbekommen haben, dass Julian nicht mitgefahren war. Selbst Daniel scheint nichts zu schnallen, als ich ihm einen aufgebrachten Blick zuwerfe.

      Wir ziehen weiter und Carolin wirkt wie verändert.

      Mir ist klar, Julian hat die Minuten genutzt, um sie sich zu schnappen. Aber ich kann sie hier nicht fragen, was vorgefallen war.

      Wir kommen wieder an einem wahren Monsterkarussell vorbei. Wir waren an diesem Abend schon einmal davor stehen geblieben und Carolin sieht auch jetzt fast schon entsetzt auf die wild schleudernden Gondeln, die nur an seitlichen Aufhängungen befestigt eine unglaublich wilde Fahrt garantieren.

      Ich würde gerne damit fahren, aber ich werde Carolin nicht noch einmal allein lassen.

      Daniel winkt mir, dass er Karten holt und ich schüttele energisch den Kopf.

      „Du kannst ruhig mitgehen“, sagt Carolin und sieht mich bittend an.

      Ich sehe zu Julian, der meinen Blick erwidert, und schüttele den Kopf. „Noch mal wird ihm das nicht gelingen“, knurre ich.

      „Ach bitte, ich will nicht, dass du was verpasst.“

      Ich lache auf und knurre aufgebracht: „Das Wichtigste habe ich schon verpasst. Und zwar dich vor Julian zu beschützen.“

      „Es ist mir nichts passiert! Er will mir nichts tun!“, versucht Carolin mich zu beruhigen.

      „Sagt er! Ich traue ihm nicht und ich will nicht, dass er dir nochmals zu nahekommt“, kann ich ihr nur wütend entgegenschleudern.

      „Dann lass uns gehen. Wir verschwinden. Wir müssen nicht mit denen mitgehen.“ sagt Carolin und sieht mich bittend an.

      Sie spricht mir aus der Seele.

      Nach ihrer Hand greifend, ziehe ich sie in die Menschenmasse, die sich an dem waghalsigen Karussell vorbeischiebt. Ich sehe mich kurz noch einmal um, aber keiner hält uns auf. Die meisten sitzen im Karussell und die anderen starren gebannt auf die wilde Fahrt.

      Erst als ich mir sicher bin, dass uns keiner mehr verfolgt, werde ich langsamer und lege Carolin meinen Arm um die Schulter. Bei der nächsten Süßigkeitenbude halte ich an. „Komm, wir holen uns noch ein bisschen Proviant für den Nachhauseweg und verschwinden dann. Was magst du am liebsten?“

      „Gebrannte Mandeln“, antwortet sie sofort.

      Ich stupse lachend an ihre Nasenspitze. „Ich sagte doch, du wurdest für mich gemacht.“

      Ich kaufe eine große Tüte gebrannte Mandeln, die auch für mich ein Muss auf jeder Kirmes sind.

      Arm in Arm gehen wir dem nächsten Ausgang entgegen und verlassen das bunte Treiben, das sich für diesen Abend scheinbar dem Ende nähert. Einige Buden schließen schon.

      Wir nehmen den kürzesten Weg nach Hause und füttern uns gegenseitig mit den süßen Mandeln.

      Carolin sieht mich erstaunt an, als wir am Hasetor ankommen und ich grinse sie an. Sie kennt sich immer noch nicht genug in der Stadt aus, um immer wieder nach Hause zu finden und ich spüre, wie sehr sie auf mich angewiesen ist. Und ich will, dass sich das niemals ändert.

      Unter der Eisenbahnbrücke ziehe ich sie an mich, drücke sie an die Wand und schiebe mich dicht an sie heran. „Ich glaube, wir brauchen eine kleine Pause. Mir ist nach einem Kuss …“, raune ich und lege eine Hand in ihren Nacken, um sie festzuhalten.

      Carolins Augen funkeln mich an und sie schlingt ihre Arme um meinen Hals. Wir küssen uns und ich spüre eine Hitze durch meine Adern jagen, als unsere Zungen sich berühren. Ich dränge mich dichter an ihren warmen Körper, der plötzlich zu erstarren scheint. Sie beendet den Kuss und nimmt ihre Arme von meinem Nacken.

      „Was ist los?“, frage ich sie beunruhigt und sehe, dass sie mich traurig und besorgt mustert. „Nichts“, haucht sie aber nur und sieht an mir vorbei.

      Ich bin mir sicher, dass sie lügt. Irgendetwas stimmt nicht.

      „Komm!“ Ich ziehe sie unvermittelt weiter und in meinem Kopf kreisen die Möglichkeiten, was in ihrem vorgehen könnte. Es kann keine Lappalie sein, wenn sie sich sogar meinem Kuss entzieht.

      Ein eisiger Schauer läuft mir über den Rücken, als Julian sich in meinen Kopf schiebt.

      Wir überqueren die Straße und gehen den Wall hinauf.

      Ich kann das Schweigen zwischen uns nicht länger ertragen und frage barsch: „Was hat Julian zu dir gesagt?“

      Carolin sieht mich erschrocken an und ich zwinge sie stehen zu bleiben. „Ich will es genau wissen!“, knurre ich aufgebracht.

      Es dauert bis Carolin antwortet. Scheinbar sucht sie nach einem Ausweg nicht antworten zu müssen. Aber den gibt es nicht und sie raunt leise: „Dass er dich in den Knast bringen kann.“

      Er hat ihr also genauso gedroht wie mir. In mir kriecht Wut hoch und ich könnte mir eine reinhauen, dass ich ihm die Möglichkeit dazu gab.

      „Das hat er mir auch angedroht. Aber er kann mir gar nichts, wenn ich keine Drogen bei mir habe und nichts nehme. Gar nichts! Und wenn er mir noch so viel die Polizei auf den Hals hetzt“, fauche ich wütend. Ich ziehe sie weiter. „Vielleicht buchten sie mich ein paar Tage ein, bis sie Gewissheit haben, dass ich sauber bin. Aber ansonsten …“, brumme ich.

      „Ein paar Tage?“, raunt sie neben mir entsetzt.

      Ich bleibe wieder stehen und sehe die Angst in ihren Augen. Ich nehme ihr Gesicht in beide Hände und versuche sie zu beruhigen. „Carolin, sie können mir nichts! Wirklich!“

      „Julian will dir etwas unterjubeln“, stammelt sie.

      Ich schließe kurz die Augen. Das ist also sein Plan.

      „Das wäre schlecht“, raune ich leise und ziehe sie weiter. „Aber ich passe auf. Und Daniel stellt sich mit ihm gut, um ihn etwas zu bespitzeln“, versuche ich ihr erneut die Sorgen zu nehmen.

      „Julian weiß, dass du Daniel auf ihn angesetzt hast. Er hat es mir gesagt“, sagt sie daraufhin nur und ich schüttele den Kopf. „Der ist gar nicht so dumm“, brumme ich.

      „Bitte sei vorsichtig. Und lass mich bitte noch einmal mit ihm sprechen. Wenn ich nur wieder mit ihm reden muss und etwas nett sein muss, damit er euch in Ruhe lässt, dann mache ich das“, sagt Carolin und mir stockt der Atem. Wenn sie „etwas nett“ zu ihm sein muss?

      Erneut braut sich in mir ein Verdacht zusammen, dass Julian ihr nicht nur ein Bruder sein will. Und hatten wir ein ähnliches Thema nicht auch schon bei Tim? Hatte sie mir da nicht auch gesagt, sie muss etwas nett zu ihm sein, damit er glaubt, sie gehört noch ein wenig ihm, damit er uns in Ruhe lässt.

      Mir wird übel und die Mandeln rühren in meinem Magen wie in einem Betonmischer.

      Wir überqueren die Straße, um kurz darauf in unsere einzubiegen.

      „Nein, eher lasse ich mich einknasten“, fauche ich.

      Ich ziehe sie im Eilschritt hinter mir her und sie kann nur mit Mühe Schritt halten. Aber ich will nach Hause, hinter uns alle Türen schließen und die Welt ausgrenzen, die ich nicht einschätzen kann. Nichts kann ich mehr einschätzen. Nicht mal mehr das, was Madame Moinette gesagt hat. Meine Welt verliert jeglichen Halt.

      Endlich biegen wir in unsere Einfahrt ein. Ich schließe kurz darauf die Haustür auf und ziehe sie hinein, während sie resigniert jammert: „Das lasse ich nicht zu. Erik, ich kann das alles nicht ohne dich. Auch nicht nur ein paar Tage.“

      Ich lasse die Tür ins Schloss fallen und atme tief ein, weil ich das Gefühl habe, mir bleibt die Luft weg.

      Sie sieht mich aus traurigen Augen an und ich ziehe sie in meine Arme. „Das wäre auch mein Untergang. Ich würde verrückt werden, wenn ich dich hier allein und schutzlos wüsste.“

      So stehen wir nur da, halten uns fest und wissen, dass Carolin


Скачать книгу