Die Narben aus der Vergangenheit. Sabine von der Wellen

Die Narben aus der Vergangenheit - Sabine von der Wellen


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war auch den ganzen Abend bei uns“, raunt Daniel leise.

      „Glaubst du, das war so geplant, um an Carolin heranzukommen?“, frage ich ihn.

      „Ich denke schon.“

      „Nah, dann war ja gut, dass wir nicht mitgegangen sind. Und kamst du mit ihm klar?“

      „Ging so. Er war den ganzen Abend überfreundlich und hat mich sogar in eins der Karussells eingeladen.“

      „Der versucht es auch mit allen Mitteln“, raune ich.

      Daniel fügt hinzu: „Aber er ist auf dich ganz schlecht zu sprechen. Er führt sich so auf, als wäre er ein eifersüchtiger Gockel.“ Daniel grinst.

      Ich kann nur ernst nicken. Die Gefahr, dass Julian einiges aus meinem Leben den Eltern steckt, ist nicht gebannt.

      Carolin kommt zu uns in die Küche und wir beenden das Gespräch sofort.

      Ellen sieht ihr lächelnd entgegen. „Bist du schon wieder arbeitswütig?“, fragt sie und kann das scheinbar gar nicht verstehen.

      „Ich musste mal wieder sauber machen“, verteidigt Carolin sich und wirft sich auf einen Stuhl.

      „Tja, das versteht sie bei mir auch nie“, sagt Daniel.

      „Ihr Helden des Alltags habt es echt nicht leicht mit uns Zeiss-Clarkson“, brumme ich mürrisch, weil Daniel und Carolin da mehr Gemeinsamkeiten aufweisen, als mir lieb ist. Fast fühle ich eine Eifersucht auf Daniel in mir hochkriechen.

      Wir trinken Cappuccino und essen Erdbeerkuchen. Carolin stochert gedankenverloren in ihrem Kuchenstück herum, während Ellen mich fragt: „Und … heute Abend? Geht ihr mit?“

      Ich weiß, noch einen Abend entlässt sie uns nicht aus ihren Klauen. „Von mir aus! Aber erst abends. So um neun.“

      Ellen freut sich und wendet sich an Carolin: „Gut, dass war gestern auch echt klasse dort. Ich zeige dir dann voll das schräge Karussell.“

      Carolin stochert weiter in ihrem Erdbeerstück herum und reagiert nicht.

      „Carolin? Hey, Erde an Carolin. Ich rede mit dir!“, versucht Ellen sie aus ihren Gedanken zu reißen.

      Das sind die Momente, wo ich mir wünsche, Carolins Gedanken lesen zu können. Wenn sie so abdriftet, werde ich sofort nervös. Ich hätte auch gerne eine gewisse Kontrolle über diesen Teil von ihr, der sie ab und zu weit weg von mir gefangen hält. Ich hasse das.

      „Ähm, ja? Was?“

      „Das war gestern echt cool! Und dazu das tolle Wetter! Wir sind überall reingegangen, außer in dieses eine Wahnsinns-Monsterkarussel. Ich schwör dir, das ist der Hammer!“

      „Wir können ja vielleicht heute Abend auch zur Kirmes gehen?“, meint Carolin ohne Begeisterung. Sie sieht mich an.

      „Um neun! Wir haben das gerade eben schon geklärt. Wo warst du mit deinen Gedanken?“, brumme ich.

      „Ach so. Gut!“, sagt sie nur, und isst ihren Kuchen weiter.

      Nur weil Daniel und Ellen da sind, entgeht sie einem Übergriff von mir, der sie schon dazu bringen würde, mir zu sagen, was in ihrem Kopf vorgeht. Und ich kann es nicht mal verschieben. Daniel und ich müssen gleich noch zu einem befreundeten Automechaniker, der einige Ersatzteile für Daniels BMW verkaufen will.

      Nach dem Kaffeetrinken wollen wir uns auf den Weg machen. Ellen möchte noch bei Carolin bleiben und sie wollen noch einen weiteren Cappuccino trinken.

      Ich sehe Carolin unschlüssig an und muss doch schlucken, dass ich hier und jetzt nicht erfahren werde, was sie wieder so weit von mir wegbrachte. Aber dass es etwas Derartiges gibt, wurmt mich tief in meinem Inneren und ist für mich ein unerträglicher Zustand, den ich nur mit Mühe ertragen kann.

      Zukunftsvision

      Dass ich überhaupt zu dieser Kirmes gehe, liegt nur an dem Umstand, dass ich mir dort mein Quäntchen Zukunftsvision holen will. In diesem Herbst treibt es mich mehr denn je zu diesem Einblick in meine Zukunft.

      Die Vorhersage der Hellseherin Madame Moinette, die dort jedes Jahr ihr Zelt aufschlägt, hatte sich bisher für mich in vollem Umfang erfüllt. Sie hatte mir gesagt, dass ich auf jemanden treffen werde, die mein ganzes Leben verändern wird. Und so ist es dann auch gekommen. Ich bin auf Carolin gestoßen. Nun muss ich wissen, wie es mit uns weitergeht.

      Daniel und Ellen gehen dicht hinter uns durch die Menschenmasse, die sich über den lauten, bunten Platz schiebt.

      Ich halte Carolins Hand fest in meiner. An ihrem Gesichtsausdruck sehe ich, dass sie sich unwohl fühlt. Sie wirkt in dieser schrillen, lauten Buden- und Karussellwelt klein und zerbrechlich. Immer wieder wird sie angerempelt und ich ziehe sie dicht an mich heran. Sie wirkt wie ein Plastikball in einem tosenden Meer.

      Für Ellen hingegen scheint das hier eine Welt zu sein, die sie täglich erleben könnte und sie hätte doch nie genug davon. Sie zieht Daniel zu einer Bude und fordert von ihm, dass er ihr eine Rose schießt. Natürlich lässt er sich nicht lange bitten, bezahlt und schießt aus dem Stegreif drei Rosen ab. Ellen gibt er eine Weiße und eine Rote. Carolin hält er eine Gelbe hin, die sie unsicher nimmt. Sein Lächeln ist entwaffnend und ich denke, nur deshalb nimmt Carolin die Rose überhaupt an und knüllt sie wenig später ziemlich lieblos in ihre Handtasche.

      Ich besehe mir das Ganze mit gemischten Gefühlen. Dass Daniel ihr die Rose gab, ließ in mir eine Welle der Entrüstung hochtreiben. Aber dass Carolin sie dann in ihre Handtasche knautschte, ließ diese Welle wieder zu einer seichten Gischt werden. Und sie fordert nichts von mir. Weder, dass ich ihr eine Blume schieße, noch sonst etwas.

      Ellen drängelt bei einer Hot Dog Bude, dass sie Hunger hat und wir holen uns alle ein Hot Dog.

      Immer wieder treffen wir auf Bekannte und bleiben hier und da stehen, um jemanden zu begrüßen und uns kurz zu unterhalten. Dabei versucht Carolin mehr als einmal sich von meiner Hand zu lösen.

      Ich weiß, es sind die verblüfften Blicke, die sie treffen und verunsichern. Hier und heute scheint auch der Rest der Welt zu erfahren, dass ich nicht mehr der Alte bin. Es gibt ein Mädchen an meiner Seite und ich bekenne mich ganz offen zu ihr.

      Aber scheinbar ist das immer noch ein Problem für Carolin, dass ich nicht einschätzen kann. Mittlerweile denke ich aber, dass ihre Ausbruchversuche nur dazu dienen, den neuen Erik nicht vor allen bloßzustellen. Denn viele sparen nicht mit dummen Bemerkungen diesbezüglich, was mir wieder vor Augen hält, was alle über mich denken. Ich gelte immer noch als Junkie, Drogendealer, Schläger, Geldeintreiber, irrer Draufgänger und Frauenherzenbrecher, den bisher keine länger als eine Nacht halten konnte. Und für den einen oder anderen bin ich wahrscheinlich auch noch ein seelenloser Mädchenhändler. Das zumindest meine ich in den Gesichtern der Leute zu erkennen, die mich an diesem Abend begrüßen und ansprechen - mehr oder weniger freundlich, aber vollkommen überrascht darüber, mich nun mit einer Frau an meiner Seite zu sehen.

      Dass Carolin lieber nicht der Gerüchteküche um mich herum auch noch Nahrung geben will, verstehe ich zwar, entlasse sie aber keinen Moment aus meinem festen Griff. Ich habe mich geändert und sie an meiner Seite zu haben soll das jedem klarmachen. Wo ich immer glaubte, mit so etwas eher Schwäche zu zeigen, erfüllt es mich nun mit Stolz. Zu viele Menschen hatten in den letzten Jahren begonnen, mich als Irren hinzustellen, statt meinen Lebenswandel als cool zu bezeichnen. Ich schnallte das nur lange nicht und eins ist mir klar … ich will nicht mehr als irrer Draufgänger ohne vernünftige Lebensperspektive bezeichnet werden, der sein Leben einfach nicht geschissen bekommt.

      Ich versuche den Weg zu dem etwas abgelegenen Zelt zu finden, in dem ich mir meine Zukunftsvision holen will, was sich aber bei jeder Kirmes erneut als schwierig erweist. Es sind so viele Straßen und Gassen und man hat nur schwer einen Überblick. Außerdem bin ich nervös. Was werde ich erfahren? Und wenn es eine schlechte Nachricht ist, wie soll ich dann damit umgehen?

      Mir ist unwohl bei dem Gedanken.


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