Königin der Spiegelkrieger. Werner Karl
so einfach nähern. Und du und er gehören zu diesem Kreis. Und du weißt, dass er diese Aufgabe todernst nimmt. Ich kann ihn nur schwer dazu bringen, seine selbst auferlegte Pflicht für andere Dinge zu unterbrechen. Für dich zum Beispiel. Bitte sieh mich an«, forderte sie und ließ die Hände vor ihren Schultern sinken.
Inga wandte sich ihr zu und ein zaghaftes Lächeln stahl sich in ihre Augen.
»Ja, du hast recht, Lu… Arianrhod. Er nimmt seinen Dienst sehr ernst. Er hadert immer noch mit seinem Versagen bei Túans Ermordung …«
»Es war weder seine Schuld noch sein Versagen. Niemand außer mir hätte Túan retten können.«
Ingas Kopf ruckte nach oben. »Auch du machst dir Vorwürfe?«
Arianrhod lachte hart auf und ihr vorheriger leichter Ärger änderte seinen Ursprung.
»Natürlich, was denkst du denn? Ich stand ihm am nächsten, ich hätte Trebius Servantus niemals so nahe an ihn heranlassen dürfen. Ich hätte ihn noch davon abhalten können, wenn mich meine Ahnungslosigkeit und Überraschung nicht gelähmt hätte.« Sie machte eine winzige Pause. »Túan würde noch leben und an meiner Seite sein.« Wieder kam der Neid auf Ingas Glück in ihr hoch.
»Und warum gibst du ihm nicht von dem Trank? Alle denken so, sie trauen sich nur nicht, dich danach zu fragen. Du bist ihre Königin. Ich … bin deine Freundin.« Wieder lächelte sie zaghaft und endlich nahm sie Arianrhod in ihre Arme. »Sie haben mich zu dir geschickt, um dich genau das zu fragen.«
»Wer sind sie?«, fragte Arianrhod und dachte sofort an Sétanta.
»Na, Maelchon, Catriona, Fionnghal, fast alle Führer baten mich um diesen Besuch.«
Die beiden Frauen lösten sich voneinander und auf eine Geste Arianrhods hin, setzten sie sich auf zwei dick mit Fellen bedeckte Hocker aus Holz. Einer davon war extra für Mutter und Kind mit stützenden Arm- und Rückenlehnen ausgestattet worden. Für ein paar Augenblicke sagte keine der Frauen etwas, sondern lauschten dem Knistern des Feuers und dem ruhigen Atmen des schlafenden Brannon.
»Und Sétanta?«, fragte Arianrhod schließlich und hatte den Eindruck, dass Inga für diese Nachfrage dankbar war.
»Ich mag ihn nicht, er ist mir unheimlich«, antwortete Inga sofort und eine gewisse Erregung färbte ihre nächsten Worte. »Natürlich steckt er dahinter.« Sie schüttelte leicht den Kopf und blickte ihre Freundin nun offen an. »Ich bin sogar der Überzeugung, dass er nicht lange damit warten wird, diesen Schritt von dir zu fordern.«
Ein wenig erstaunt und doch im Innersten wenig überrascht, nickte Arianrhod und griff nach einer Schale mit gewässertem Wein. Sie bot Inga ebenfalls davon an, doch die lehnte stumm ab. Sie nahm einen tiefen Schluck und knetete dabei unbewusst eine ihrer schmerzenden Brüste. Inga sah es, sagte aber nichts.
»So, du meinst also, er wird dies von mir fordern. Was könnte er für einen Grund dafür haben, außer mir meinen Mann und den Kriegern ihren Anführer zurückzugeben?«
Inga bewies, dass sie sich längst mit dieser Frage beschäftigt hatte, denn sie antwortete sofort.
»Genau das! Er scheint in dir nicht die Anführerin zu sehen, welche die Picten - entschuldige, die Cruithin - für ihren Kampf brauchen.«
»Aber es gibt viele weibliche Kriegerinnen … und auch Fürstinnen. Das sollte ihm nicht fremd sein.«
»Vielleicht traut er dir trotz deiner Abkehr von Rom und deiner Rache an Magnus Lucius nicht.« Sie hatte bewusst das Wort Vater vermieden. »Möglicherweise hält er die bereits existierende Armee für nicht ausreichend, um die Römer aus ganz Britannien zu vertreiben.«
Jetzt war Arianrhod wirklich überrascht. »Du meinst, er will weitere Spiegelkrieger erschaffen? Es existiert noch ein kleiner Rest des Trankes …«
»Und diesen verwahrt er wie einen Schatz …«, fiel ihr Inga ins Wort.
Sie hat es auch bemerkt, schoss Arianrhod der Gedanke durch den Kopf.
»… aber er scheint der Meinung zu sein, dass damit sich die Zahl der Krieger nicht wesentlich steigern lassen dürfte. Womit er sicherlich auch recht hat. Ich habe den Schlauch ein einziges Mal gesehen, bevor er ihn weggepackt hat. Es ist nicht mehr als ein Schluck davon übrig.«
»Sétanta ist alt. Vielleicht will er diesen Rest für sich nutzen. Wenn er stirbt, könnte ein Verwandter ihn damit ein zweites Leben geben.« Arianrhod nahm einen weiteren Schluck und stellte dann den Krug beiseite. »Hat denn Sétanta eine Familie?«
»Ich habe mich behutsam danach erkundigt. Er hatte früher eine Frau, die aber schon lange tot ist. Von anderen Verwandten weiß ich nichts, aber das hat nichts zu sagen.«
Es klopfte an der Tür und am Rhythmus erkannte Arianrhod, dass es nun wirklich Swidger sein musste. Zu Ingas Überraschung glitt ihre Hand jedoch trotzdem an einer Lehne herunter und gelangte somit in die Nähe einer wie zufällig bereitstehenden Klinge, die frisch geschliffen im flackernden Licht des Feuers blinkte.
Arianrhod hatte natürlich die verhaltene Eifersucht Ingas gespürt und ihre in Wahrheit sinnlose Geste sollte der Freundin nur signalisieren, dass sie und Swidger noch nicht so vertraut waren, dass sie auf diese Vorsichtsmaßnahme verzichten konnte. Und prompt huschte ein zufriedenes Lächeln über Ingas Gesicht. Nur einen Wimpernschlag lang, doch Arianrhod genügte es.
»Wer ist da?« Sie vermied es, einen Namen zu rufen.
»Swidger, meine Königin. Und Sétanta ist bei mir.«
Die Frauen warfen sich beredte Blicke zu.
»Kommt herein!«
Die schwere Tür öffnete sich und Swidger füllte die Lücke fast völlig mit seinem mächtigen Körper aus. Natürlich entging ihm nicht Arianrhods baumelnde Hand in der Nähe der Klinge und er runzelte ein klein wenig die Stirn. Trotzdem nahm er freudig die entspannte Szene in sich auf und machte wortlos Platz für den alten Druiden. Der schob sich langsam herein, warf einen Blick auf den schlafenden Jungen und blieb aufgerichtet stehen.
»Ich sehe, es geht euch beiden gut, Königin«, begann er und ihm war anzusehen, dass er vor Ungeduld förmlich brannte. Sogar auf eine Begrüßung hatte er verzichtet, wahrscheinlich aber einfach nur vergessen.
Als Inga sich erheben und verabschieden wollte, hielt Arianrhod sie mit einer Geste zurück.
»Bleib hier, Inga. Es gibt nichts, was du nicht hören dürftest. Und auch du bleibst hier, Swidger.«
Der Germane nickte nur und blieb neben dem für ihn zu niedrigen Türstock, aber auf der Innenseite des Raumes, stehen. Seine Hand lag dabei wie zur Entspannung lässig auf dem Knauf seines riesigen Breitschwertes.
Sétanta sah sich um, konnte aber keine weitere Sitzgelegenheit entdecken und blieb somit einfach stehen. Er schien mit sich zu ringen und bot somit Arianrhod Gelegenheit, ihn zu betrachten.
Seine gebräunte Haut war zerfurcht wie die wildesten Schluchten und Berge des Hochlandes. Seine hohe Gestalt war hager, fast dürr, strahlte aber eine Kraft aus, die manche Männer in geringerem Alter nicht aufbieten konnten. Überhaupt hatte sie keine Ahnung, wie alt der Druide war. Er hatte es bisher nie erwähnt. Seine weiße Druidenkutte war frisch gewaschen und trug natürlich Symbole, wie sie Arianrhod schon auf Túans Kutte gesehen hatte. Dazu aber auch einige, die ihr unbekannt waren. Seine grauen Augen wirkten wie eine Mischung aus Fels und Stahl. Seine sonst beherrschte Gestik schien verschwunden, eine gewisse Unruhe verleitete ihn zu nervösen Bewegungen.
Er weiß nicht, wie ich reagieren werde, wenn er seinen Wunsch – nein, seine Forderung – vorbringen wird, dachte Arianrhod und lächelte ihm ehrlich, aber vorsichtig, entgegen.
»Danke der Nachfrage, Sétanta, es geht uns gut. Was verschafft mir die Ehre deines Besuches? Es tut mir leid, dass ich dir keinen Platz anbieten kann, aber dein Besuch ist sicher eher privater Natur und dies ist keine Audienzhalle, nicht wahr?«
»Ja …,