Leichenacker. Rudi Kost

Leichenacker - Rudi Kost


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und den Tag in einer Freiluftkneipe ausklingen zu lassen, ehe die lange Winterpause begann. Spätsommer eben. Oder auch schon Frühherbst, je nach Sichtweise.

      Ich war erst wenige Schritte gegangen, als mein Handy klingelte.

      »Das hast du doch nicht ernst gemeint?«, fragte Keller.

      »Natürlich. Ich finde, eine Wumme passt gut zu mir.«

      »Ich meinte das mit dem Privatdetektiv.«

      »Doch.«

      »Was doch?«

      »Das ist ernst gemeint. Und das Schild sieht toll aus. Solltest du dir mal ansehen.«

      »Warum denn Privatdetektiv, um Himmels willen?«

      »Ein Mann in meinem Alter braucht Perspektiven. Und als Privatdetektiv benötigt man hierzulande keine Lizenz, oder?«

      »Leider nein.«

      Aufgelegt. Was Keller nur hatte? Wahrscheinlich fürchtete er die private Konkurrenz. Aber so ist sie halt, die Markt­wirtschaft. Knallhart. Wie ich. Nur die Tüchtigsten überleben.

      ***

      Ich war zu Fuß unterwegs und hatte tapfer den langen Marsch von der Gelbinger Gasse hinauf zur Polizeidirektion auf mich genommen. Als Privatdetektiv muss man schließlich etwas tun für seine Kondition. Die fünfzehn Minuten bergauf waren schon mal kein schlechter Anfang gewesen. Wenn man davon absah, dass ich schnaufte wie ein scheintoter Kettenraucher.

      Bergab ging’s leichter.

      Beim Weinhaus Hall legte ich einen Zwischenstopp ein und betrachtete angelegentlich die Regale, die ich sonst ignorierte. Sarah war irritiert und versuchte vergeblich, mich für neue Weine von Fritz Haag oder Bassermann-Jordan zu interessieren. Auch ein Moulin à Vent konnte mich nicht begeistern. Hat man jemals von einem harten Kerl gehört, der Burgunder trinkt?

      Ich entschied mich für einen Macallan. Wenn schon, dann natürlich Single Malt. Stil ist alles, was zählt im Leben.

      Aber wenn ich schon mal hier war, konnte ich auch gleich meinen Weinvorrat aufstocken. Unbesehen akzeptierte ich Sarahs sämtliche Offerten und war nur leicht schockiert, als ich die Rechnung sah. Einen Rückzieher konnte ich jetzt nicht mehr machen. Als kleinen Trost packte Sarah mir eine Flasche aus ihrem eigenen Weinberg dazu, einen ganz besonderen Tropfen für besondere Kunden. Leider war es eine der letzten Flaschen, sie hatte ihren Wengert vor einiger Zeit verkauft.

      Die Sonne strahlte, der Himmel blitzte, und ich war bester Laune. War das Leben nicht schön? Auf den Papierkram, der sich im Büro stapelte, hatte ich wenig Lust und beschloss daher, mir eine kleine Auszeit zu gönnen. Mal sehen, was im Städtchen so los war heute.

      Ich ging an der Michaelskirche hinunter zum Marktplatz, wo vor dem Rathaus gerade ein Sektempfang stattfand. Ein frisch getrautes Paar sonnte sich in seinem Glück und im schönen Wetter.

      Heiraten! Wo doch jede zweite Ehe wieder geschieden wird. Und diese Streitereien um den Unterhalt hinterher! Ob ich den beiden mal von meinen Erfahrungen erzählen sollte? Jede Wette, dass einer von ihnen in ein paar Jahren bei mir auf der Matte stehen wird und wissen will, in welchen fremden Betten es der Partner so treibt. Aber solch banale Fälle wird der Privatdetektiv Dillinger natürlich nicht übernehmen.

      Wenn man durch Schwäbisch Hall geht, trifft man unweigerlich auf Bekannte und bekommt genauso unweigerlich den neuesten Klatsch zu hören.

      Diesmal kam er von Melinda Füssling, einer fülligen, aber aparten Frau in den Fünfzigern, die über reichlich Geld und noch mehr Zeit verfügte und beides in diverse soziale Aktivitäten investierte. Sie war bestens vernetzt in der Schwäbisch Haller Society.

      »Hast du schon gehört, Dillinger? Der Schreibwaren­händler will heiraten.«

      »Sag bloß! Hat sich dieser alte Schwerenöter also einfangen lassen.«

      »Wurde auch Zeit, schließlich steht er kurz vor der Rente.«

      »Na ja, in diesem Alter ist das mit dem Stehen so eine Sache. Kennt man sie?«

      »Ferkel! Er soll sie in der Türkei kennengelernt haben.«

      »Aha, deshalb muss er also heiraten! Kein Sex vor der Ehe, unumstößliche islamische Regel. Wie alt?«

      »Weiß man nicht. Auf alle Fälle jung. Den Maler Fröschl kennst du, oder? Der steht kurz vor der Pleite. Er hat nämlich seinen dicken BMW gegen einen Golf eingetauscht, und der ist nicht mal neu.«

      »Das ist der Wagen seiner Frau«, wusste ich.

      »Die fährt jetzt einen kleinen Skoda, und der sieht auch schon ziemlich mitgenommen aus.«

      So, so, ein abtrünniger Kunde. Der BMW und der Golf waren bisher bei mir versichert gewesen, der Skoda nicht.

      Der Marktplatz war erfüllt vom fröhlichen Lärmen der Hochzeitsgesellschaft. Ich dachte an meine eigene Hochzeit damals. Wir hatten uns am Abend so in den Haaren, dass aus einer romantische Hochzeitsnacht nichts wurde – ich schlief auf dem Sofa. Das hätte uns eine Warnung sein müssen.

      Keine Sentimentalitäten jetzt, ich war dabei, mein Leben völlig umzukrempeln. Kein Blick zurück, nur nach vorn.

      Ich verabschiedete mich von Melinda Füssling, die enttäuscht wirkte, weil sie nicht alle ihre Geschichten losgeworden war, und ging weiter.

      Die Idee mit der Fluppe à la Humphrey Bogart war wirklich nicht schlecht. Und sie war um Längen leichter zu beschaffen als eine Pistole.

      Ich betrat das Tabakgeschäft »Seifried II« und überlegte lange. Ich kannte mich nicht mehr so gut aus mit den Marken. Auf jeden Fall was ohne Filter. Am besten die schwarzen Französischen in der blauen Schachtel. Knallhart. Und eine Schachtel Streichhölzer dazu, Bogey hatte auch kein Feuerzeug, oder?

      Weil Genuss verbindet, ging ich in den anderen Raum hinüber zu Harry’s Bar und Vinothek und beäugte seine Be­stände.

      Ich zog einen Untertürkheimer Goldkapsel-Riesling von Wöhrwag aus dem Regal, ein feiner Tropfen. Harry hatte auch Whisky, das hatte ich bisher völlig übersehen. Also dann noch einen Talisker, bitteschön.

      Ich bestellte einen Cappuccino, setzte mich vor dem Laden auf die Bank und zündete mir eine Zigarette an. Ich nahm einen tiefen Zug und musste fürchterlich husten. Herrgott, schmeckte das widerlich!

      Ich klemmte mir die Kippe in den Mundwinkel wie Bogey. Der Rauch ließ meine Augen tränen. Das war noch nicht perfekt, das musste ich noch üben.

      Xaver Hintermeier kam vorbei, Oberstudienrat (Deutsch, Geschichte) und selbsternannter Philosoph, der mit verschwurbelten Volkshochschulvorträgen seine wenigen Zuhörer nervte. Er schob eine beachtliche Wampe vor sich her. Der verbliebene Haarkranz stand ab, als stünde er unter Strom.

      Er sah mich und blieb abrupt stehen. Lange starrte er mich mit düsterer Miene an, dann kam er auf mich zu.

      »Du siehst zufrieden aus«, sagte er.

      »Du nicht.«

      Er machte eine wegwerfende Handbewegung und lachte kurz, aber bitter auf.

      »Etwas ist zerbrochen«, sagte er.

      »Was?«

      »Das Glück? Die Zukunft? Das Leben? Jedenfalls liegen die Scherben auf dem Boden.«

      »Aha.«

      »Und jetzt die alles entscheidende Frage: zusammenkehren oder liegen lassen?«

      Ich nickte mitfühlend. »Kenn ich. Habe selber schon genügend solcher Scherben zusammengekehrt. Und wenn du sie liegen lässt, trittst du prompt hinein. Das schmerzt.«

      »Aber vielleicht brauchen wir manchmal gerade diesen Schmerz. Damit wir zur Besinnung kommen.«

      »Das Leben ist nicht einfach.«

      »Doch. Du musst es nur in die Hand nehmen. Dich entscheiden.«

      Dann konnte


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