Leichenacker. Rudi Kost

Leichenacker - Rudi Kost


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      »Papierkram! Sinnloser Papierkram! Siehst du denn nicht, wie um uns herum die Welt zerfällt? Die Klima­katastrophe. Die Rentenkürzungen. Die Kinderlosigkeit. Die Islamisten. Unsere Regierung. Wo bleiben da die Per­spektiven? Ich brauche etwas, worin ich Halt finde. Trost. Ich suche einen Sinn für die Jahre, die mir noch bleiben. Im nächsten Jahr werde ich vierzig. Ich habe die Midlife-Crisis.«

      Sonja verdrehte die Augen. »O Herr, schmeiß Hirn ra!«

      »Pass auf, dass es dich nicht trifft.«

      Ich ging in mein Zimmer hinüber. Währenddessen fiel mir auf, dass mir etwas aufgefallen war. Ich stutzte. Etwas war anders. Ich drehte mich um. Ich schaute Sonja an.

      »Was ist denn mit dir los?«, fragte ich erstaunt.

      »Was soll schon sein?«

      »Kein Western-Look? Kein Sari? Ist was passiert? Du bist so … normal heute.«

      »Wenigstens einer in diesem Büro muss doch normal sein.«

      »Normal? Du redest von normal? Ist das normal, dass du mit Frauen ins Bett gehst?«

      »Das machst du doch auch.«

      »Derzeit nicht.«

      »Aha, daher weht der Wind! Der gnädige Herr hat einen Hormonstau. Deshalb diese wirren Gedanken.«

      So etwas Dummes war keine Antwort wert.

      Ich ging in mein Büro. Ach, Susan! Es war nett gewesen, aber es hat nicht sollen sein, wieder mal nicht. Ich musste mich damit abfinden, dass ich allmählich zu alt wurde für die Liebe. Was soll’s! Damit musste man sich abfinden. Wir sind hart im Nehmen, wir Privatdetektive.

      Ich drehte mich noch einmal um und rief zu Sonja hinaus: »Außerdem, das mit den Frauen habe ich hinter mir. Viel zu viel Stress. Ab jetzt lebe ich im Zölibat.«

      Ich setzte mich in meinen Schreibtischsessel, drehte mich, legte die Beine aufs Fensterbrett und schaute hinaus in die Gelbinger Gasse. Genauer gesagt schaute ich auf das Haus, das mir gegenüber in der Gelbinger Gasse stand.

      Von der schnuckeligen Kleinen, die dort neu eingezogen war und die bisher noch keine Zeit für Vorhänge gefunden hatte, war nichts zu sehen. Die war doch nicht etwa arbeiten?

      Ich wartete auf meinen ersten Kunden.

      Da klingelte das Telefon.

      Es war ein Kunde. Aber einer aus meinem anderen Leben. Aus meinem zukünftigen Nebenberuf. Heiner Baldauf, Lohnunternehmer in Bühlerzell. Ohne ihn und seinesgleichen war die heutige Landwirtschaft nicht denkbar. Kurz gesagt: Der Bauer säte, die Lohnunternehmen fuhren die Ernte ein. Sie hatten die schweren Maschinen, die für den einzelnen Bauer viel zu teuer waren, wenn sie nur wenige Tage im Jahr im Einsatz waren.

      Baldauf tobte.

      Jemand hatte sich an seinen Machinen zu schaffen gemacht, und zwar schon zum dritten Mal innerhalb von zwei Wochen. Zuerst waren die Vorderreifen, dann die Hinterreifen seines Traktors zerstochen worden. Was heißt zerstochen! Für diese dicken Dinger brauchte man schon einen Bohrer. Jetzt hatten alle vier Reifen dran glauben müssen, zudem waren die Bremsleitungen angesägt und die Kabel zerschnitten worden.

      Das musste ich mir ansehen.

      Musste ich eigentlich nicht. Aber es war ein willkommener Anlass, der Bürofron zu entkommen.

      Ich stand auf und machte mich auf den Weg.

      »Außentermin«, sagte ich im Vorbeigehen zu Sonja.

      »Der erste Fall für den Privatdetektiv?«, gab sie zurück. Es klang nicht begeistert. Nicht einmal spöttisch. Eher sauer.

      »Quatsch. Ein öder Versicherungsfall.«

      »Und welcher genau?«

      »Baldauf in Bühlerzell. Wieder ein Fall von Van­da­lismus.«

      »Das kann warten. Auf deinem Tisch türmen sich jede Menge unerledigter Fälle. Die arbeitest du erst mal ab.«

      »Für Papierkram bist du besser geeignet. Ich bin ein Mann, ich brauche die freie Wildbahn.«

      Sonja hatte ein Funkeln in den Augen, das mir gar nicht gefiel. Sie holte tief Luft, dann zischte sie: »Jetzt ist Schluss mit diesem Kinderkram. Ich habe keine Lust, mich andauernd bei unseren Kunden entschuldigen zu müssen, weil du deine Sachen nicht erledigst.«

      »Ich bin in einer Sinnkrise«, wagte ich einzuwerfen.

      »Scheiß drauf!« Sie wurde lauter. »Von diesem Papier­kram, wie du das nennst, leben wir, das weißt du ganz genau. Oder ist dir das in deinem Größenwahn entfallen? Wir sind Partner, aber das sind wir die längste Zeit gewesen, wenn du nicht auch deinen Teil beiträgst. Ich will nicht die ganze Arbeit alleine machen müssen. Ich bin nicht deine Sekretärin.«

      Ich war verdattert und, ja, auch etwas eingeschüchtert. So kannte ich Sonja überhaupt nicht. Für mich war sie die personifizierte Ausgeglichenheit, was an sich schon ein Ding der Unmöglichkeit ist und bei einer Frau sowieso. Immer fröhlich, immer freundlich, für jede Kabbelei zu haben. Etwas exzentrisch, gewiss, doch auf eine charmante Art.

      Doch jetzt war sie zur Furie geworden.

      Und sie war noch nicht fertig.

      Sie packte mich am Arm. Ihr Griff war so hart, wie man es bei einer Frau ihrer Statur nicht vermutet hätte. Sie hatte den achten Dan und verbrachte viel Zeit im Sportstudio. Wie sich das anfühlte, hatte ich selber noch nicht zu spüren bekommen. Sie schob mich in mein Zimmer.

      »Was ist los mit dir? Hast du deine Tage?«

      »Und wenn, dann geht dich das einen Scheißdreck an!«

      Also doch. Oder noch schlimmer, war sie vielleicht schwanger? Aber nein, da brauchte ich mir bei ihr nun wirklich keine Gedanken zu machen.

      Ich schloss die Tür, wartete eine Weile und riss sie dann wieder auf. So schnell gab ich nicht klein bei.

      »Oder sind das vielleicht die Wechseljahre?«

      Was da angeflogen kam, war ein Kaffeebecher. Er verfehlte mich knapp und zerbarst am Türrahmen.

      Scherben in einer braunen Lache. Liegen lassen oder zu­sam­men­kehren? Liegen lassen. Hier galt das Ver­ur­sacher­prinzip, sollte Sonja sich selber um die Sauerei kümmern.

      Sie stand da, stemmte die Hände in die Hüfte und funkelte mich wütend an. Sie war ungeheuer sexy in ihrem Zorn, aber das sagte ich jetzt besser nicht. Ich sagte am besten überhaupt nichts mehr.

      Was war nur los mit ihr? Ob ich sie fragen sollte? Aber ein Blick in ihre Augen belehrte mich eines Besseren. Nicht der richtige Zeitpunkt, entschied ich. Man muss wissen, wann man zu schweigen hat. Ich fürchtete einen neuerlichen Wutausbruch.

      Also setzte ich mich hinter meinen Schreibtisch und starrte finster auf den Stapel Papierkram.

      Sonja kam zur Tür und starrte mich genauso finster an.

      »Willst du mich etwa beaufsichtigen?«, fragte ich.

      »Ja.«

      Allmählich reichte es. »Hör auf, mich wie ein kleines Kind zu behandeln.«

      »Du bist wie ein kleines Kind. Du denkst nur an dich, und wenn man dir dein Spielzeug wegnimmt, weinst du.«

      »Was immer es ist, wir können reden. Aber lass deinen Frust nicht an mir aus.«

      Wortlos drehte sie sich um und knallte die Tür zu. Es schepperte ziemlich.

      Dann eben nicht.

      Ich rief bei Baldauf an, dass es später würde, und widmete mich genervt dem Papierstapel.

      Obenauf lag der Brief einer Rechtsanwältin aus Aalen. Dr. Nele Bögelsack-Aufderheyde. Heiliger Strohsack, eine Doppel­tussi! Ich sah sie vor mir: schwarze Hornbrille, streng toupiertes Haar, bestimmt ein paar Pfunde zu viel. Kein Make-up und ein schmallippiger Mund.

      Als


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