INDOCHINA. Der lange Weg nach Dien Bien Phu. Thomas GAST

INDOCHINA. Der lange Weg nach Dien Bien Phu - Thomas GAST


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ihn in den Dreck und eröffnete ebenfalls das Feuer.

      »Irgendwo links von uns ist der Zugtrupp, unser Sammelpunkt. Lass uns schnellstens von hier verschwinden.«

      Während er sprach, richtete er sich halb auf.

      Montag blieb liegen, zerrte den Kameraden in die Deckung zurück.

      »Runter Idiot, oder willst du, dass Hieu-Tu dein Grab wird?«

      Der schlanke hochgewachsene Legionär starrte ihn verblüfft an. Er verstand nicht, hatte ans Sterben gar nicht gedacht. Was er aber verstand, war, dass sich die Situation alles andere als komfortabel präsentierte. Nur nicht lebend den Viéts in die Hände fallen, das hatte man ihnen eingetrichtert. Immer und immer wieder. Es gingen genug Horrorgeschichten herum.

      Schüsse fegten ununterbrochen ganz knapp über seinen Kopf hinweg, klatschen an die Mauer einen Meter hinter ihm. Ein Mörtel- und Holzsplitterregen prasselte auf ihn nieder.

      »Siehst du den Brunnen etwa achtzig Schritt halblinks vor uns?«

      Karlheinz Montag musste schreien, damit seine Stimme den Kampflärm übertönte. Regen und Wind rissen ihm die Worte von den Lippen. Nur vage Wortfetzen blieben übrig. Der Legionär nickte. Er trug keine Kopfbedeckung, hatte seinen Helm beim Sprung verloren. Mit einer hundert Mal geübten Geste steckte Montag eine Gewehrgranate auf seine Waffe, visierte dann den Brunnen an, schoss und lud sofort nach, ohne zunächst auf das Resultat zu achten. Inzwischen wusste wohl jeder Legionär der ersten Kompanie, dass Montag ein exzellenter Schütze war. Die Vietminh sollten das am eigenen Leibe erfahren. Die erste Granate erreichte ihr Ziel, brachte das schwere MG zum Schweigen. Ein Mann in Schwarz erhob sich hinter dem Brunnen, torkelte zwei Schritte auf die Straße und sackte dann in sich zusammen. Kaum zwei Sekunden später war das MG wiederbesetzt und ratterte von neuem los. Rechts entstand Bewegung. Montag erkannte den Ernst der Stunde sofort. Man wollte ihnen in den Rücken fallen. Schuss um Schuss feuerte er in rascher Folge in die Richtung der feindlichen Positionen. Überall in der Stadt hörte man Detonationen von Handgranaten. Montag schloss daraus, dass der ganze verdammte Zug, ja die ganze Kompanie in arger Bedrängnis war. Mit gehetztem Blick sah er sich um.

      »Wir müssen hier weg.«

      Ohne zu zielen schoss er auf eine Gestalt, die sich mit schnellen Sprüngen näherte. Erst beim dritten Schuss brach sie zusammen und rührte sich nicht mehr. »Hinter uns, die Mauer. Renn los, wenn ich es dir sage.«

      Der Legionär nickte.

      Montag lud nach. »Jetzt«, brüllte er aus Leibeskräften und begann ein mörderisches Deckungsfeuer. Der Legionär sprang auf, rannte geduckt auf die Maueröffnung zu und warf sich dahinter in Stellung.

      »Na was nun, willst du selber hier etwa Wurzel schlagen?«

      Montag fluchte still in sich hinein, rappelte sich auf und sprang ebenfalls los. Auf dem Weg zum Sammelpunkt stießen sie auf einen toten Unteroffizier. Er hatte den Schirm noch angelegt. Seine Waffe befand sich im Waffenbehälter unter dem Reserveschirm. Auf dem Gesicht des Toten lag ein Ausdruck großer Verwunderung. Es war ein stummer Protest, so als hätte er sagen wollen, dass alles nur ein Irrtum sei.

      »Das ist sergent Meignan«, sagte Montag, kniete kurz nieder und schloss dem Toten die Augen. »War ein feiner Kerl.«

      Meignan hatte das gleiche Schicksal ereilt wie zwei seiner Kameraden. Breits in der Luft wurden sie von gut gezielten Schüssen der Viéts getroffen. Für sie war der Krieg zu Ende. Für den Rest der Kompanie, die noch nicht darüber informiert war, was für Szenen sich in Hieu-Tu abspielten, war es kein Leichtes, sich nach dem Sprung zu sammeln. Wind und Regen hatten nicht nachgelassen. Auch die Nacht kam schnell. Nicht wenige waren es, die sich beim Aufprall schwer verletzt hatten. Unter Ihnen befand sich einer der Sanitäter. Er hatte sich das Rückgrat gebrochen. Anstatt im Reisfeld war er mit der gesamten Wucht seiner Ausrüstung und seines Gewichtes auf der Straße gelandet. Andere hatten mit dem Wasserstand im Reisfeld zu kämpfen, alle jedoch mit dem Wind. Sie wurden teilweise einfach davongezogen, konnten ihren Ritt auf dem Reisfeld erst bei einem Damm beenden, der für den Schirm eine natürliche Barriere darstellte. Dennoch, als die Legionäre den Kampflärm hörten, ahnten sie, dass es um das Überleben des zweiten Zuges ging. Capitaine Caillaud zögerte keine Sekunde. Den Kompanietrupp auf den Fersen, rannte er Richtung Hieu-Tu, peitschte jeden Legionär an, dem er begegnete. Ein Legionär, der unentschlossen in einem Reisfeld kniete, schrie sich die Seele aus dem Leib. »Na fein. Dort drüben liegen drei Bataillone Vietminh.« Jemand stieß ihn von hinten brutal in den Rücken, sodass er taumelte und fiel. Über sich sah er plötzlich die bedrohliche Silhouette seines Gruppenführers. »Und hier steht eine Kompanie Fallschirmjäger des 2. BEP du Arschloch und das kommt etwa aufs Selbe raus. Und nun los«, brüllte der sergent und stürmte voran. Die Legionäre schwärmten aus, verfielen in eine Art Laufschritt. Einzeln oder in Gruppen, egal welcher Zug, drängten sie ungeachtet des starken Feindfeuers mit Macht zum Dorf. Noch aus der Bewegung heraus griffen sie an. Die beginnende Nacht als einzige Deckung, sprangen sie vorwärts und es war dieses Überraschungsmoment, die Schnelligkeit und die Entschlossenheit die für Verwirrung in den Reihen des Vietminh sorgten, denn tatsächlich gelang es den Legionären ohne weitere Verluste die Toten zu bergen und die Verletzten nach hinten zu bringen. Der Zug de Stabenrath entging gerade noch so einem Massaker. Capitaine Caillaud beschloss es dabei zu belassen und die Resistenznester des Vietminh in Hieu-Tu erst am frühen Morgen anzugreifen. Und dies aus gutem Grund: Die Kämpfer der Vietminh hatten sich geschickt unter die Bevölkerung gemischt. Häuserkampf war im Allgemeinen eine Gefechtsart die sehr viele Opfer von beiden Seiten forderte, war fast schlimmer noch als der Dschungelkampf. In einem nächtlichen Häuserkampf hätte es sehr viele Tote auch auf ziviler Seite gegeben. Das war nicht im Sinn des Hauptmannes. Um zu verhindern, dass der Vietminh auf Tra-Vinh zu marschieren konnte, blockierten die Legionäre noch vor Mitternacht sämtliche Zufahrtsstraßen um Hieu-Tu.

      Es war kalt, die Dunkelheit absolut. Der Regen hatte etwas nachgelassen.

      In ihren Gräben zogen die Legionäre die Zeltbahnen dichter um ihre nassen Uniformen. Manche rauchten im schnell ausgehobenen Schützengraben. Man schwieg. Zehntausend Kilometer weit weg von Zuhause. Nacht und Regen. Das war eine Kombination, die selbst den Schwachen an die Nieren ging. Als es Tag wurde, war der Gegner verschwunden. Ihm war es gelungen, bei stockdunkler Nacht durch die Reihen der Legionäre zu schlüpfen. Bei der anschließenden Flucht stießen sie auf die Verstärkungskolonne der Franzosen, die sofort das Feuer eröffnete. Nguyen Binh, der Verantwortliche der Vietminh im Süden des Landes ließ bei diesen Kämpfen über 300 Männer. Die Kompanie Caillaud beklagte drei Tote. Den Unteroffizier Meignan, die Legionäre Walscher und Langmar. Es gab etliche Verletzte. Zwei davon hervorgerufen durch Schüsse und der Rest durch den Schock beim Aufprall am Boden. Die Garnison Tra-Vinh blieb unbehelligt. Von daher war die Operation ein durchschlagender Erfolg. Genießen konnten ihn die Paras jedoch kaum, dazu ließ man ihnen gar nicht die Zeit. Gerade die Toten begraben, ging es zurück nach Saigon, wo dem Bataillon im Januar 1950 neue Operationen bevorstanden.

      »Wenn der adjudant uns erwischt, sind wir die ärmsten Schweine in ganz Französisch Indochina.«

      Joachim Wegener wollte gar nicht darüber nachdenken.

      »Karlheinz, du hast mehr Angst als Vaterlandsliebe. Wir wollen doch nur etwas Spaß haben, bevor wir wieder in die Maschine krabbeln. Wüsste auch nicht, wie der adjudant das herauskriegen soll.«

       Vaterlandsliebe!

      Für beide war es schwer, dieses Wort mit dem in Einklang zu bringen, was sie in dieser Zeit in Indochina durchlebten. Wegener fühlte sich vom Vaterland betrogen, während Montag es verlassen hatte, weil er eine nicht wiedergutzumachende Dummheit begangen hatte. Eine Jugendsünde. Ungern dachte er an die Zeit von damals, die ja nun gar nicht solange zurück lag. Er dachte an die Löcher in seinen Hosen und Schuhen, an Schutt und Asche und an den ständigen Hunger. Er dachte auch an die CARE-Pakete die die Amerikaner in Deutschland verteilt hatten: Rindfleisch in Kraftbrühe, Schweineschmalz, Kaffee und Aprikosen aus der Dose! Sie sättigten den Hunger aber nicht den Wolf in ihm. Den, der sagte: Almosen sind’s! Wo ist nur dein Stolz, Kamerad Schnürschuh? Zukunftsperspektiven gleich Null, dafür Schwielen an den Händen


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