INDOCHINA. Der lange Weg nach Dien Bien Phu. Thomas GAST
jedes Einzelnen hinwegsah und jedem eine Chance, einen Neuanfang bot.
Und jetzt?
Er fühlte sich wohl hier. Sauwohl sogar. Und er hatte sich verändert. Seine vorher blasse Gesichtsfarbe war einem tiefen Braun gewichen. Seine Bewegungen waren geschmeidig. Sein Körper, gestählt durch die langen Gewaltmärsche im Dschungel und in den Reisfeldern, war hager geworden. Er besaß kein überflüssiges Gramm Fett mehr. Die größte Veränderung aber war: Er hatte endlich ein Ziel vor Augen, hatte seinen Stolz wiedergefunden.
Er war endlich wieder er selbst. Keiner musste ihm mehr Almosen anbieten. Von einfacher Natur war Montag jemand, der sich nicht den Kopf über Ding zerbrach, die er sowieso nicht ändern konnte. Nur der Legion war er was schuldig.
Gewaltmarsch im Dschungel.
Joachim, der Noble wie alle ihn nannten und er, der stille Arbeitersohn, waren grundverschieden. Vielleicht waren sie deswegen inzwischen so dicke Freunde. In völliger Dunkelheit rannten sie auf den kaum zwei Meter hohen Drahtzaun zu, sprangen an ihm hoch und befanden sich bald darauf schon im Schatten außerhalb des Flughafens. Auf Schleichwegen liefen sie in Richtung des Dorfes, welches denselben Namen trug, wie der Flughafen. Than Son Nhut Village. In einer dunklen Gasse blieben sie völlig außer Atem stehen. Schweiß glänzte auf ihren Gesichtern.
»Es muss hier irgendwo sein «, sagte Joachim und versuchte verzweifelt sich in der Dunkelheit zu orientieren. Fünfzig Meter weiter schimmerte das gedämpfte Licht einer roten Laterne. Einige zwielichtige Gestalten gingen ein und aus. Jedes Mal, wenn die Türe aufging, drang von innen Frauengelächter ins Freie.
»Wir sind richtig. Da ist das rote Licht, wie Bach-Van es beschrieben hat. Das Restaurant ihrer Tante.«
Sie hielten kurz vor der Tür, auf der in großen Buchstaben Lai-Yun stand. Lai-Yun war ein fragwürdiges Etablissement, an dem jeder französische Offizier oder gar Unteroffizier, der was auf sich hielt, naserümpfend vorübergehen würde. Genau deshalb hatten sie den Treffpunkt hier ausgemacht. Um auf Nummer sicher zu gehen. Doan-Tang und Bach-Van warteten bereits. Sie waren aufgeregt und flüsterten beim Anblick der beiden Legionäre lachend miteinander.
»Ihr seid spät«, bemerkte Doan-Tang schließlich ernst. »Bach-Van hat bereits für euch mitbestellt. Es gibt Pho-Bo, Reis im Sud und Flusskrebse. Gefällt euch das?«
Karlheinz warf sein Képi auf den Tisch neben Bach-Van und umarmte sie.
»Gibt's auch Bier?«, fragte er lachend. »Schließlich haben wir unser Leben riskiert, um euch zu sehen. Ein paar Bier, dann euer Pho-Bo und ab in die Kiste.«
Die beiden Mädchen kicherten. Joachim warf Karlheinz einen warnenden Blick zu, doch niemand im Restaurant nahm Notiz von den deutschen Legionären. Irgendwann später am Abend, sie waren bei der Nachspeise angelangt, es gab süße Bienenwaben und in Honig eingelegten Ingwer, lachte Bach-Van plötzlich laut. »Ich muss gerade daran denken, was einige der Congaiës eurer Offiziere machen, wenn sie wütend auf sie sind. Und wütend sind sie oft.«
»Na rück schon raus damit.«
»Sie pissen in die Suppe, bevor sie aufgetischt wird.«
Joachim und Karlheinz sahen sich gegenseitig an und prusteten dann gleichzeitig los.
»Ich hoffe, ihr macht nicht das Gleiche mit uns?«
Doan-Tang schüttelte ganz bestimmt den Kopf und erhob sich anmutig.
»Lasst uns gehen.«
Sie kicherte verführerisch und steuerte auf eine Tür zu, hinter der, das wusste Joachim bereits, diverse Zimmer angrenzten. Kurz bevor der Trompeter zum Wecken blies, schlichen die beiden Legionäre wieder ins Camp zurück. Der eine, Montag, fröhlich und beschwingt. Der andere, Wegener, nachdenklich. Viel zu nachdenklich.
Phuoc Long (Opération Elisabeth)
Nur einige Tage später
»Wohin geht es diesmal?«
Montag erhielt keine Antwort. Er wollte es auch gar nicht wissen. Seine Gedanken waren immer noch bei der lieblichen Bach-Van, seiner weißen Wolke. Für ihn war das Leben vollkommen. Welcher Mann in seinem Alter konnte schon damit protzen, in einem Land stationiert zu sein, in dem andere gewöhnlich Urlaub machten? Absolut gratis bekam er schillernde Exotik, hübsche Frauen und kühles Bier. Bekam somit alles, was sein Herz begehrte. Die andere Seite dieses Lebens gefiel ihm mindestens genauso gut. Die Abenteuer. Der Marsch zum Feind. Die blutigen, hart geführten Kämpfe. Die Ungewissheit und der Rausch, den er bei alldem verspürte. Das war, wonach sein Geist verlangte. Herz und Geist vereint ergaben den von ihm einzuschlagenden Weg. Und den wollte er bis zum Ende gehen, wie immer dieses Ende auch aussehen mochte. Eine Steigerung gab es für ihn nicht. Saarbrücken? Das musste auf einem anderen Planeten sein!
»Irgendwo hoch in den Norden«, antwortete jemand, riss Montag somit aus seinen Gedanken.
»Dong Hoi«, wusste ein anderer.
Das 2. BEP im Einsatz in der Region Hue.
Die Kompanie hatte sämtliche Waffen, Optik, Funkgeräte sowie anderes wichtiges Kriegsmaterial empfangen, das man nun in alte, hölzerne Kisten verstaute. Sogar für die Képi Blancs fand sich ein Platz. Das gesamte Bataillon sollte angeblich verlegt werden, und so kam es auch. Ab dem 02. Januar 1950 und in mehreren Wellen hob das 2. BEP ab, Richtung Zentral Annam. Alle Voraussetzungen für einen Einsatz waren gegeben, denn die Positionen der französischen Armee im Großraum um Dong Hoi, etwa 500 Kilometer südlich von Hanoi, wurden unablässig von Guerillakämpfern der Vietminh angegriffen. Das 18. Regiment des Vietminh legte blutige Hinterhalte auf Versorgungskonvois an, Scharmützel waren an der Tagesordnung. In der Region Hue-Quang-Tri wütete das 95. Regiment, eine Einheit, die wie ein Phantom auftauchte, zuschlug und im Nichts wieder verschwand.
Das 2. BEP im Einsatz Region Hue / An Loc 1951 Hier ein Maschinengewehr F.M. M.A.C. modèle 1924-29
Die französischen und lokalen Einheiten vor Ort ... de secteur, eine Handvoll Marinesoldaten und mindestens ein Marschbataillon aus Einheimischen, wagten sich kaum mehr aus ihren Kasernen, da es ihnen an den notwendigen Mitteln aber auch an der erforderlichen Motivation fehlte. Die Bevölkerung war eingeschüchtert, wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte ob der Bedrohung. Zur Freude des commandant Solnon, sah es diesmal so aus, als ob sein Bataillon geschlossen operieren würde. Seine einzelnen Kompanien hatten sich als in sich geschlossene Einheiten längst schon bewiesen. Nun war es an der Zeit, allen zu zeigen, dass der Verband als solcher ebenso effizient funktionierte. Und, so sagte sich Solnon sicher auch, würde dadurch der Zusammenhalt der Truppe ganz gehörig gefördert werden. Seit der Aufstellung seines Bataillons hatte sich vieles verändert. So ist, wie bereits erwähnt. Leutnant Caillaud im Oktober 1949 capitaine geworden.
Der junge, brillante Leutnant Cabiro avancierte zum Kompaniechef für die 2. Kompanie und capitaine Cazaumayou übernahm die C.C.B, in der sich ein Fernmeldezug, der Transportzug sowie ein schwerer Zug mit MGs Kaliber 30, Mörser 60 mm und rückstoßfreie Panzerabwehr Kanonen 57 mm befanden. Commandant Solnon konnte zufrieden in die Zukunft blicken.
06. Januar, 1950. Die eingeteilten Wachen gingen durch die Reihen und weckten die am Boden liegenden Legionäre, die sich eilig den Schlaf aus den Augen rieben und sich sofort abmarschbereit machten. Einige kochten Kaffee, den sie dann heiß wie er war, hinunterkippten, anderen war die Zeit zu kurz, denn es musste schnell gehen. Ihre Feldjacken im dunkelbraunen oder hellgrünen Flecktarn waren immer noch klamm und feucht, das Leder der Stiefel glitschig und nass. Glücklich waren jene, die über Pataugaz, den leichten Stiefeln aus grünem Stoff verfügten.