Berkamp - Ein langer schwarzer Schatten. Günter Billy Hollenbach

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Kämpfe, die er nur verlieren kann, hat Brückner keine Lust mehr. Seine Beurteilung des Tatgeschehens hat er dargelegt und begründet. Jetzt sind die anderen Schlauköpfe dran.

      Seine Überlegungen – klassischer Ansatz, ausgehend von der offensichtlichen Faktenlage am Tatort – verweisen auf Punkte, die überprüft werden müssen, okay. Doch mich überzeugen sie nicht.

      „Wie kommt ’s, Robert?,“ spricht Corinna mich unvermittelt an.

      „So ungewohnt schweigsam. Gestatte uns einen Blick in die Abgründe deiner Gedankenwelt.“

      Sie erwischt mich auf dem falschen Fuß. Meine Schlussfolgerungen gewinnen erst in Teilen aussagefähige Form. Na schön; wenn Corinna mich so lieb bittet. Nach einem langen Atemzug gestehe ich:

      „Oh je! Ich fürchte, ich bewege mich in eine völlig andere Richtung.“

      „Dafür haben wir dich schließlich,“ befindet Corinna.

      Brückner anzuschauen dürfte mich nur stören. Also spreche ich in Richtung Parkettfußboden, beginne mit dem Offensichtlichen.

      „Bis jetzt habe ich vor allem grundsätzliches Fachwissen gehört. Ergänzt durch Hinweise zum Zustand des Opfers. Nicht falsch, aber wenig weiterführend.“

      „Logisch,“ ätzt Brückner dazwischen, „hier sitzen ja auch lauter kriminalistische Anfänger und Halbblinde rum.“

      Danke, wenn du dich als das bezeichnest. Statt dessen sage ich:

      „Zum eigentlichen Tatgeschehen habe ich so gut wie kein Wort gehört. Obwohl es mehrere Auffälligkeiten gibt, die betrachtet werden sollten.“

      Vera gibt ein leises „Hä?“ von sich.

      „Geht ’s etwas genauer?“ fragt Brückner vorsichtig. „Zwei, drei Hinweise könnten nicht schaden.“

      „Als Einstieg stimme ich Oberkommissar Brückner zu: Erstens, ohne Kenntnis der Todesursache bewegen wir uns auf dem Feld der Annahmen. Zweitens: Wie er zweifele ich daran, dass wir es mit einem Gewaltverbrechen zu tun haben. Drittens gehe ich noch einen Schritt weiter. Ich bezweifele eine vorsätzliche Tötung. Daher sollten wir von einem Verursacher, nicht von einem Täter sprechen.“

      „Und das soll uns weiterhelfen?,“ fragt Vera dazwischen.

      Okay, neuer Anlauf. Belinda Careys Ansatz übertragen auf das Hier und Jetzt.

      „Ich glaubt ja. Wenn man mit einer anderen Frage einsteigt als Kollege Brückner. Ob sexuell oder gewaltgerichtet; das Motiv des Täters ist für mich bedeutungslos.“

      Corinnas Augenbrauen springen in milder Überraschung empor.

      „Bitte, Robert, ja! Zur Sache.“

      „Du wirst mir zustimmen; Motive können nie bewiesen werden, sind oft nachträglich bemühte Rechtfertigungen. Für mich steht die Absicht im Vordergrund. Die ist leichter nachvollziehbar; sie zeigt sich in der Ausführung der Tathandlungen. Wie gesagt, ich bezweifele stark, dass Petra Werneckes Tod beabsichtigt war.“

      Darauf Corinna, den Kopf ein wenig geneigt, die Hand am Kinn.

      „Begründung?“

      „Nicht nur eine. Wozu die Frau in den Keller verfrachten, fesseln und jede Menge Spuren zurücklassen? Darin steckt für mich viel von der Täterabsicht. Wer die Frau lediglich töten wollte, hätte das gleich oben im Flur getan. Um Einlass bitten, ein leiser Schuss, ein Messerstich, schnell rein, unerkannt wieder raus, fertig. Tatwaffe mitgebracht, wieder mitgenommen, beseitigt, Ziel erreicht. Nichts dergleichen hat sich hier gezeigt.“

      Corinna dreht ihr Diktiergerät zwischen den Knien in meine Richtung, beginnt wieder mitzuschreiben.

      „Einleuchtend so weit,“ murmelt sie vor sich hin. „Was noch?“

      „Im schlimmsten Fall hält Brückner einen unbekannten, fremden, männlichen Täter für wahrscheinlich. Ich unterstelle dagegen einen unbekannten Täter, Komma Verursacher.“

      „Verstehe ich nicht, Robert,“ platzt Vera erneut dazwischen. Stimmt; noch nicht ganz druckreif, was bei mir vom Kopf durch den Mund geht.

      „Augenblick, Vera. Ich meine, ich halte den denkbaren Täter lediglich für uns unbekannt, aber nicht für fremd. Petra Wernecke hat den Täter auf jeden Fall gekannt, ihm ziemlich sicher vertraut.“

      „Erkenne ich kaum einen Widerspruch zu mir,“ brummt Brückner.

      „Wie man es nimmt,“ halte ich dagegen. „Ein fremder, sexuell motivierter Täter, der sich gewaltlos Zugang verschafft, scheidet für mich weitgehend aus. Solche Leute lassen fast immer etwas mitgehen, was sie an die Tat erinnert. Zumindest nach oberflächlichem Eindruck wurde vom Tatort nichts entwendet. Ich neige stark zu der Annahme, dass auch der Toten nichts Persönliches weggenommen wurde, Schmuck oder ein intimes Kleidungsstück. Im Zweifelsfall sollte das noch einmal überprüft werden.“

      Schrittweise klärt sich der Fluss meiner Gedanken.

      „Okay, weiter? Wir betrachten die Szene mit unseren Augen. Das dürfte uns irreführen. Die Lage und Aufmachung der Frau auf dem Bett sprechen für mich gegen ein Sex-Spiel, das zum Schluss missraten ist.“

      „Wie bitte?!,“ stutzt Corinna.

      Das Wort Theaterprobe zuckt mir durch den Kopf.

      „Mir kam der Gedanke an eine Vorführung, eine Darstellung. Und zwar für den Täter. Das spricht für die Möglichkeit, dass etwas Anderes dahintersteckt als wir auf den ersten Blick vermuten.“

      Wieso ich darauf komme, könnte ich kaum erklären, empfinde den Hinweis auf eine Inszenierung „nicht für uns“ zwar kühn, im nächsten Moment aber wichtig. Obwohl ich außer der Eingebung nichts Handfestes habe, das meine Aussage untermauert. Vielleicht entspringt sie auch nur meinem gepflegten Misstrauen gegenüber dem Offensichtlichen. Doch die Blöße, dies zu gestehen, will ich mir vor Brückner nicht geben.

      Entsprechend selbstsicher gebe ich mich.

      „Wir lesen vielleicht die falsche Botschaft. Etwa so: Wenn ein gutsituierter Familienvater unerwartet in rosa Damenunterwäsche tot aufgefunden wird, legt das den Schluss nahe: Mit dem Liebessleben des Mannes war etwas sehr ungewöhnlich. Und es wird in der Richtung weitergeforscht. Tatsächlich jedoch kann es eine Vielzahl anderer Erklärungen geben, warum der Mann so bekleidet war. Ob Frau Werneckes Anblick für den Täter eine bestimmte Bedeutung hatte, und vor allem welche, kann ich nicht sagen. Dazu kenne ich mich zu wenig auf dem Gebiet von Fesselspielen aus. Vor allem, ich weiß nichts über das alltägliche, private Leben der Frau.“

      Kaum beende ich den Satz, springt mir die Eingebung – „Alles war falsch“, „Lügen“ und „heillose Verwirrung“ – in den Sinn, die ich im Keller während meiner kurzen Geistreise empfunden habe. Immerhin widerspricht sie nicht meinem gerade geäußerten Gedankengang.

      Frau Aschauer folgt meiner Darlegung mit großen Augen.

      „Wie gesagt, wir kennen den Täter nicht. Das Opfer kannte ihn. Aus der Idee einer Darbietung folgt für mich eine wichtige Annahme: Zwischen Opfer und Täter besteht eine starke emotionale Beziehung. Nicht erst im Augenblick der Tat, sondern bereits vorher. Am Anfang des Geschehens dürfte zwischen den Beteiligten Einvernehmen bestanden haben. Dann nahm es einen unerwarteten Verlauf, nicht kalt und beherrscht durchgeplant. Der Slip der Frau wurde unter das Bett geworfen. Auf mich wirkt das wie eine unüberlegte Verlegenheitshandlung. Es gibt noch ein paar andere, beachtliche Hinweise, deren Bedeutung ich noch nicht völlig durchschaue.“

      Mein Kopf nimmt Fahrt auf. Wie Funken über einem Feuer blitzen neue Gedanken auf, überraschen mich, weil sie auf Offensichtliches verweisen; Fragen, die nahe liegen und nach Antworten schreien.

      „Starker Tobak,“ wirft Brückner ein, bevor ich weitersprechen kann.

      „Das


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