SAVANT - Flucht aus Niger 3. Michael Nolden

SAVANT - Flucht aus Niger 3 - Michael Nolden


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spät.«

      Er hat recht. Keiner geht zurück, wendet sich um. Geradeaus. Alles andere würde die Aufmerksamkeit der Wachen auf uns ziehen.

      »Da sind noch andere«, stellt Samir leise fest.

      Schwarze, Einheimische, wie ich vermute – aber wie sehr kann ich mich nach all dem täuschen – treiben sich zu lange an einem Fleck herum, verharren auf der Stelle, in der Kleidung von Tuareg, die seltsam falsch auf mich wirkt. Auf Samir sowieso. Ich grüble mit gesenkten Augen über unser Schicksal, die nächsten Schritte, meine unbestreitbar vollzogenen Fehler, als Ix unter Pascales Kaftan hervorjagt.

      Der Schwarze Kapuzineraffe rennt so schnell, schneller als Katzen. In flinkem Zickzacklauf bewegt er sich auf den Kontrollpunkt der Söldner zu. Zu Anfang nehmen sie keine Notiz von dem Affen. Er ist lediglich ein kleiner beweglicher Punkt im alltäglichen Gewusel, der schon wieder verschwindet, sobald man ihn bemerkt. Ix verlässt den Boden, hüpft über völlig überraschte Wanderer, reißt Kopftücher herunter, stößt im Absprung Körbe von Frauenhäuptern. Manche sind leer, andere mit Waren gefüllt. Buntes, ein wenig Obst, Blattwerk, Fladenbrote, kullern und rollen in alle Richtungen davon, teils in den Staub getreten, bevor jemand sie aufsammeln kann.

      Die Menge zerstreut sich und weicht von Straße seitlich auf den wesentlich gröberen Wüstenschotter aus. So wird die Menschenansammlung vor Arlit übersichtlicher. Unruhe bemächtigt sich der Beobachter. Auch sie verteilen sich.

      Samir gibt heimliche Anweisungen aus. Wir geben seinem Drängen nach und tauschen unsere Positionen, nehmen die Jungen enger zwischen uns, so dass sie von außen nur schwer zu entdecken sind. Zet und Vau verschwinden im Gewirr unserer Beine.

      Ix setzt sein – unbeabsichtigtes – Störmanöver fort. Er macht sich mit seiner Aktion keine Freunde. Ich habe eine Heidenangst um ihn. Immer mehr Reisende reagieren wütend auf die Berührungen und die Hektik, die der Kleine verbreitet.

      Ein Söldner – oben im Ausguck eines Geländewagens – hebt den Lauf seiner Maschinenpistole an.

      Ix rast aus der Menschenmenge hervor, rechts außen vorbei, springt in schwindelnder Artistik über zutretende Füße und hangelt sich einen Sekundenbruchteil darauf an der Fassade eines Gebäudes empor, das mit anderen den vorläufigen Rand von Arlit markiert.

      Eine Gruppe von Söldnern verlässt ihr Fahrzeug. Vier, nein, fünf Männer sind es. Sie verteilen sich. Die Abstände zwischen ihnen sind klein gefasst. Sie recken die Hälse und halten nach dem Affen Ausschau. Durcheinander erschwert ihre Arbeit. Plötzlich ist Ix wieder da. Fäuste werden wütend geschwenkt. Kleine – Dinge – Steinchen, wahrscheinlich, werden von dem Affen von den Dächern geschmissen, in schneller Folge, von einem ständig wechselnden Standort. Ix kann so verdammt flott sein. Gut bei seiner Tätigkeit mit César, wenn der Junge zügig Hilfe benötigt, schlecht für die zunehmend verblüfften Männer, die nicht so recht wissen, ob sie etwas gegen diesen Zwergenstörenfried unternehmen sollen. Offensichtlich einer von ihnen ist besonnen genug, seine Kollegen zurückzuhalten und keinen Blödsinn zu machen. Es kann nicht im Sinne von ARTAUD sein, tausende von Menschen gegen sich aufzubringen.

      Samir führt uns ins dichte Gedränge der übrigen Wanderer.

      Endlich sind wir in der Stadt.

      [Eddie Trick]

      Eine Ecke, noch eine, die nächste, dann verliere ich den Überblick. Anhand des Sonnenstands kann ich die Richtung ausmachen, aus der wir gekommen sind. Das wird sich ändern. Die Gassen sehen alle gleich aus.

      Samir gibt unserer merkwürdig sortierten Eingreiftruppe den Befehl zum Anhalten.

      Nathalie schaut nach oben, die Dachkanten entlang.

      »Ix wird zurückkommen«, sagt Antoine im Brustton der Überzeugung. Keiner reagiert. Allen steckt noch die Angst in den Knochen.

      Die Geisterfrau, deren Haare aus der Erfahrung heraus besonders gut von der Kleidung verborgen werden, beugt sich zu Pascale herab. Leichter Tadel liegt in ihrer Stimme, als sie sagt: »Du hast ihn ausgeschickt, oder nicht?«

      Der blinde Junge legt den Kopf schief, als überlege er seine Antwort mit aller zur Gebote stehenden Gewissenhaftigkeit. »Ich weiß nicht, wo er ist. Er sollte längst zurück sein.« Es folgt ein unsteter Kopfwackler, der sein Handicap ungewollt verrät.

      Samir streicht dem Jungen unerwartet über den Kopf.

      Pascale zuckt wieder Erwarten nicht zusammen.

      »Er kommt wieder«, brummt der Targi zuversichtlich. »Ist tapfer!« Dann gibt er Zeichen nah beieinander zu bleiben. »Mitkommen!« Zwei weitere Targi übernehmen die Nachhut. Samir scheucht uns voran und findet rasch die weniger überlaufenen Wege. Trotzdem hasten wir wie Flüchtlinge die Gassen entlang. Nach einer Viertelstunde habe ich ein Arlit gesehen, das mich nach der ehrlichen, nüchternen, fast sauber zu nennenden Kargheit der Wüste abstößt. Keiner der Bewohner, die ich gesehen habe, erweckt den Eindruck wirklich hier sein zu wollen. Das ärmliche Niger zeigt sein Gesicht. Das Niger, durch das die Flüchtlinge ziehen. Das Niger, aus dem die Menschen aus irgendeinem Grund selbst nicht fliehen. Ein mit allerlei Kleidung verhüllter Mann stoppt sein Moped unweit von uns. Der Motor knallt, unkontrollierbare Rauchschwaden entweichen dem Auspuff kringelnd, Metall an der Seite der Maschine scheint unter der schmurgelnden Hitze der Apparatur zum Glühen gebracht worden zu sein. Der Mann, der in seiner in allen Regenbogenfarben strahlenden Montur auf einer Christopher-Street-Day-Parade nicht nennenswert auffallen würde, wirft uns einen abschätzenden Blick zu. Die drei Targi in unserem Tross zeigen Wirkung. Eingeschüchtert dreht er das Gas hoch und tuckert davon. Gerade rechtzeitig schleust er sich in den Verkehr einer stärker befahrenen Straße ein, bevor ein über und über mit mannshohen Paketen beladener Laster ihn überrollen kann. Der Lkw bremst scharf. Das mit unzähligen Seilen befestigte Frachtgut schwankt auf der Ladefläche von hinten nach vorne und drückt eine selbst auf zwanzig Meter Entfernung sichtbare Delle ins Führerhaus.

      Ich bin der Gruppe einfach hinterher getappt. So sehe ich die blass blaugrau gestrichene Tür an einer Häuserflanke viel später als alle anderen. Dieser Fleck im weitaus helleren Lehm öffnet sich vor Samir. Ein altersschwacher Mann in gekrümmter Haltung lässt uns ein und heißt uns – so denke ich – auf Tamasheq willkommen.

      Samirs Verhalten ändert sich schlagartig. Es liegt Anteilnahme und Rücksicht darin.

      Das versetzt mir einen Stich in die Brust. Und bringt meine große Klappe in Windeseile zum Schrumpfen – ich wundere mich sowieso, wo meine Giftspritze ein geheimes Versteck gefunden hat, derart geheim, dass ein krampfhafter Versuch, es aufzuspüren, nicht fruchtet.

      Vor dem Durchgang in einen Innenhof bittet uns der Gastgeber in einen Raum links davon. Alles eintönig, wenig einladend, sieht man von ein paar Decken und Kissen auf dem Boden ab, die zum Verweilen einladen. Nichts aus einheimischer Herstellung. Von einem Kissenmotiv winkt uns Micky Maus zu. Im weihnachtlichen Outfit. Nichts könnte unpassender sein.

      Samir zieht seinen Schleier vom Gesicht. »Wartet hier.«

      Allesamt müde kommen wir der rüden Aufforderung nach und verteilen uns im Raum. Seltsamerweise will keiner seinen Hintern auf dem Micky-Kissen platzieren. Die Wände sind kahl, ein Fenster gibt es nicht. Eine Dachluke spendet Licht. Meine ich anfangs. Bis mir klar wird, dass es sich um eine mit Wasser gefüllte Plastikflasche handelt, die in die Decke eingefasst ist. Durch das Loch, in dem die Flasche steckt, bringt das Tageslicht das Wasser in der Flasche zum – Leuchten! Es sieht total absurd aus, wie eine gemeinsame Schnapsidee von Weird Al Yankovic, Sacha Baron Cohen und Benny Hill. Aber es funktioniert. Ich bin der einzige, der das Ding fasziniert anstarrt.

      Aus einem Nebenraum hören wir einen Streit. Der Klang ist dumpf.

      »Kannst du etwas verstehen?« Nathalie umarmt Pascale voll mütterlicher Zärtlichkeit.

      »Ich verstehe die Sprache nicht.« Die Miene ihres Sohnes bleibt unbewegt. Er kuschelt sich zurück an Claudes Seite.

      »Tamasheq«, wirft Bertrand ein. »Dem Klang nach.« Er sieht mich an. »Nein, ich verstehe auch kein Wort. Nur einen Fluch höre ich heraus.


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