Von den Göttern verlassen III. Sabina S. Schneider

Von den Göttern verlassen III - Sabina S. Schneider


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blickte auf Serenas gerundeten Bauch.

      Nein, es änderte nichts. Er würde sich diese Macht zu Eigen machen. Ein dunkles Lächeln breitete sich über seinem Gesicht aus. War das nicht schön? Jetzt hatte er ein konkretes Ziel, das er verfolgen würde, wenn er diese Macht auf die eine oder andere Weise in die Finger bekommen würde: die Vernichtung aller Karolevs.

      Armirus schüttelte Mikhael und Boril ab, fixierte Mikhael aus dem Augenwinkel und meinte: „Das ist dein Vater. Bist du stolz von so etwas abzustammen? Auch in deinen Adern ist das Blut von einem königlichen Hurenbock. Fragst du dich nicht auch oft: Wenn sie uns nicht wollten, wieso konnten sie dann ihre Schwänze nicht aus unseren Müttern lassen?“ Armirus drehte sich zu seinem jüngeren Bruder: „Ich habe deinen Sohn auf einem Sklavenmarkt entdeckt. Er hat das Gesocks dort um ihre Geldbeutel erleichtert. Er war erst fünf oder sechs. Seine Mutter war froh, als ich ihn ihr abgekauft habe. Hat sich nach den Münzen in den Dreck geworfen und sich dort gesuhlt wie eine Sau.“

      Halif presste die Lippen aufeinander und Schmerz trat in seine Augen, als Armirus die nächsten Worte aussprach: „Aber keine Sorge. Ich habe mich gut um deinen Sohn gekümmert. So gut, wie man sich um mich gekümmert hat. Er hat gute Anlagen zum Assassinen. Er bringt alle Voraussetzung mit. Königliches Bastardblut und einen starken Willen zum Überleben.“

      Halifs Blick fiel auf seinen vermeintlichen Sohn. Es war kaum abzustreiten. Die Ähnlichkeit war einfach zu gravierend. Bei dem Gedanken, was Armirus ihm angetan haben könnte, wurde Halif schlecht und in ihm stieg eine Wut auf, die sehr nahe an Hass reichte. Er verlor die Kontrolle und sprach die Worte aus, ohne zu überlegen. Ein Spruch, den er nie zuvor angewandt hatte. Der Zauber band die Luft um Armirus Körper an seinen Willen. Mit einer Handbewegung wurde sein Bruder in die Luft gehoben. Mikhael und Boril ließen ihn überrascht los. Er schwebte kurz über allen, dann holte Halif aus und ließ ihn gegen die Wand prallen. Ein lautes Knacken war zu hören. Zufriedenheit paarte sich mit dem Wunsch nach mehr.

      Doch die Magie in der Luft reichte nicht aus und Halif griff nach der ersten Energiequelle, die er erreichen konnte. Als er in den Geist der Schwangeren eindrang und den unendlichen Quell berührte, keuchte er auf. So viel Macht, so viel Energie an einem Ort versammelt! Es schien nur eine Frage der Zeit, bis die Energie in sich selbst zusammenfallen, sich unendlich ausdehnen oder kollabieren und einen Sog bilden würde, der alles verschlang. Den Gedanken nicht ganz beendet, spürte er, wie die Gier nach dieser Macht ihn ergriff.

      Halif holte sich Energie und lies einen Strahl auf Armirus los, der zusammengekauert am Boden lag. Eine Gestalt warf sich zwischen die beiden Männer, der Schrei einer Frau zerriss die Luft und die Welt stand für den Bruchteil einer Sekunde still. Dann spürte Halif, wie die Quelle der Kraft, nach der er gegriffen hatte, durch ihn hindurch reichte und die Energie umleitete. Mit einem Knall entlud sich der Strahl in der Wand.

      Von dem Gestein blieb nur Asche übrig.

      Halif blickte in das Loch, das er beinahe in den Körper seines Bruders gebohrt hätte und ein Schauer überfiel ihn. Bevor er irgendwie regieren konnte, klatschte Nadines Hand in sein Gesicht. Er sah nur die Tränen in ihren Augen und spürte das Brennen auf seiner Wange. Der Raum füllte sich plötzlich mit Magie, Halif drehte sich herum und starrte auf den Energiewirbel, der das schwangere Mädchen umgab. Sie zitterte am ganzen Leib, hob die Hände und versuchte die Energie abzuleiten. Blitze entsprangen ihren Fingern, schlugen in den Boden, die Decke und die Wände.

      Mit aller Konzentration versuchte Serena niemanden zu treffen. Tränen liefen ihr über das Gesicht. Dann umschlossen sie starke Arme und hielten sie fest. Serena hatte das Gefühl zu zerbersten, auseinanderzufallen. Dann setzte der Schmerz ein. Ihre Schreie zerrissen die Luft.

      Halif legte eine Glocke um den Raum und dichtete sie mit einem Vakuum ab. So würde hoffentlich niemand die Schreie hören oder den Energiefluss spüren. Er hatte lange an diesem Spruch gearbeitet, eigentlich dazu gedacht, ihm und Nadine die Flucht zu erleichtern. Es war mehr als genug Magie in der Luft, um den Zauber stabil zu halten.

      Alle versammelten sich um Serena, die immer wieder schrie und kurz davor war, das Bewusstsein zu verlieren. Nur der Druck von Mikhaels Armen hielt sie bei Verstand. Sie klammerte sich verzweifelt an ihn. Es war anders als das letzte Mal. Heftiger und dauerhafter. Kaum war der Schmerz abgeebbt, kam eine neue Welle. Sie hatte das Bewusstsein ihres Kindes schon lange nicht mehr wach erlebt und spürte es auch jetzt nicht. Da war nur Schmerz.

      Nadine rannte zu der Schwangeren und kniete sich neben Serena. Mikhael sah sie mit den Augen seines Vaters hilfesuchend an. Pure Angst war in ihnen zu lesen. Angst um die junge Frau.

      „Was hat sie? Was stimmt nicht mit ihr? Kannst du ihr helfen?“ Alle um sie herum starrten Nadine fragend an. Nadine war geschockt von der Wand des Unverständnisses, auf die sie prallte. Waren sie blind? Dann formulierte sie die Worte, die schon oft ausgesprochen, viele Welten verändert hatten: „Sie hat Wehen. Das Kind kommt.“

      Alle Gesichter gefroren.

      Die Welt stand still.

      Serena atmete erleichtert aus. Ihr Kind kam, es war so einfach und doch so schmerzhaft. So hatte sie es sich nicht vorgestellt. Der pure Schmerz. Dann zerriss ihr markerschütternder Schrei wieder die Luft und alle liefen wie aufgeschreckte Hühner herum. Ohne Ziel, ohne Sinn brabbelten sie vor sich hin. Nur der Airen, der sich bisher nicht gerührt und sich aus all den Streitigkeiten herausgehalten hatte, setzte sich neben Serena, griff nach ihrer Hand und drückte sie fest.

      Der Senjyou, der mit sich selbst sprach, rief aufgeregt: „Molly, beruhige dich! Sie stirbt nicht. Sie kriegt nur das Kind. Bitte schrei nicht so! Molly, bitte wein‘ doch nicht!“ Nadine war entsetzt von so viel Unfähigkeit, Unwissen und sinnloser Panik, dass sie einfach nicht anders konnte. Sie rief Befehle, schickte alle bis auf Halifs Sohn und den Airen hinaus. Alle folgten ihren Worten mit Erleichterung in den Blicken. Nur ein Senjyou weigerte sich, lief von einer Ecke zur anderen und ließ Serena nicht aus den Augen.

      Nadine bat Halif, heißes Wasser zu erzeugen, und schickte ihn nach Tüchern.

      Die Schreie waren dank dem Mantel der Stille, den Halif über das Zimmer gelegt hatte, nicht zu hören. Trotzdem liefen die Männer im Flur aufgeregt hin und her, starrten auf die Tür und trauten sich nicht hinein. Es vergingen Stunden um Stunden, die sich wie Tage anfühlten.

      Armirus tigerte vor der Tür hin und her wie Malhim im Zimmer, öffnete sie, steckte den Kopf kurz hinein, schloss sie jedoch sofort wieder mit bleichem Gesicht. Boril stand an der Wand gelehnt. Schien die Ruhe selbst, doch sein Blick ließ die Tür keine Sekunde aus den Augen.

      Mof lief im Kreis, hielt sich die Ohren zu und wiederholte immer wieder: „Molly, bitte! Bitte beruhig dich, Molly! Bitte!“

      Selbst Par, der blutrünstigste Schlächter unter Armirus Männern, war bleich. Zwischendurch huschte Halif aus dem Zimmer, holte etwas und huschte wieder hinein. Ein einziges Mal packte Armirus ihn am Arm und schaute ihn fragend an. Als Halif nur mit traurigen Augen den Kopf schüttelte, sog der blonde Hühne scharf die Luft ein und ließ ihn gehen.

      Nadine stand der Schweiß auf der Stirn, fast so sehr wie Serena, die durchnässt und bleich auf einem Haufen Pelz lag. Bei Geburten konnte man magisch nur unterstützen, den Vorgang jedoch nicht wirklich beeinflussen, da die Geburt an sich magisch war. Nadine spürte eine zu große Ansammlung von Energie in dem kleinen Frauenkörper. Etwas stimmte nicht. Der Airen, der Senjyou und Halifs Sohn sagten kein Wort und starrten nur mit Sorge auf Serena. Halifs Sohn hielt die werdende Mutter die ganze Zeit über im Arm. Der Airen und der Senjyou wechselten sich damit ab, im Raum auf und ab zu laufen und ihre Hand zu halten.

      Dann war es so weit. Ein letzter schallender Schrei, der ihnen allen durch Mark und Bein ging, dann Stille.

      Ein Junge!

      Nadine tat, was sie für richtig hielt. Sie trennte die Nabelschnur ab, klopfte dem Neugeborenen auf den Rücken. Es schrie nicht, aber es sog Luft in seine Lungen und bewegte sich leicht. Sie wusch es, wickelte es in Tücher und Fell und wob einen Wärmezauber um das Neugeborene. Sie hatte keine Zeit, sich das Kind genauer anzusehen. Sonst wäre ihr aufgefallen, dass es zu klein war für


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