Sich selbst treu geschrieben. Robin Krause

Sich selbst treu geschrieben - Robin Krause


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da mehr war. Nur leider hat das niemand wirklich und ernsthaft getan. Denn in dem Moment, in dem John diesen Satz gesagt hatte, für den er sich später entschuldigen musste – was er zum betreffenden Zeitpunkt sehr professionell und mit intellektueller Wortwahl tat –, hätte einem aufmerksamen Zuhörer offenbar werden können, dass er eine wahre Reinkarnation von Jesus war. Aber ebenso war er in diesem Moment auch ein Richter über sein Schicksal. Es hat nur keiner bemerkt. Stattdessen wurde er gehetzt und getrieben, so lange, bis er sich von dem Gesagten distanzierte, weil er das Gesamtwohl der Beatles über das eigene stellte. Allerdings kann die Tatsache, dass John war, was er war, als Beweis dafür herangezogen werden, dass auch der Heiland nicht nur positive Seiten gehabt haben konnte. Jesus kann nicht unfehlbar gewesen sein, denn John war es auch nicht.

      Jemand, der die negative Seite von John zu spüren bekam, war Brian Epstein, der Manager der Beatles. Der ehemalige Kommilitone und Freund von John, Bill Harry, der John während des Studiums mit Stuart Sutcliff, dem ersten Bassisten der Beatles, bekannt gemacht hatte und in Liverpool die Musikzeitschrift Mersey Beat herausbrachte, führte Brian 1961 in den Cavern Club. Dieser wollte sich die Gruppe anhören, wegen der so viele Leute nach der Single my bonnie, bei der die Beatles lediglich als Begleitband für Tony Sheridon zu hören sind, in seinem Plattenladen nachfragten. Als er sie hörte, wollte er sie unbedingt unter Vertrag nehmen und mit ihnen erfolgreich sein, sogar gegen jeglichen Widerstand, weil er ihre Musik so aufregend fand. Bevor er das Management für die Beatles übernahm, fragte er den Besitzer des Jacaranda Clubs in Liverpool, Allen Williams, der 1960 und 1961 der erste Manager der Beatles gewesen war, ob es noch offene vertragliche Themen zwischen ihm und den Beatles gäbe. Allen hatte die Beatles damals in seinem Lieferwagen nach Hamburg gefahren und ging mit ihnen im Streit über seine Gage auseinander, der sich glücklicherweise später in Rauch auflöste, so dass Allen und die Beatles sich nach der Beilegung des Zerwürfnisses im positiven Sinne in Erinnerung behielten. Zu dem Zeitpunkt, als Brian ihn kontaktierte, riet er ihm jedoch, die Beatles nicht einmal mit einer verfluchten Kneifzange anzufassen, denn sie würden ihn bei der erstbesten Gelegenheit fallen lassen, was vielleicht als Prophezeiung dessen gedeutet werden kann, wie sich die Dinge weiterentwickeln sollten. Offensichtlich ist es so, dass Brian John mindestens genau so aufregend fand wie die Musik der Beatles. Er war homosexuell. John erkannte das, aber er erkannte ebenfalls das Potential in der Chance, die Brian ihnen bot. Die Beatles willigten ein, und Brian stellte ihre Welt auf den Kopf, kleidete die Beatles in hübsche Anzüge, optimierte ihr Bühnenprogramm und besorgte ihnen den ersten Plattenvertrag. Die gelegentlich anzutreffende Aussage, dass es Brian war, der in diesem Zuge auch die Elvistollen der Beatles zu Pilzkopffrisuren kämmte ist nicht mehr als eine schöne Metapher, die nur seine enorme Eifrigkeit und Willenskraft in dieser Angelegenheit widerspiegelt, denn sie entspricht nicht der Wahrheit. In Wirklichkeit wählten die Beatles ihren Haarschnitt selber aus. Inspiriert von der modischen Erscheinung ihrer Hamburger Freunde Klaus Voormann und Jürgen Vollmer, die der sogenannten Exi-Bewegung angehörten, machten sich John und Paul gegen Ende des Jahres 1961 gemeinsam auf den Weg und trampten nach Paris, wo sie Jürgen besuchten, der kurz vorher dorthin gezogen war. Jürgen – nicht Brian – war es, der den Beatles in seinem kleinen Pariser Appartment mit seiner eigenen Schere ihren neuen, bald weltberühmten Haarschnitt verpasste.

      John spielte bei dem von Brian angestrebten Restrukturierungsprogramm weitestgehend mit, obwohl er bei einigen der angeordneten Einbußen zuerst rebellierte. Als zum Beispiel die Lederjacken daran glauben sollten, da sperrte er sich mit George im Hotelzimmer ein und warf die neuen Anzüge aus dem Fenster. Er akzeptierte es aber schlussendlich. Brian baute die Beatles auf und formte sie zu der Superband, die sie werden sollten. Johns wirklichen Respekt erarbeitete er sich nie. John spielte mit Brian und zog ihn auf. Er setzte ihm bei der Feier zum USA-Erfolg von i want to hold your hand einen Nachttopf auf den Kopf und provozierte damit, dass diese demütigende Situation von der Presse festgehalten wurde. Als Brian seine Autobiographie mit dem Titel a cellular full of noise (ein Keller voller Lärm) vorstellte, war das eine Steilvorlage für John, der daraus sofort a cellular full of boys (ein Keller voller Jungs) dichtete. Vielleicht wurde John auch anzüglich und stellte Brian tatsächlich etwas in Aussicht, um ihn damit bei der Stange zu halten, was für den verliebten Brian eine echte Qual gewesen sein könnte. Andererseits könnten sie tatsächlich vorübergehenden Spaß miteinander gehabt haben. Brian wurde von John immerhin als Patenonkel für seinen Sohn Julian ausgewählt. Darüber hinaus verbrachten sie mehrfach ihren Urlaub allein miteinander, zum Beispiel in Barcelona, während die restlichen Beatles zusammen mit Klaus Voormann auf Teneriffa waren. Was bei diesen Urlauben zwischen John und Brian passierte, ist unbekannt. Entspannt und gestärkt ging Brian allerdings meistens nicht daraus hervor und das gleiche gilt für seinen Erfolg als Manager. Er hatte die Beatles zu Weltruhm gebracht, aber zum Teil sehr schlechte Vertragskonditionen ausgehandelt, so dass die Beatles mit zunehmendem Erfolg die Regie mehr und mehr selbst übernehmen oder lieber an andere Personen als ihn übergeben wollten. Brian nahm Drogen und zunehmend mehr davon, aber auch das half nicht. Er starb 1967 an einer Überdosis Schlafmittel, während die Beatles in Indien waren und nachdem der am Anfang des Jahres ausgelaufene Managementvertrag mit ihm über Monate hinweg nicht verlängert worden war. Er wurde ohne ihr Beisein beigesetzt. Zwar schickte George eine in ein Tuch eingewickelte Blume im Namen der Beatles, nur waren bei einer jüdischen Bestattung keine Blumen erlaubt. Sie waren sicherlich alle traurig, aber niemand vermisste ihn wirklich, weil er ersetzbar und unwichtig geworden war. Genau das war der Grund dafür, dass er sich umgebracht hatte, und der heilige John trägt, obwohl Brians Tod ihm sehr nahe gegangen sein wird, seitdem sicherlich einen kleinen Teil der Verantwortung dafür in seinem Herzen.

      6. Strophe – Kunstwerke

      Welche Band konnte es sich leisten ein Album herauszubringen, auf dessen Cover es absolut nichts zu sehen gab? Eine vollständig weiße Oberfläche! Doch halt, wenn man genau hinsieht, dann ist da etwas, etwas Erhabenes. Ja, da steht The BEATLES ganz klein in erhabener, eingepresster Blockschrift ohne Serifen. Es ist eines der besten Alben der Musikgeschichte und einfach nur weiß und leer auf der Verpackung. Aber vielleicht auch befreiend und tatkräftig. Auf jeden Fall tritt auf diesem Album so deutlich wie noch nie zuvor der Unterschied zwischen Kompositionen von John und Paul hervor. Während auf Revolver noch deutliche gegenseitige Einflüsse hörbar sind, so verfallen sie zunehmend auf dem weißen Album. Mit ausreichend Phantasie ist hier relativ deutlich, welches Lied von John und welches von Paul stammt. Bei ihren folgenden Alben versuchten sie das vielleicht wieder etwas zu vertuschen, aber am deutlichsten merkt man es diesem Album an, dass John und Paul auch verschiedene Wege gehen könnten. Nur weil genau dies keine zwei Jahre später der Fall war, soll hiermit nicht die Genialität dieses Albums angezweifelt werden.

      Jeder, der es zu schätzen weiß, wie wunderbar Johns Lieder sind, die er gemeinsam mit den Beatles geschaffen hat, der sollte auch wissen, dass diese Stücke deshalb so gut sind, weil sie ebenso von Paul und George Martin, dem Produzenten mitgeprägt wurden. Paul passte besser zu George Martin, weil er direkter war als John. Er konnte sagen, ich will genau diesen Ton oder diesen Rhythmus. Und dann trommelte er ihn vor und Ringo trommelte ihn nach. John sagte eher: Spiel einfach los und probiere etwas aus, ich sage dann Bescheid, wenn es gut ist. Oder er drückte es in Metaphern aus: Ich will, dass es klingt wie ein buddhistischer Chor, der von einem Berg herab singt. Dann entschied er sich, an den Füßen festgebunden, von der Decke herabhängend zu singen. George Martin hatte dafür nicht immer Verständnis. Er duldete es aber, weil John auf seine Weise ein großartiger Künstler war. Der vielleicht wichtigste Punkt ist, dass sie allesamt sich auf Augenhöhe begegneten. Obwohl George Martin der viel Erfahrenere war, hatten John und Paul eine so enorme musikalische Ausdrucksstärke, dass dieser Unterschied aufgehoben wurde, sobald sie miteinander arbeiteten. Sie bewunderten sich gegenseitig. Sie ergänzten sich. Sie waren Freunde und Brüder. Natürlich waren sie auch Konkurrenten, aber eher im positiven Sinne. John spielte manchmal gerne den Chef und trieb die Gruppe damit an: „Wo gehen wir hin, Jungs?“ und die anderen antworteten: „An die Spitze, Johnny, ganz nach oben!“ Paul stand dadurch immer ein wenig im Schatten dieser Präsenz, aber dieses Bild entstand nur durch die Darstellung in den Medien. Die Beatles versuchten sich von den Medien nicht derart beeinflussen zu lassen, dass alles, was geschrieben wird, auch wahr wird. John und Paul waren Freunde, die sich gegenseitig sehr wichtig waren. Sie waren gemeinsam so stark, dass sie


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