"Blutige Rochade". Thomas Helm


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Baumann. Er entnahm dem Regal ein Plastetablett mit Kaffeegeschirr, stellte es auf den Tisch.

      In diesem Moment betrat Horst Weiler, aus der Küche kommend, den Raum. »Hallo Ralf! – Der – Kaffee – ist fertig!« summte er launig. In der Hand trug er eine volle Glaskanne. Vorsichtig setzte er sie auf der bunten Wachstuchdecke ab, auf der Baumann soeben das Geschirr verteilte.

       Weiler hatte seit dem vergangenen Jahr etwas zugenommen. Seine ehemals sportliche Figur zeigte eine beginnende Korpulenz. Das Haar, wie bislang schwarz und dicht, wurde an den Schläfen bereits mit einem silbernen Schimmer aufgehellt.

      Ganz im Gegensatz zu Baumann. Der hatte sichtlich abgenommen. Das Gesicht wirkte derweil mit der Hakennase noch markanter. Das dunkelblonde Haar trug er wie seit eh und je zur Bürste geschnitten. Vor einiger Zeit bekannte er sich endlich zum Tragen einer Brille. Eine mit einem modischen Gestell, das sein intelligentes Aussehen unterstrich.

      Die drei Männer hatten derweil am Tisch Platz genommen. Baumann goss Kaffee in die Tassen, Weiler bot Zigaretten an.

      Zernick lehnte ab. »Wieso denkst du eigentlich immer noch, dass ich jetzt mit der Qualmerei anfange?«, fragte er kopfschüttelnd.

       Einen Augenblick lang herrschte Ruhe im Raum. Doch die wurde sogleich vom Lärm der Straßenbahnen und Autos unterbrochen, die vor dem Haus vorbei fuhren.

       Weiler und Baumann schlürften ihren Kaffee. Wobei sie erwartungsvoll auf ihren dritten Mann blickten.

      Zernick wedelte mit der Hand den Rauch ihrer Zigaretten auseinander und räusperte sich. »Nun denn, meine Herren!«, begann er. »Die Sache sieht gut für uns aus! Heute Morgen hatte ich, wie ihr wisst, den Termin mit dem Chef der Hausverwaltungsgesellschaft. Der legte mir zwei Angebote vor und ich packte ihm unsere ausgeschmückten Referenzen auf den Tisch.« Er trank rasch einen Schluck vom Kaffee. Daraufhin huschte ein Lächeln über sein markantes Gesicht. »Männer, stellt die Lauscher auf! Der Neubau des Geschäftshauses in der Friedrichstraße, das wir ins Auge gefasst haben, wird voraussichtlich in vier bis fünf Wochen bezugsfertig sein. Wir könnten jetzt in der fünften Etage vorerst sechzig Quadratmeter anmieten. Diese Fläche aber später noch erweitern!«

       Baumann und Weiler sogen beifällig nickend an ihren Zigaretten.

      »Wie bereits angedacht gibt’s bei der ganzen Sache einen kleinen Haken!«, fuhr Zernick fort und trank seine Tasse aus. Mit einem schrägen Lächeln bedankte er sich bei seinen Partnern. Denn die drückten soeben ihre Kippen aus. »Die Herrschaften wollen vor der Unterzeichnung des Mietvertrages einen Bonitätsnachweis über unsere Firma vorliegend haben. Das heißt schlicht und ergreifend nur eines. Wir müssen einen angepassten Kontenstand nachweisen!«

      Unvermittelt, nach Zernicks Worten, erhob sich Baumann. Aus seinem Aktenkoffer kramte er ein rotes Notizbüchlein. »Kleiner Haken ist gut formuliert! Hast du vergessen, dass wir fast Pleite sind?«, setzte er dem vorgeblichen Optimismus von Zernick kopfschüttelnd entgegen. Darauf hin ließ er sich zurück auf seinen Stuhl fallen. Einen Augenblick blätterte er stirnrunzelnd in dem Büchlein. »Also gut, meine Herren!« Eindringlich schaute er seine Geschäftspartner nacheinander an. »Ihr wisst noch, dass ich euch anfangs von meinen alten Verbindungen zum ZK erzählt habe?«

      »Ja! Dass galt soweit ich noch weiß bei unserer Firmengründung als dein persönlicher Einstand! «, erwiderte Zernick im kategorischen Tonfall. Seine Augen verengten sich.

      Weiler nickte zur Bestätigung. »Genau so war es abgesprochen!«

      Mit einer theatralisch wirkenden Geste hob Baumann die schmalen Hände. »Da muss ich jetzt also den »Fond« aktivieren! Gut! Ich werde gleich meinen Kontaktmann anrufen. Hoffentlich erreiche ich den. Der wird mich bei der alten Dame anmelden. Wenn das klappt, könnte ich schon morgen nach Wien fahren, um mit der Lady die Transaktion abzustimmen!« Er erhob sich wieder überraschend flink, ging hinüber zu dem Schreibtisch, auf dem ihr einziges Telefon stand. Nach einem nochmaligen Blick in sein Notizbuch wählte er eine Nummer. Wenige Augenblicke später hörten die beiden mit, wie er mit dem Angerufenen sprach. »Dieter hier. Ja, Dieter Baumann von römisch Vier. Ich muss dringend mit dir sprechen. Persönlich! – Richtig, ’ne Fondssache. Jetzt sofort? Klar geht das, – ja, kenne ich. Also, bis bald!« Er legte auf und schaute seine Partner mit einem feinen Lächeln an. »Ist gebongt! Ich fahr gleich zu ihm hin.«

      Zernick stand auf und ging hinüber zum Kleiderständer. Dort fummelte er den Schlüssel vom BMW aus seiner Jacke.

      »Die Summe, wie abgesprochen und sofort?«, fragte Baumann und steckte den Autoschlüssel ein.

       Seine Partner nickten zustimmend, woraufhin er das Büro verließ.

      Weiler räumte das Kaffeegeschirr aufs Tablett. Damit verschwand er in der kleinen Pantry, wo er laut klappernd spülte.

      Derweil ordnete Zernick einige Unterlagen.

      Nachdem Weiler aus der Küche zurückgekommen war setzte er sich an seinen Schreibtisch. Er brannte sich eine Zigarette an. »Ralf! Ich schreibe mal den Vertrag mit der »Stadtpark-Klinik« fertig. OK?«

      Zernick knurrte zustimmend. Wobei er missmutig zu seinem Partner hin starrte, da etwas vom Rauch zu ihm hinzog.

      Stöhnend zerrte Weiler die wuchtige alte Schreibmaschine« vom Typ »Optima« zu sich heran. Umständlich spannte er zwei Blatt Schreibpapier, mit einen Bogen Blaupapier dazwischen, in die Maschine ein. Heftig klappernde Geräusche verbreitend, begann er zu schreiben.

      Zernick indes lehnte sich in seinem knarrenden Schreibtischsessel zurück. In Gedanken versunken fixierte er die Eingangstür.

       Der Start ins Ungewisse

      Im vergangenen Jahr geschah ungewöhnlich Erschreckendes. Einschließlich der Auflösung des Ministeriums brach der ganze sozialistische Staat zusammen. Vor allem aber veränderte sich damit ihr Leben grundsätzlich!

      Es passierte wenige Tage vor der Erstürmung des Ministeriums, als sie nochmals beisammensaßen. Dazu hatte man sie ins Gebäude einer Behörde befohlen, die offiziell nicht mehr existierte.

       Zernick, Weiler und Baumann kamen als einzige. Ihr Abteilungsleiter, Oberst Freitag, saß ihnen gegenüber. Neben ihm ein Major und ein Oberstleutnant. Die beiden Letzteren kannten sie nur flüchtig. Alle trugen Zivil.

      »Das hier ist die endgültige Zusammenkunft der Beauftragten für die drei Bauabschnitte der Erdgastrasse«, sagte der Oberst.

       Ihnen, die sie jahrelang die Interessen der »Firma« an der Trasse vehement vertreten hatten, teilte man solcherart das »Aus« mit.

      »Sie müssen jetzt alleine sehen, wie und wo Sie in Zukunft unterkommen! Ja, ja! Das klingt alles nach »Rette sich, wer kann!« Aber so lautet nun mal der letzte Tagesbefehl!«

       Natürlich nannte man ihnen mehrere Kontaktadressen. Doch ansonsten gab es nur Worthülsen. Sie waren wütend.

      Emotional angeschlagen hockten sie sich noch am gleichen Abend zusammen. In einer kleinen Kneipe in Lichtenberg nahe der früheren Wirkungsstätte. Dort legten sie, in einer halblaut geführten Diskussion und unterstützt durch einige Gläser »Berliner Pilsner«, eine gemeinsame Strategie fest.

      Jeder würde, für alle Fälle, seine wichtigsten Kontakte in der noch bestehenden UdSSR sicherstellen. Wenn es zu einer Auflösung der DDR käme, was sie schon als gegeben hinnahmen, galt für sie fortan die gleiche Aufgabe: Unabhängig voneinander sollte ihnen ein beruflicher Neueinstieg in der BRD gelingen! Ihr Ziel war die private Sicherheitsbranche. In einem straffen Zeitrahmen von einem Jahr mussten sie dieses Metier beherrschen lernen.

      Natürlich hätte es gleich nach dem Mauerfall für sie noch andere Perspektiven gegeben. So zeigte man von Seiten der westlichen Nachrichtendienste intensive Bestrebungen, um bewährte Kader wie ihresgleichen anzuwerben.

       Doch gerade das kam für sie nicht in Frage!

       Denn die Gefahr nach erfolgter Abschöpfung schnell fallen gelassen zu werden erschien den Dreien zu groß.

      Jetzt regulierte jeder


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