"Blutige Rochade". Thomas Helm


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      Bauerfeind hob die Hand und setzte zu einer Frage an.

      Führmann winkte ab, blickte scheinbar amüsiert in die erstaunten Gesichter der beiden Hauptleute. »Um gleich mal klarzustellen wie das alles finanziert werden soll gebe ich euch gern die Antwort.« Er deutete auf einen wuchtigen Panzerschrank, der in einer Ecke des Raumes stand. »Da drin befinden sich einige Millionen Deutsche Mark, in Fünfhundertern und Tausendern!« Der Oberst hielt inne und weidete sich einen Augenblick an den überraschten Minen der Hauptleute. »Nee, nee! Ich hab‘ hier keine Filiale der Bundesbank! Das da sind – Reserven. Jawohl! Rücklagen, die wir in den letzten Wochen aus einigen anderen Dienststellen in der Republik hierher brachten!«

      Bruhns warf Bauerfeind einen vielsagenden Blick zu. Kleine Schweißperlen glänzten auf seiner Stirn.

      Der Oberst nahm hastig einen Schluck aus der Wasserflasche und brannte sich erneut eine Zigarette an. Daraufhin deutete er mit der Hand auf die vor ihm Sitzenden. »Morgen früh begeben sich Bauerfeind und ich mit dieser Kohle auf den Weg in Richtung Liechtenstein. Um dort ein Konto zu eröffnen, auf das wir das Geld einzahlen. Damit wird für mindestens zehn Jahre die Finanzierung für die Weiterführung des Projektes gesichert!«

      Den Hauptleuten stand die Überraschung im Gesicht geschrieben. Bauerfeind fühlte einen dicken Kloß im Hals, Bruhns kratzte sich am Kopf.

      Der Oberst lächelte kalt und deutete auf Bruhns. »Nun zu dir, Hauptmann! Du wirst morgen alle notwendigen Unterlagen, die sich noch im Schrank befinden, für einen Umzug sicher verpacken. Nach der Rückkehr, – von mir und Bauerfeind, verbringen wir das ganze Material ins neue Büro nach Westberlin.« Unvermittelt kicherte er und hieb mit der Hand auf den Tisch. »Jawohl! Dort beginnt in drei Tagen unser zukünftiges Leben als – kapitalistische Geschäftsleute. Wir übernachten die erste Zeit in der Firma. Aber nur, bis wir für euch beide im Westen ansprechende Wohnungen gemietet haben. Na? Alles klar? Befehl verstanden?«

      Die Hauptleute starrten schweigend auf den Oberst. Sie benötigten einen Augenblick, um das soeben gehörte verdauen zu können. Schließlich nickten sie zustimmend.

      Darauf hin schob Führmann jedem ein zweiseitiges Dokument über den Schreibtisch. »Los! Durchlesen und unterschreiben«, bellte er.

      Bauerfeind nahm das Schriftstück in die Hand. Er erhob sich von seinem Stuhl und beim Lesen des Papiers wurde ihm unvermittelt heiß.

      »Verschwiegenheitsbelehrung« stand dort als Überschrift.

      Einige schwülstige Phrasen folgten. Diese bezogen sich auf die unverbrüchliche Freundschaft zur Sowjetunion. Ebenso auf die ewige Auseinandersetzung mit dem Imperialismus. Fett gedruckt wurde, als einziges mögliches Machtmittel, die »Flamme« aufgeführt. Die der höchsten Geheimhaltung bedurfte. Mit allen, erforderlichen Konsequenzen. Am Ende stand noch: Berlin, den 06. Januar 1990, Unterschrift:«

      Bauerfeind wollte seinen Augen nicht trauen. Daher überflog er den irren Schrieb nochmals. Ist Führmann, ist jeder hier verrückt geworden fragte er sich. Sollte er tatsächlich dabei mitwirken, um Millionen von Westmark irgendwo zu verstecken?

      Nun, das ginge ja noch an. Aber mit dem Geld würde die »Flamme« auf Jahre hinaus weitergeführt werden! Und das bei einer Zukunft, die ungewisser nicht sein konnte.

      Nein! Niemals tue ich das, schoss es ihm durch den Kopf. Bei solch’ hirnrissigem Schwachsinn mache ich nicht mit! Mit einer fahrigen Bewegung wischte er sich die Schweißtropfen von der Stirn. Daraufhin wollte er das Papier ohne seine Unterschrift zurückgeben.

       Doch da bemerkte er Führmanns lauernden, bohrenden Blick. Er sah aber auch, dass Bruhns soeben den Kugelschreiber weglegte. Denn der hatte bereits unterschrieben!

      Mit beiden Händen auf den Schreibtisch gestützt, starrte Bauerfeind nochmals auf das vor ihm liegende Schreiben. Irgendetwas schnürte ihm die Kehle zu. Zumal da ihm schlagartig die ganze Ausweglosigkeit seiner Lage bewusst wurde. Schließlich verfügte er, gerade jetzt und auch für sein weiteres Leben, außer dieser Verpflichtung über keine greifbare Alternative!

       Seine Hand wog schwer und zitterte, als er zum Kugelschreiber griff. Nach einem nochmaligen, kurzen Zögern unterschrieb er.

      Der Oberst stieß hörbar die Luft aus. Woraufhin er am Schreibtisch eine klemmende Schublade auf zerrte. Er entnahm ihr einen dicken Umschlag im A4-Format. Den warf er mit einer lässigen Bewegung vor sich auf die Tischplatte.

      Die Hauptleute schauten überrascht auf das Kuvert.

      »Ich möchte euch eindringlich daran erinnern, dass ihr ab sofort allein meinem Kommando untersteht! «, knurrte Führmann. »Ab morgen befinden wir uns praktisch im Untergrund. Unser Auftrag ist klar definiert! Auch, wenn die äußeren Umstände ungewöhnlich und für uns neu sind. Wir werden ihn erfüllen!«

       Die Hauptleute nickten zögerlich, nachdem sie sich rasch angeschaut hatten.

      Führmann nahm die von Bruhns und Bauerfeind unterschriebenen Dokumente vom Tisch. Er warf einen Blick auf ihre Unterschriften und grinste. »Schön, eure alten Namen noch mal zu lesen!«, kicherte er. Dabei deutete er auf den dicken Umschlag und sein Grinsen erlosch. »Da drin stecken unsere neuen Papiere und dazu gesicherte Legenden. Nun, ich muss schon sagen, dass da einige Leute in den vergangenen Wochen wirklich gute Arbeit geleistet haben! Denn ab sofort sind wir als drei gestandene Tschekisten — Bürger der Bundesrepublik Deutschland!«

       Die Hauptleute benötigten einen Augenblick, um den Sinn seiner Worte zu verdauen. Reglos verharrten sie in Erwartung weiterer Überraschungen.

      Der Oberst deutete auf Bruhns und anschließend auf Bauerfeind. »Du, Bruhns, heißt von jetzt an Kolja Braune und du, Bauerfeind, nennst dich Rainer Rolle! Guckt nicht so blöd, Männer! Veränderte Zeiten erfordern eben angepasstes Vorgehen. Das wisst ihr doch wohl am besten, oder? Ich heiße dann übrigens Rene‘ Fuhran!«

      Bruhns und Bauerfeind nickten wortlos. Obgleich sie die Endgültigkeit dessen, womit sie soeben konfrontiert wurden, zutiefst erschütterte.

      Führmann bot Zigaretten an und holte eine Flasche Weinbrand nebst Gläsern aus dem Schreibtisch. Geschwind goss er ein, die Männer stießen an. »Man kann sagen, der Countdown läuft«, knurrte der Oberst süffisant und stellte sein geleertes Glas auf den Tisch zurück. Er nahm die Weinbrandflasche nochmals zur Hand, schaute grinsend auf das Etikett, das drei Skatkarten zeigte. »In Zukunft werden wir wohl edlere Tropfen zu uns nehmen, als diese Plörre hier. Das ist versprochen!« Er stellte die Flasche zurück. »Also gut, Männer! Die Zeit drängt, Eile ist geboten. Denn wir besitzen verlässliche Informationen, dass am Fünfzehnten unsere Zentrale an dieses – Bürgerkomitee übergeben werden muss. Wir wissen allerdings auch, dass sie den Laden mit großer Wahrscheinlichkeit stürmen wollen!«

      Die Hauptleute schauten sich überrascht an.

      Führmann stieß daraufhin ein heißeres Lachen aus. »Selbstverständlich lassen wir sie zuerst nur dort kramen, wo für uns kein Schaden entsteht. Dafür existiert ein exakter Plan, die Mitarbeiter besitzen konkrete Befehle!« Seine Brauen zuckten hoch. »Noch Fragen, Männer?«

      Zögerlich hob Bauerfeind die Hand. »Mir ist nicht klar wie wir das Geld durch die bitte warten sie mal – zwei– Grenzkontrollen bringen wollen?«

      Führmann lehnte sich im Sessel zurück, verschränkte die Arme vor der Brust. »Gute Frage! Also mal im Klartext. Das läuft ab, wie folgt. Zumindest an der Grenze zu Österreich ist mit einer schlampigen Kontrolle zu rechnen. Wie es nach Liechtenstein hinein wird, ist uns unbekannt. Aber! Das wird alles für uns kein Problem sein. Denn erstens transportieren wir das Geld unter einer Doppeldeckung. Zweitens arbeiten wir mit einem »diplomatic bag«! Weiß einer von euch, was das ist?«

      »Sie meinen, dass wir Diplomatengepäck benutzen?«, fragte Bauerfeind überrascht.

      Bruhns riss die Augen auf und runzelte die Stirn.

      Führmann hingegen grinste breit. »Ja, genau so funktioniert es. Das ganze Geld kommt in zwei Segeltuchsäcke. Deklariert werden sie als Diplomatengepäck. Die Säcke packen wir in zwei große Koffer. Bauerfeind und


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