"Blutige Rochade". Thomas Helm


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wir ein Dokument, das uns als diplomatische Kuriere ausweist und das Gepäck entsprechend deklariert. Das steckt übrigens alles bei deinen Unterlagen, Bauerfeind! Oder besser gesagt – Herr Rolle! Noch Fragen?«

       Zögernd verneinten sie.

      Auch die darauf folgenden Stunden saßen sie mit dem Oberst beisammen. Um die weiteren Vorgehensweisen im Detail durchzusprechen. Die skizzierte Ablaufplanung wurde zudem auf mögliche Mängel abgeklopft.

      Später nahmen sie unten in der Kantine ein Abendbrot ein. Trotzt dem Chaos, das im Ministerium herrschte, lief der Betrieb in der Versorgungseinrichtung ungehindert weiter.

       Anschließend bekamen die Hauptleute einen ausgeräumten Büroraum zugewiesen. In dem standen zwei Feldbetten, ein Tisch und Stühle. Auch Bettzeug lag bereit.

      Führmann übergab ihnen die neuen Papiere und die Legenden. Seine Aufforderung diese peinlich genau zu studieren formulierte er als Befehl. Dann ging er.

      Mit dem Erlernen ihrer zukünftigen Existenzen beschäftigten sie sich bis in die Nacht hinein.

      »Du weißt hoffentlich noch, was wir da unterschrieben haben?« Bauerfeind unterbrach halblaut ihr Blättern in den Unterlagen.

      Bruhns grinste. »Sicherlich! Wobei es mir ziemlich schwachsinnig erscheint, so ein Vorhaben über Jahre hinaus zu planen. Aber Befehl ist Befehl! Für mich kommt eine Fahnenflucht nicht infrage. Und das auch, obwohl ich jetzt ein – Bundesbürger bin!« Er lachte leise. »Mann, wir sollten froh sein, dass wir solch eine Aufgabe erhalten haben. Glaubst du etwa, dass wir noch irgendwo anders eine Arbeit bekommen? Ich meine, wenn die Firma in Kürze aufgelöst wird?« Damit schien für ihn das Thema erledigt zu sein.

      Bauerfeind kam sich auf einen Schlag sehr verloren vor. Mit einer solchen Entwicklung der Lage hatte er nicht gerechnet. Gestern Abend noch, vor seiner Abreise nach Berlin, hätte er an Derartiges keinesfalls gedacht.

       Hätte er sich doch nach Hamburg absetzen sollen?

       Überrascht hob er den Kopf.

      Bruhns legte ihm die Hand auf den Arm und schaute ihn dabei eindringlich an. »Wie es mir scheint, hast du es wirklich nicht mitbekommen? «, fragte er leise. »Ich meine, wie Führmann vorhin auf dein Zögern bei der Unterschrift reagierte?«

      Bauerfeind schüttelte den Kopf, hob fragend die Brauen.

      »Er hatte ganz schnell die Hand auf seiner Knarre!«, raunte Bruhns und schaute rasch zur Tür.

      Bauerfeind fühlte, wie ihn der Schweiß ausbrach. Er brauchte eine Weile, um sich zu sammeln. Schließlich tippte er Bruhns auf die Schulter. »Sag‘, Kolja! Gab es bei dir im Ural mal irgendwelche Probleme mit den Containern? Nichts Allgemeines, meine ich. Sondern vielleicht – Vorgänge, die richtig kritisch worden? «

      Sein Gegenüber starrte ihn mit geweiteten Augen an. Dann kniff er sie rasch zusammen und schluckte heftig. »Was, – wie – was willst du damit sagen? «, entgegnete er mit kratziger Stimme.

      Bauerfeind entging Bruhns Reaktion auf seine Frage nicht. Er bemerkte auch die Schweißtröpfchen auf dessen Stirn. »Versteh mich bitte nicht falsch! «, gab er zurück und senkte den Blick. »Mir ist da vorn paar Jahren eine blöde Sache passiert. Es könnte ja sein, dass auch bei dir mal was – in die Hose gegangen ist.«

      »Gab es bei dir etwa Tote? «, entgegnete Bruhns atemlos.

      Bauerfeind schüttelte den Kopf. »Nee, zum Glück nicht. Aber – fast! «

      Bruhns erhob sich unvermittelt. »Ich geh 'mal pissen«, murmelte er. Mit bleichem Gesicht verließ er den Raum.

      Bauerfeind zeigte sich wegen Bruhns letzter Frage für einen Augenblick irritiert. Dann wandte er sich erneut den vor ihm liegenden Unterlagen zu.

      Vorhin hatte ihm Führmann auch eine in Folie eingeschweißte Adresskarte der Bank übergeben. »Falls ich auf der Fahrt ausfallen sollte! Letztendlich musst du ja wissen, wohin das Geld gebracht werden soll«, lautete sein lakonischer Kommentar.

       Bauerfeind prägte sich die Adresse des Geldhauses ein. Ihr Ziel trug einen bedeutsam wirkenden Namen.

       »Liechtensteinische-Erste-Landesbank AG« in Vaduz.

       Stadt Perm, (wenige Tage nach Neujahr 1990)

       In seinem Büro, oberhalb seines Nachtklubs »Maxim« an der Uliza Krasnowa in Perm gelegen, saß Alexej Kuragin. Der Russe, der in seinem Maßanzug sehr kräftig wirkte, strich sich über den Schnauzbart. Dann schaute er auf die protzige Uhr an seinem Handgelenk. Auf die Armlehnen gestützt erhob er sich aus dem hohen Ledersessel. Der stand hinter einem wuchtigen Schreibtisch. Dessen geschnitzte Löwenfüße stets die Blicke jedes Hereinkommenden auf sich zogen. Tisch und Sessel hatte er sich gleich nach Steinckes Weggang angeschafft. Das tat er damals wohl nur, um seinen Groll zu besänftigen. Der inzwischen verraucht war.

      Mit einem vergoldeten Gasfeuerzeug entzündete er sich eine Zigarette. Daraufhin trat er an das breite, bodentiefe Fenster heran.

       Von dort aus bot sich ihm eine gute Sicht auf den verschneiten Gorki-Park. Der erstreckte sich auf der anderen Straßenseite. Zwischen den schneebeladenen Bäumen der Parkanlage entdeckte er einige Skiläufer in der Loipe.

       Sein Blick fiel auf die Straße vor dem Haus. Bunte papierene Überbleibsel zeugten im knietiefen Schnee von den Neujahrsfeiern und dem soeben vergangenen Weihnachtsfest.

       Jetzt, in der Mittagszeit, überspannte ein tiefblauer Himmel die weiße Pracht. Die erstreckte sich über den gesamten Ural und brachte wie in jedem Winter Freude aber auch Ungemach mit sich.

      Kuragin sog an der Zigarette, kehrte an den Schreibtisch zurück und ließ sich in den Sessel fallen. Nachdenklich blickte er auf den grünlich flimmernden Monitor. Den verband ein schwarzes Kabel mit einem klobigen Computer, der unter dem Tisch stand. Auf Kuragins Stirn bildete sich jäh eine Zornesfalte. Denn alles, was mit dieser Blechkiste zusammenhing entfachte eine stumme Wut in ihm!

      Noch im vergangenen Herbst hatte ihn sein Freund, Helmuth Steincke, eindringlich für die Anschaffung eines Computers zu begeistern versucht. »Damit wir unsere geschäftlichen Aktivitäten, die Abrechnungen, alle Schreibarbeiten besser in den Griff bekommen. Dazu brauchen wir auf jeden Fall einen dieser – Computer!«, hatte er behauptet. Doch leider vermochte er es nicht mehr, einen davon aus dem Westen nach Perm mitzubringen.

       Vor einigen langen Wochen schon verschwand Steincke ohne ein nachfolgendes Lebenszeichen von der Bildfläche. Kuragin vermisste ihn. Auch wegen seinen vorgeblichen Erfahrungen im Umgang mit Computern. Von denen der Russe so gut, wie keine Ahnung hatte.

       Jetzt hockte er hier und betrachtete kopfschüttelnd ob seiner Ratlosigkeit das verdammte, grün leuchtende Ding auf dem Schreibtisch.

      Wieso habe ich nur solch einen Blödsinn verzapft, fragte er sich. Wo ich doch sonst so behutsam an Unbekanntes herangehe? Diese Frage geisterte zum wiederholten Mal durch seinen Kopf.

       Erst vor zwei Wochen passierte es, dass er sich überstürzt und unbedacht auf ein überraschendes Angebot einließ.

       Und jetzt stand diese blöde Kiste hier herum. Augenscheinlich funktionierte sie. Doch alles, was auf dem grünen Bildschirm erschien, zeigte sich nur in englischer Sprache.

       Der Verkäufer, ihm bis dahin unbekannt, war mit den vielen D-Mark Scheinen längst verschwunden. Und seine Leute, die er unverzüglich losschickte, vermochten ihn bisher noch nicht aufzustöbern.

       Dabei wollte er doch nur eines. Dass der Kerl den Computer veranlasste, mit ihm auf Russisch zu kommunizieren.

       Mehr nicht!

      Kuragin hatte die Kippe ausgedrückt und seinen Tee ausgetrunken, als es an der Tür klopfte. Einen Augenblick später schob sich Azat, einer seiner Bodyguards, eine Verbeugung andeutend durch den Türspalt.

       Von dieser Sorte Muskelmänner beschäftigte der Russe insgesamt sechs Stück. Azat erwies sich jedoch als der Beste.

      Der untersetzte, breitschultrige


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