Dillinger macht Wind. Rudi Kost
Scheidung, vor zwei Jahren ungefähr, zusammen mit dem Sohn, der muss jetzt achtzehn sein oder so. Aber nichts Genaues weiß man nicht.«
»Haben Sie mit Ihrer Nachbarin nicht darüber gesprochen? Wenn man so dicht aufeinander wohnt?«
»Ach, wir hatten nicht so viel Kontakt. Die Rautenbergerin war so eine … wie soll ich sagen …«
»Eine Verhockte«, ergänzte ihr Eduard.
»Und zu ihm hatten Sie auch wenig Kontakt?«
»Doch, schon. Der hat ja gern geredet. Und dann war er ja auch so ein Umweltschützer, ein ganz fanatischer. Der ist immer sauer geworden, wenn er bei mir Schneckenkorn gesehen hat. Das Gift bleibt sieben Jahre in der Erde, hat er geschimpft. Aber was soll ich denn machen gegen die Biester? Die fressen mir doch meine ganzen Blumen weg! Na ja, das muss einer vielleicht sagen, wenn er Biologielehrer am Gymnasium ist. Und sogar ein Doktor.«
»Und Sie sagten, er hatte viel Damenbesuch?«
»Ha! Und kaum eine kam zweimal.«
»Das haben Sie ja gut beobachtet.«
»Wenn man so dicht aufeinander wohnt.«
»Der hat bestimmt dafür bezahlt«, ließ sich ihr Eduard vernehmen. »Da waren auch ganz junge Dinger dabei.«
In mir keimte ein schrecklicher Verdacht. »Wie jung? Wie Schülerinnen?«
»Das sieht man doch nicht so genau«, schaltete sich Frau Bäuerle wieder ein. »Die jungen Mädchen heutzutage sind ja so aufgetakelt, die sehen viel älter aus, als sie tatsächlich sind.«
»Waren seine Frauenbekanntschaften auch der Grund für seine Scheidung?«
»Gesagt hat natürlich keiner was, aber man denkt sich seinen Teil.«
»Kannten Sie welche von den Frauen, die zu Besuch kamen?«
»Ha! Viele! Die Renate Lohmeier, die Margot Waghans, die Lore Bibloch …«
»Aber die sind doch alle aus dieser Umweltgruppe«, unterbrach sie ihr Eduard. »Die werden sich über die Frösche unterhalten haben.«
»Und dabei haben sie quaken geübt oder was? Was die gemacht haben, war ja wohl eindeutig, das hast du doch auch gehört. Direkt neidisch hätte man werden können!« Sie warf ihrem Eduard einen Blick zu, den der nicht registrierte oder nicht registrieren wollte.
»Und was ist mit der Irene Zwigge?«, fuhr sie fort. »Die ist nicht bei der Umweltgruppe, die ist verheiratet!«
Es gab hier anscheinend interessante Zusammenhänge zwischen Umweltschutz und Ehe, aber das wollte ich lieber nicht vertiefen.
»Der Herr Rautenberg ist … war ja sehr aktiv hier. Als Umweltschützer, meine ich. War er auch gegen den Windpark?«
»Ha! Aber wie! Der war ja der Chef von dieser Bürgerinitiative! Und als er die Dinger doch nicht hat verhindern können, hätte er sie am liebsten in die Luft gesprengt. Hat er mir mal gesagt.«
»Ach, das sagt man so«, warf ihr Eduard ein. »Er war halt dagegen, und recht hat er gehabt. Jetzt stehen die Türme da und laufen nicht mal. Wir haben sie ja ständig im Blick, wenn wir im Garten sitzen.«
»Sie waren also auch gegen die Windräder?«
»Freilich, das muss man doch sein! Überall stehen die ’rum und verschandeln die Landschaft!«, empörte sich Frau Bäuerle.
»Dann waren Sie wohl auch in der Bürgerinitiative aktiv?«
»Das nicht. Dafür habe ich keine Zeit. Ich muss meinen Garten machen.«
»Also, Frau Bäuerle, Herr Bäuerle, dann bedanke ich mich mal. Wenn ich noch Fragen habe, komme ich auf Sie zurück.«
»Aber klar, Herr Kommissar! Man hilft doch gern. Was ist nun eigentlich mit dem Rautenberg passiert?«
Herr Kommissar! Wie sich das anhörte! Ich lächelte sie an und ging weiter.
Mittlerweile hatte sich gefühlt halb Ilshofen um das Häuschen von Gustav Rautenberg versammelt. Da es nicht viel zu sehen gab, blieb ausführlich Gelegenheit für Mutmaßungen. Jedem musste klar geworden sein, dass der Herr Nachbar nicht bloß aus dem Schaukelstuhl gefallen war, bei diesem Polizeiaufgebot.
Ich schlenderte durch die Menge und spitzte die Ohren.
Die Zusammenfassung der hin und her schwirrenden Gerüchte war etwa folgende: Rautenberg war ein arroganter Schnösel, ein charmanter Mann, wollte sich in den Vordergrund stellen, engagierte sich selbstlos für eine gute Sache, war schon immer etwas merkwürdig. Zur gefälligen Auswahl.
Ich beobachtete besonders die Frauen im knackigen Alter. Täuschte ich mich oder waren tatsächlich einige auffallend still?
Als ich Keller aus dem Haus treten sah, ging ich zu ihm hin.
»Und? Was spricht die Gerüchteküche?«, fragte er.
»Gymnasiallehrer für Biologie, und da es hier in Ilshofen kein Gymnasium gibt, wohl in Crailsheim.«
»Gut kombiniert. So weit sind wir auch schon.«
»Bei diesem Provinz-Clooney ist wenigstens klar, auf welcher Seite des Bettes er liegt. Er scheint jede Frau vernascht zu haben, die nicht rechtzeitig Reißaus genommen hat. Und er liebte die Abwechslung.«
»Das sagte die nette Nachbarin ja schon.«
»Unter den willigen Frauen waren wohl etliche aus der Nachbarschaft. Du hast also die Wahl zwischen eifersüchtigen Ehemännern und eifersüchtigen Ex-Geliebten und eifersüchtigen Noch-nicht-Geliebten, und das scheint bei ihm ein weites Feld zu sein. Aber keine Sorge, du bist nicht allein, ich helfe dir.«
Keller brummte nur.
»Und jetzt wird’s interessant«, sagte ich. »Unter den Frauen sollen auch junge gewesen sein. Sehr junge.«
»Oha!«
»Eben. Wenn man das von einem Lehrer hört, wird man hellhörig. Muss ja nichts dran sein. Aber auch in dieser Richtung musst du ermitteln.«
»Ich weiß selber, wie ich meinen Job zu machen habe«, blaffte Keller.
»Und damit dir’s nicht langweilig wird: Der lebenslustige Herr war wohl ziemlich fanatisch, wenn es um den Umweltschutz ging. Er wollte die Windräder in die Luft sprengen, wenn er sie schon nicht verhindern konnte. Hat er gesagt. Hat die Nachbarin gesagt. Vielleicht wollte er den Tatort nur ausbaldowern – so sagt man doch, oder? Vielleicht hat ihn jemand auf frischer Tat ertappt? Irgendwelche Spuren diesbezüglich im Turm?«
Keller seufzte. »Weiß ich doch nicht, ich kenne die Auswertung ja noch nicht. Ich werde die Jungs darauf anspitzen.«
»Die niedliche Adelheid nicht zu vergessen.«
»Willst du ihr das nicht selber sagen? Die haben richtig gute Laune, weil sie sich die Nacht um die Ohren schlagen dürfen und hernach noch eine lange Heimfahrt haben. Die sind ziemlich sauer auf den, der ihnen das eingebrockt hat.«
»Was schaust du mich so an? Ich habe den Rautenberg doch nur gefunden.«
»Hättest du das nicht auch ein paar Stunden eher tun können?«
»Das nächste Mal werde ich dran denken«, versprach ich. »Darf man eintreten?«
»Wenn du deine Pfoten bei dir behältst«, knurrte Keller. »Wir sind noch nicht fertig.«
Von einem seiner Kollegen holte er sich ein Paar Einmalhandschuhe und warf sie mir zu.
»Ich dachte, ich darf nichts anfassen?«, sagte ich erstaunt.
»Darfst du auch nicht. Aber ich kenn dich doch.«
Ich betrat ein in jeder Beziehung durchschnittliches Siedlungshaus. Was es von anderen unterschied, war die Tatsache, dass es nach allen Regeln der Kunst auseinandergenommen war.
»Wie sieht das denn aus?«, entfuhr es mir.