Going Underground. Martin Murpott
Unter der Jeansjacke, die sie trug, war heute ein Shirt von Iggy & den Stooges zu erkennen.
>>Dieses Spionageamt magst du wohl nicht?<<>>Alles arrogante Schnösel. Halten sich für die CIA. Außerdem fühl ich mich nicht sonderlich wohl bei dem Gedanken, dass sie das grundlegendste Gesetz außer Kraft setzen können.<<
Er sah sie fragend an und rutsche dabei zappelig auf seinem Hintern herum.
>>Quid esse mortuus non debere redire numquam. Was lebt, darf niemals tot sein, was tot, ist darf nie zurückkehren.<<
Langsam erreichte die Straßenbahn die gewünschte Haltestation. Als Esther ihm sagte, dass sie langsam aufstehen könnten, wurde Robert von Dankbarkeit erfüllt. Hätte er noch länger auf seinem Platz sitzen müssen, hätte es ihm vermutlich die Nervenbahnen zerrissen.
Das transzentmographische Störungscenter war in einer ehemaligen und völlig überdimensionierten Sternwarte untergebracht und teilte sich das Gebäude mit der toten Grazer Rundfunk- und Kabelgesellschaft. Aus der riesigen metallenen Kuppel ragten unzählige Antennen in den planetaren Himmel. Da Esther schon öfters hier zu tun hatte, wenn auch das letzte Mal wegen unbezahlter Fernsehgebühren, kannte sie den Weg. Ganz entgegen ihrer Absichten hatten Nerdie und Mike beschlossen, ihr Spiel doch wieder aufzunehmen. Seit gestern Nachmittag hatte sich im Prinzip nichts mehr getan. Aufgrund dessen fielen beide auch fast von ihren Sesseln runter, als sie von Esther mit einem lautem >>Auaaaaaaaaufwachen ihr Nerds, sonst gibt's einen Nippeldreher!<< aus dem Schlaf gerissen wurden. >>Scheiße, soll ich einen Herzinfarkt bekommen? Wer hat denn gewonnen?<<>>Ihr habt beide verloren, Nerdie, aber das weißt du ohnehin <<, antwortete Esther und klatschte mit beiden zur Begrüßung ein. >>Ihr habt gestern erneut Meldung gemacht, ich hoffe wir sind nicht umsonst hier, sonst muss ich euer Taschengeld klauen.<< >>Sie meint das nicht so<<, sagte Nerdie etwas verlegen und stellte Mike und sich bei Robert vor. So selten wie Nerdie mit Frauen zu tun hatte, ließ er sich alles von ihnen gefallen. >>Da hinten steht übrigens noch Kaffee, wenn ihr welchen wollt.<< Nerdie musste an Flash Gordon denken, so schnell wie Robert zum Küchenblock auf der hinteren Seite des Saales stürmte. Mike kramte währenddessen die Ausdrucke der Spannungsspitzendiagramme aus seiner Schreibtischlade hervor und breitete sie vor sich aus. Robert war inzwischen mit einer Tasse voll schwarzer zäher Brühe zurückgekehrt und fluchte darüber, dass er sich die Lippen verbrannt hatte. >>Seht ihr, die Ausdrucke sind identisch. Zufall kann das keiner mehr sein. Dreimal gab es eine massive Störung der Polarität, aber der Computer kann sie nicht zuordnen. Weder wo, noch was, noch wie.<< >>Was sagt das Spionageamt?<<, fragte Esther.
>>Negativ. Außerdem hätte der Computer eine Aktivität des Artefakts erkannt, man kann es nicht verschlüsseln oder ausreichend abschirmen.<<>>Ist ein Übertritt denkbar?<< >>Ja klar, sonst hätten wir ja nicht Meldung erstattet. Die Spitzen sind theoretisch hoch genug dafür. Aber wir können weder sagen, ob es von "Unten" nach "Oben" oder umgekehrt ging, noch ob es ein Mensch war, irgendwelche Materialien oder bloßer Informationsaustausch.<<>>Sieht ein bisschen wie ein Haufen aneinander gereihter Uhrtürme aus, von denen jeder zweite auf dem Kopf steht<<, bemerkte auch Robert, und nahm diesmal vorweg, was Esther gerade dachte. >>Kluges Kerlchen<< erwiderte sie. >>Dann haben wir wohl noch einiges vor, denn ich denke, wir sollten mit Selma Sperberkönig sprechen.<< Während sie sich zwei Kopien der Ausdrucke anfertigen ließ, verwandelte sich Robert zum zweiten Mal an diesem Vormittag in Flash Gordon. Der Kaffee und das gestrige Bier transformierten gerade seinen Verdauungstrakt in ein regelrechtes Kackkraftwerk um und er musste unglaublich dringend auf die Toilette. Zu seinem Pech war diese allerdings nicht auf der hinteren Seite des Saales, sondern im unteren Stockwerk des Hauses.
15
Gegenüber der ehemaligen Sternwarte parkte ein unscheinbarer Kastenlieferwagen zur Hälfte auf dem Gehsteig. Zusätzlich stand er noch verbotenerweise gegen die Fahrtrichtung, was aber bei all den untermotivierten Parkwächtern der Stadt im Regelfall kein Problem darstellte. Der Kastenlieferwagen wäre sogar um einiges unscheinbarer gewesen, hätte er nicht ebenfalls eine Vielzahl kleinerer und größerer Antennen auf seinem Dach gehabt, die alle demonstrativ auf das Transzentmographische Störungscenter gerichtet schienen. Doch auch das hätte dem durchschnittlichen und untermotivierten Grazer Parkwächter kaum ein Runzeln auf die Stirn gezaubert. Im Laderaum saß Nummer Fünf vor einem kleinem Verstärkerkästchen, das entfernt an eine CB-Funkanlage erinnerte, und legte seine Kopfhörer zur Seite. Neben ihm lag eine gefesselte und geknebelte Gestalt auf dem Boden und schlief den Schlaf der Gerechten. Sie war schwarz angezogen und schwarz angemalt, denn auch die Parkaufsicht gehörte dem Arbeitsmarktservice. >>Hätte es das übermotivierte Arschloch doch dabei belassen, mir einen Strafzettel zu geben, anstatt minutenlang an meine Ladetür zu hämmern<<, dachte sich Nummer Fünf. Dann stand er auf und öffnete selbige, damit er den armen Mann einfach aus dem Auto treten konnte. Es gab einen knackenden Laut, als der Parkwächter mit dem Kopf voran am Betonboden aufschlug. Das Blut des Park-Sheriffs begann sofort, aus dem Loch, welches sich an seiner hinteren Schädelplatte aufgetan hatte, in ein Kanalgitter zu fließen, das im Randstein eingelassen war. Nachdem sich Nummer Fünf das Schauspiel kurz angesehen hatte, ging er zur Fahrerkabine, setzte sich hinters Lenkrad und donnerte los. Der Meister hatte damit gerechnet, dass das Servicecenter auf den Plan treten würde und hatte es schon vorletzte Woche verwanzen lassen. Das dafür notwendige Equipment borgte er sich wie üblich von seinen zwangsbeglückten Freunden des Spionageamtes aus, die wie immer am glücklichsten waren, wenn sie erst gar nicht wussten, was er damit vor hatte.
Während der Fahrt ließ Nummer Fünf gedankenverloren sein Leben und das danach Revue passieren. Er hatte seine ursprüngliche Karriere beim Sicherheitsdienst der Nationalsozialisten begonnen, war dann in Jugoslawien bei ein paar ganz unschönen Geschichten dabei gewesen und führte nach Ende des Krieges wie so viele andere unter falschem Namen eine zu lange und zu gute bürgerliche Existenz. Als er 1971 vollkommen unbehelligt starb, wanderte er gleich postwendend ins Grazer Höllenzuchthaus, wo er als einer der höher dekorierten Ex-Nazis zwölf Stunden täglich Schweineblut vom Boden der Gefängnisküche lecken musste. Hätte nicht der Meister ein paar Jahre später seine Freilassung beschleunigt, um ihn in seine Dienste stellen zu können: Nummer Fünf wäre wohl längst die Zunge abgefallen. Er genoss sein neues Leben im Tod und tat das, was wohl seiner Bestimmung entsprach, nämlich gehorsam die Drecksarbeit zu erledigen. Moral war in diesem Business etwas, das man sich kaum leisten konnte. Eine Versuchung, der sich nur die wirklich Starken und Loyalen erfolgreich zu widersetzen wussten. Eine Eigenschaft, deren Besitz im entscheidenden Moment zum Nachteil wurde. Das unbändige Chaos auf den Straßen von Hells Peter holte Nummer Fünf zurück in seine momentane Wirklichkeit. Die Zeit drängte und ein Auffahrunfall war das letzte, was er jetzt gebrauchen konnte. Hupend und fluchend kämpfte sich Nummer Fünf durch den zähflüssigen Verkehr. Er musste Sperberkönig zumindest vorübergehend aus dem Weg schaffen, denn auch wenn sie nichts wissen sollte, durfte der GDR kein Risiko eingehen. Sie standen so knapp davor.
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In der diesseitigen Welt war es kurz nach 09:00 Uhr, als Elfriede Grünensteiner die Treppen des Rathauses hinauf hetzte, wohl wissend, dass sie den Kampf gegen die Unpünktlichkeit längst verloren hatte. Sie hatte zuvor noch in das am unteren Ende des Grazer Hauplatzes liegende schwedische Modehaus gemusst, dessen Namen sie aus schleichwerbungstechnischen Gründen nie in den Mund nahm. Ihr Plan war es, ihre frappierende Ähnlichkeit mit Hammers Mutter noch ein wenig zu verstärken, indem sie sich an ihrem Kleidungsstil auf dem Bürogemälde orientierte. Mangels verfügbarer Kostüme im Style der britischen Königin musste sich Nummer Vierzehn allerdings ein Ersatzoutfit aussuchen. Sie sah nun zwar modisch nicht annähernd wie Elke Hammer aus, aber die aktuelle und exklusive Brigitte Nielsen-Sommerkollektion stand ihr ohnehin besser und das Oberteil hatte sogar Brustpolster aus Silikon inkludiert. Sie betrat leicht schnaufend das Vorzimmer des Bürgermeisters und begrüßte die dazugehörige Vorzimmerdame. Esther hatte Glück, denn Siegmund