Geliebter Prinz. Billy Remie
in der Position, über ihn zu urteilen.
»Der König hat ein gutes Herz«, erklärte Bellzazar seufzend. »Er ist ein guter Mann, rein und diplomatisch. Er will Kriege verhindern und ist nicht bereit, für seine eigenen Überzeugungen Gewalt einzusetzen. Wenn er sich weigert, Hinrichtungen zu genehmigen, gibt es einen Aufstand. Diesen könnten wir zwar zerschlagen, müssten aber vermutlich gegen die Menschen Krieg führen. Wir könnten ihn vielleicht gewinnen und ein freieres Land erschaffen, wenn wir die vielen unschuldigen Opfer in Kauf nehmen.«
»Wir können ihm wohl nicht verdenken, dass er den Frieden bewahren will«, schätzte Desiderius, verstand aber auch, dass es manchmal unumgänglich war, Krieg zu führen. Sofern man für die richtige Sache zu den Schwertern rief.
»Ob Krieg oder kein Krieg, Menschen und Luzianer sterben trotzdem«, warf Bellzazar ein. »Und zwar bei Hinrichtungen oder während der Folterungen.«
Das war auch wahr. Vielleicht war ein Krieg im Namen der Freiheit der Anfang vom Ende vieler Hinrichtungen. Das Ende der Unterdrückung.
Interessiert fragte Desiderius: »Aber warum interessiert Euch das? Nehmt es mir nicht übel, aber ich hatte eher den Eindruck, dass Ihr für andere Lebewesen kaum Mitgefühl hegt.«
»Ihr habt recht«, stimmte Bellzazar gleichgültig zu. »Meine Meinung darüber hat auch nicht unbedingt etwas mit Mitgefühl zutun. Ich bin einfach der Ansicht, dass man niemanden wegen seiner Leidenschaft, seiner Vorlieben oder wegen seiner Geburtsumstände hinrichten oder verschmähen sollte.« Nach einer kurzen Pause fügte er noch nachdenklich hinzu: »Ich hege kein Mitgefühl für die Hingerichteten oder für die Verfolgten, ich vermisse nur einfach die Welt, wie sie früher war. Frei und wild.«
Desiderius betrachtete ihn grübelnd. Ihm ging durch den Kopf, dass der Halbgott vielleicht Recht hatte, vielleicht war Nohva vor Jahrtausenden ein besserer Kontinent gewesen, auch wenn man damals noch in wilden Stämmen durch die Wälder gezogen war. Wild aber frei. Das klang jedenfalls besser als kultiviert aber verfolgt.
»Na kommt.« Bellzazar trieb seinen Rappen in den Trab. »Beeilen wir uns, der König wird schon sehnsüchtig auf unseren Bericht warten.«
***
Der königliche Palast war wie eine nochmals eigene Stadt, mit eigenem Stall, eigenen Mauern, eigenen Soldaten und eigenen Vieh- und Getreidebauern.
Der Garten um den Palast war unglaublich. Desiderius musste zugeben, dass die Gerüchte um ihn sogar maßlos untertrieben waren. Das Gras schien grüner zu sein, ebenso die Blätter der zahlreichen Laubbäume, die Schatten spendeten. Die angelegten Blumenbeete schillerten in allen möglichen Farben, von Gelb über Violett bis hin zu dunklem Blau. Es war ein herrlicher Anblick. Man betrat das wahr gewordene Paradies.
Desiderius und Bellzazar passierten ein weiteres Tor, das den Königspalast vom Rest der Stadt abschirmte. Dort gab es ausschließlich königliche Wachen. Alle waren Luzianer, kein einziger Mensch, nicht einmal die Stallburschen, die die Pferde entgegennahmen.
Desiderius’ Rappe schmiegte noch einmal seinen Kopf an ihn, und Desiderius nahm sich die Zeit, um ihn zwischen den Augen zu kraulen. Leise flüsterte er seinem Pferd zu: »Königliche Ställe, mein Lieber, so gut hast du noch nie gehaust, sind bestimmt keine Löcher in den Dächern, und ich wette, das Heu schmeckt besser als die verschrumpelten Karotten, die ich dir sonst immer stehlen muss.«
Ein Stallbursche mit hellbraunem Haar, braunen Augen und einem Gesicht, so makellos und lieblich, dass man glauben konnte, er sei nur ein Gemälde, wenn er sich nicht bewegen würde, nahm die Zügel aus Desiderius’ Hand.
Desiderius hielt ihn noch einmal auf: »Gebt ihm Karotten, die mag er, und striegelt ihn, wenn Ihr ihn abgesattelt habt, er hat eine lange Reise hinter sich.«
Der Stallbursche lächelte und nickte bestätigend. »Natürlich, Euer Gnaden. Er bekommt nur das Beste und ich werde mich persönlich um ihn kümmern.«
Desiderius stockte kurz, noch nie hatte ihn jemand so genannt. Er mochte es nicht unbedingt, aber schlecht fand er es auch nicht.
Seufzend sah er seinem treuen Gefährten hinterher, wie sein breiter Pferdehintern in den Stall geführt wurde, und er stellte fest, dass es nach all der Zeit vielleicht doch mal an der Zeit war, dem Rappen einen Namen zu geben. Normalerweise band sich Desiderius nicht gern, nicht einmal an die Tiere, die ihn auf ihren Rücken trugen, sie lebten leider nie lange. Aber dieser Hengst war schon länger bei ihm als je ein anderes Lebewesen. Er verdiente einen Namen.
Desiderius wandte sich vom Stall ab und ging hinüber zu Bellzazar, der zusammen mit einem kleinen Mann, der in feine Seide gehüllt war, darauf wartete, dass sie dem König gegenübertreten konnten.
Gemeinsam gingen sie den aus weißen Kieselsteinen gestreuten Weg durch den grünen Garten entlang, geradewegs auf die großen, weißen Türen des Palastes zu. Desiderius Schulter an Schulter mit Bellzazar und ihnen voraus der kleine Bedienstete, der sie offenbar führen sollte, was absurd war, der Halbgott fand den Weg bestimmt auch allein, schließlich lebte er im Palast.
Während sie dem kleinen Mann mit dem schütteren, dunklen Haar folgten, bemerkte Desiderius umso deutlicher, wie schmutzig sie nach ihrer langen Reise waren. Zwar hatten sie jede Gelegenheit genutzt, um sich zu waschen, aber trotzdem sah man ihnen an, dass sie keine feinen Seifen zur Hand gehabt hatten. Ihre Kleidung war schmutzig, ihre Haare fettig.
Desiderius kannte die Etikette der Adeligen nur zu gut und fragte sich, ob es wirklich angemessen war, in diesem Aufzug vor den König zu treten. Andererseits interessierte es ihn nicht wirklich, ob sein Äußeres Missfallen erwecken würde. Er wollte nur nicht den König verärgern. Zumal er dem König jetzt erst einmal erklären musste, weshalb bald sehr viele unschuldige Opfer ihr Leben lassen mussten.
In der Nähe des Palastes sah Desiderius zwei der goldhaarigen Prinzessinnen spielen. In silbernen Gewändern tobten sie mit einem schwarzen Hund durch den Garten.
Er musste lächeln, als er die Töchter des Königs so sorglos beim Herumtollen beobachtete. Es erfreute ihn, dass sie sich keine Gedanken um Krieg und Tod machen mussten. Jedenfalls noch nicht.
Als sie ihn ihrerseits erblickten, stockten sie. Die jüngere Schwester flüsterte der älteren etwas zu. Sie kicherten unbeschwert. Die ältere Prinzessin winkte ihm mit einem schüchternen Lächeln zu. Als er die Geste erwiderte, errötete sie und die beiden kicherten erneut mit vorgehaltener Hand.
Er war sich nicht sicher, ob sie sich über ihn lustig machten oder ihn einfach gerne mochten. Ob so oder so, er war froh, dass er ihnen auf irgendeine Art ein Lächeln in die Gesichter zauberte.
Als Desiderius zusammen mit dem Bediensteten und Bellzazar an der Tür ankam, rannten die Prinzessinnen um den Palast herum.
Desiderius und Bellzazar wurden in den großen Thronsaal geführt. Eine beeindruckende Halle aus weißem Marmor und einer so hohen Decke, dass ihm schwindelig wurde, wenn er den Kopf in den Nacken legte und hinaufsah.
Er hatte viel über diesen Ort gehört und war nun, da er ihn mit eigenen Augen sah, grenzenlos überwältigt.
Es war angenehm kühl in dieser Halle, aber seltsam still. Es gab nichts weiter als Boden, Wände, Decke und den großen Thron auf einer Anhöhe, der aus goldenen Flammen bestand. Keine echten Flammen, sondern Flammen aus gegossenem Gold.
Der König war jedoch nicht anwesend, der Thron war leer. Niemand war anwesend, der Saal war gespenstisch leer, dennoch blieb der Bedienstete stehen und drehte sich zu ihnen um.
Erwartungsvoll sah er zwischen ihnen hin und her.
Als keiner der beiden etwas sagte, seufzte der Bedienstete und erklärte tadelnd: »Vergebung, in diesem … Aufzug, könnt Ihr nicht vor den König treten.«
»Ich bin schon ganz anders vor den König getreten«, warf Bellzazar belustigt ein. »Einmal sogar nackt.«
Der Bedienstete setzte eine eiserne Miene auf.
Seufzend lenkte Bellzazar ein. »Von mir aus, dann bringt den jungen M’Shier zu einem Gemach