Das Mysterium der Wölfe. Anna Brocks

Das Mysterium der Wölfe - Anna Brocks


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noch einen Moment.“ Meine Aufmerksamkeit gilt nun wieder Marlow. „Nimm das bitte nicht persönlich, Jessica, aber du bist noch nicht allzu lange im Rudel. Es ist nur natürlich, dass ich von deiner Loyalität bisher nicht völlig überzeugt werden konnte.“ Mir schwant Übles.

      Jaden scheint wieder sofort gemerkt zu haben, was Marlow vorhat: „Akeylas Gabe ist im Moment zwar völlig nutzlos, aber das gilt nicht für Nathan.“ Und wieder ist da dieses hämische Grinsen. Daran habe ich noch gar nicht gedacht. Wie konnte ich das nur vergessen?

      Und schon erteilt Marlow den Befehl: „Los, Nathan! Du hast es doch gehört!“

      Völlig überrascht zuckt er zusammen, fängt sich aber gleich wieder: „Natürlich. Ich werde mich sofort darum kümmern.“ Ohne zu zögern tritt er einen Schritt vor und steht mir gegenüber. Hilflos sehe ich ihn an, er fixiert nur meine Augen. Völlig konzentriert starrt er mich an.

      Als dies eine Weile dauert, fragt Akeyla nach: „Alles in Ordnung, Nathan? Du brauchst doch sonst nicht so lange.“

      „Ich wollte nur auf Nummer sicher gehen.“ Augenblicklich entspannt er sich. Bei mir hingegen ist nun jeder Muskel bis zum Zerreißen angespannt. Nathan sieht mir noch immer in die Augen, als er plötzlich zu lächeln beginnt. „Sie sagt die Wahrheit, ohne Zweifel.“ Wie war das? Habe ich mich verhört?

      Auch Marlow kann es nicht glauben: „Bist du dir da völlig sicher? Überprüfe das besser!“ Er hat sich wohl geirrt. Mit Sicherheit, er hat sich getäuscht.

      Komplett überzeugt wendet sich Nathan an seinen Anführer: „Glaub mir, das habe ich bereits. Sie hat nicht gelogen, ich versichere es dir. Dafür würde ich meine Hand ins Feuer legen.“ Unmöglich. Dieser Blick. Nun bin ich mir völlig sicher. Nathan weiß, dass ich gelogen habe. Er nimmt mich in Schutz.

      Gespannt warten wir alle auf Marlows Reaktion, der überraschenderweise gelassen bleibt: „Wenn das so ist. In diesem Fall können wir leider nichts ändern. Wir werden auf eigene Faust nach den Wölfen suchen müssen.“

      Plötzlich mischt sich Mara ein: „Moment mal, meinst du das ernst? Du bist doch sonst nicht so schnell überzeugt!“ Ich bin ehrlich gesagt auch etwas skeptisch. Wieso um alles in der Welt kommen von ihm keine Widerworte mehr?

      Erneut folgt eine kühle Antwort: „Ganz einfach. Nathan kennt die Regeln unseres Rudels mindestens genauso gut, wie alle anderen hier. Er weiß, was ihm blüht, wenn er mich tatsächlich anlügen sollte.“ Mit einem feindseligen Grinsen im Gesicht wendet er sich an Nathan. „Nicht wahr, mein Freund?“

      Mit gesenktem Kopf stimmt er ihm zu: „Ja, das weiß ich nur allzu gut.“ Seine Stimme ist leise und verletzlich. Es folgt kein provozierender Spruch, wie man es eigentlich von ihm erwarten würde, im Gegenteil. Er dreht sich um. „Kann ich jetzt gehen? Es gibt wohl nichts mehr zu besprechen.“ In seinem Stolz verletzt, trottet er davon.

      Akeyla will ihm gerade nachgehen, als Marlow sie aufhält: „Immer langsam, ich brauche dich hier. Gemeinsam mit Jaden wirst du mir helfen, einen Plan zur Suche des anderen Rudels aufzustellen. Wir brauchen deinen Orientierungssinn und auch die Orte, an denen du die Amulette das letzte Mal gespürt hast.“ Hilflos sieht sie zuerst Marlow, dann wieder Nathan an.

      Ich trete näher an sie heran und versuche, sie aufzumuntern: „Keine Sorge, ich kümmere mich um ihn.“ Sie lächelt dankbar und nickt. Dann entferne ich mich von der Gruppe und folge Nathan, der bereits außer Sichtweite ist, in den Wald.

      Wo kann er nur hingegangen sein? Ich bin weit gelaufen und die Spur führt immer weiter. Hoffentlich habe ich ihn bald eingeholt. Mir geht es nicht nur darum, dass ich Akeyla versprochen habe, nach ihm zu sehen, sondern eher um meine eigenen Gründe. Ich will Antworten.

      „Ich wusste, dass du mir folgen würdest.“ Endlich, da vorne ist er. Nathan sitzt mit dem Rücken zu mir auf einem großen Baumstamm und macht keine Anstalten, sich umzudrehen. „Setz dich. Es gibt bestimmt so einiges, das du wissen möchtest.“

      Wortlos setze ich mich neben ihn. Nathan sieht mich nicht an. Er hat den Blick starr geradeaus gerichtet. Ehrlich gesagt kann ich ihm das nicht verübeln, denn das Bild, das sich vor uns beiden auftut, ist wunderschön. Wir befinden uns am höchsten Punkt einer Klippe und haben die gesamte Landschaft im Überblick. Das Waldgebiet ist gigantisch. Man kann kilometerweit sehen und dennoch reicht es bis zum Horizont. Die Nacht ist sternenklar und der Mond leuchtet hell vom Himmel herab. Lediglich das Zirpen der Grillen ist zu hören.

      Nach einer Weile breche ich die Stille: „Warum hast du das getan, Nathan? Du hast mich in Schutz genommen und deinen Anführer angelogen. Dadurch hast du dich selbst in Gefahr gebracht. Das macht keinen Sinn.“

      Schulterzuckend und mich noch immer nicht ansehend antwortet er: „Wieso sollte das keinen Sinn machen? Marlow mag zwar mein Anführer sein, aber dennoch liegt die Entscheidung, ob ich lüge oder nicht, nur bei mir. Ich kann es ohnehin nicht ausstehen, immer nach seiner Pfeife tanzen zu müssen.“

      Das reicht mir ganz und gar nicht: „Soll das alles gewesen sein? Komm schon, wir beide wissen genau, dass da noch mehr dahintersteckt.“

      Endlich sieht er mir in die Augen: „Die Wahrheit? Ich hatte nicht den blassesten Schimmer, ob du gelogen hast oder nicht.“ Ein verwirrter Blick meinerseits folgt. „Glaub mir, deine Gefühle sind mir völlig unbekannt, waren sie schon immer.“

      Sofort frage ich weiter nach: „Was? Moment mal, du meinst also, dass du nicht spüren kannst, was in mir vorgeht? Aber wieso? Das ist doch deine besondere Fähigkeit, oder etwa nicht?“

      Nathan lacht bitter: „Eigentlich schon. Es funktioniert auch bei allen anderen einwandfrei, nur bei dir nicht.“ Schockiert und neugierig zugleich warte ich auf eine genauere Ausführung seiner Worte. „Meine Theorie ist, dass du einfach zu mächtig bist und deine eigene Fähigkeit als Schutz dient. Immerhin hast du große Kontrolle über dein Unterbewusstsein und das von anderen. Somit ist es mir nahezu unmöglich, bei dir etwas zu erkennen.“ Das klingt schon plausibel. Meine Fähigkeit ist der von Nathan bis zu einem gewissen Grad sehr ähnlich. Wir beide können in die Gedanken anderer eindringen, nur auf unterschiedliche Weise. Vielleicht bin ich einfach stärker als er. Schließlich kann ich meine Gabe auf ihn ohne Probleme anwenden.

      „Da hast du schon recht. Das heißt dann also, dass du über mich und meine Gedanken keinerlei Informationen hast.“ Er nickt auf meine Bemerkung hin. Plötzlich fällt mir im selben Moment etwas ein. „Warte, das heißt ja dann auch, dass du schon früher gelogen hast. Im Containerschiff zum Beispiel. Du hast den anderen versichert, dass meine Absichten stimmen und ich mich den Schattenwölfen aus gutem Grund anschließen möchte.“

      Mit einem amüsierten Lächeln im Gesicht erinnert er sich zurück: „Ach ja, stimmt. Ich hatte keine Ahnung, was du gedacht hast. Du hättest uns genauso gut in den Rücken fallen können.“ Er beginnt plötzlich zu lachen. Ich stehe nur ungläubig neben ihm und habe keinerlei Grund, mich zu amüsieren. „Na, wieso denn so ernst?“

      Ich bin völlig verwirrt: „Das alles ist doch völlig verrückt! Nun gut, du hast mir nun zumindest gesagt, dass du eigentlich gar nichts über mich weißt. Leider macht das die ganze Sache nur noch komplizierter!“

      „Wieso denn das?“ Nun ist auch ihm das Lachen vergangen. Dennoch stellt er sich meiner Meinung nach völlig dumm.

      Also erkläre ich es ihm noch einmal: „Du hast mich vor den anderen in Schutz genommen und das sogar zweimal! Warum um Himmels Willen tust du das, wenn du mich noch nicht einmal richtig kennst?“

      Es folgt eine Antwort, mit der ich nicht gerechnet habe: „Bei dir brauche ich nun wirklich keine spezielle Fähigkeit, um zu erkennen, dass man dir vertrauen kann.“ Erneut fehlen mir die Worte und ich starre ihn sprachlos an. „In dir steckt vieles, Jessica. Da bin ich mir absolut sicher. Du bist etwas Besonderes. Und schon allein aus diesem Grund will ich dich weiterhin im Rudel haben. Ich will mehr über dich erfahren.“ Wenigstens macht sein Verhalten nun endlich Sinn nach dieser Erklärung.

      Trotzdem schüttle ich den Kopf: „Du bist ein komischer


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