Das Mysterium der Wölfe. Anna Brocks

Das Mysterium der Wölfe - Anna Brocks


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Grund wusste ich auch anfangs nicht, wie ich mich dir gegenüber verhalten sollte. Normalerweise ist es sehr einfach für mich, andere einzuschätzen. Durch meine Fähigkeit kann ich immer bis ans äußerste gehen. Bei Marlow zum Beispiel merke ich genau, ob er nur wütend oder kurz vorm Durchdrehen ist. Akeylas schwesterliche Liebe zu mir, Maras Feindseligkeit, ich erkenne all dies auf einen Blick.“

      Ich unterbreche ihn kurz: „Darf ich dich etwas fragen? Es gibt da eine Sache, die mich schon länger interessiert.“ Er sieht mich neugierig an und nickt dann. „Was für eine Beziehung hast du eigentlich zu Akeyla? Ihr beiden steht euch offensichtlich sehr nahe. Wie kommt das?“

      Er hat plötzlich ein stolzes Lächeln im Gesicht: „Wie bereits gesagt, sie ist wie eine kleine Schwester für mich.“ Dann wird seine Miene ernst. „Ich lernte schon sehr früh, mich allein zu versorgen. Meine Eltern wurden von anderen Wölfen umgebracht. Ich erinnere mich kaum daran, genauso wenig, wie ich mich an sie erinnere. Als ich allein durch die Wildnis zog, kam ich eines Tages zu einer Kampfstätte. Überall waren tote Wölfe. Erst später erfuhr ich, dass es Schattenwölfe waren, die Opfer eines Überfalls wurden.“

      Betroffen schüttle ich den Kopf: „Das ist schrecklich. Es muss schlimm gewesen sein, schon in jungen Jahren so viele grausame Dinge erlebt zu haben.“

      Nickend setzt er fort: „Ja, das war es. Dennoch hatte meine Entdeckung auch ihre guten Seiten. Ich hörte ein jämmerliches Wimmern und Winseln zwischen all den toten Wölfen. Schließlich fand ich sie dann. Eine kleine Wölfin, die sich völlig verängstigt an den toten Körper ihrer Mutter schmiegte. Es dauerte lange, bis ich sie davon überzeugen konnte, von ihr abzulassen. Letzten Endes kam sie mit mir. Ich war von diesem Tag an ihre neue Familie.“ Ohne noch etwas zu sagen blickt er in den Sternenhimmel.

      Dann frage ich weiter nach: „Und was ist dann passiert? Wie seid ihr in das Rudel von Marlow gekommen.“

      Nathan sieht wieder zu mir: „Wir zogen umher und wurden bald größer und stärker. Dennoch wurden wir immer wieder angegriffen und ständig verfolgt. Mir wurde bald klar, dass ich Akeyla nicht ewig beschützen konnte. Ich brauchte eine Absicherung und da trafen wir beide auf Marlow und die anderen. Sie erklärten uns, dass sie bereits nach uns gesucht hatten und erzählten uns von ihrem Vorhaben, alle Schattenwölfe zu finden. Obwohl mir ihre Regeln, was die Loyalität und den unbedingten Gehorsam Marlow gegenüber angeht, nicht gefielen, stimmte ich dennoch zu. Akeyla zuliebe gab ich meine Freiheit auf. Tja, und nun bin ich hier.“

      Nun bin ich diejenige, die in den Himmel blickt: „Das Vorhaben, noch weitere unserer Art zu finden, ist wohl missglückt, nicht wahr?“

      Es folgt die traurige Antwort: „Leider ja. Obwohl es noch ein paar gab, andere fanden sie immer vor uns und machten mit ihnen kurzen Prozess. Unser Hass wurde somit über die Jahre hinweg immer mehr geschürt. Wir nahmen Rache an vielen, aber das war uns bald nicht mehr genug.“

      Noch immer beobachte ich Mond und Sterne: „Die Amulette sind eindeutig die beste Lösung, um all diese Probleme aus der Welt zu schaffen. Unsere Rasse hätte ein besseres Leben, wenn unser Vorhaben gelingt. Die Ungerechtigkeit wäre beseitigt.“

      „Ich halte trotzdem nicht allzu viel von der Sache.“ Überrascht über diese Bemerkung blicke ich zu Nathan. „Versteh mich nicht falsch, mir ist es ziemlich egal, ob die Welt nun tatsächlich in Dunkelheit gehüllt wird oder ob sie so bleibt, wie sie ist. Ich führe lediglich die Befehle von Marlow aus und bin meinem Rudel treu, vor allem Akeyla. Sie ist der einzig wahre Grund, warum ich all das hier tue.“

      Mit großem Respekt für diese Entscheidung setze ich fort: „Dein einziges Ziel ist es, deine Familie zu beschützen. Dafür würdest du alles geben. Das ist bewundernswert, Nathan. Du kannst stolz auf dich sein.“

      „Vielen Dank.“ Man sieht ihm an, dass er gerührt ist. Ich vermute, dass ihm das bisher noch niemand gesagt hat, obwohl er diese Worte mehr als verdient. Plötzlich steht er auf. „Wir sollten zu den anderen zurückgehen. Sie denken sonst noch, dass wir verschwunden sind, nach der Aktion von vorhin.“ Er reicht mir die Hand.

      Lachend nehme ich sie und er hilft mir auf: „Ja, da könntest du recht haben. Lass uns umkehren.“

      Die Gruppe ist sehr schweigsam, seitdem wir wieder bei ihnen angekommen sind. Marlow, Akeyla und Jaden scheinen noch immer an einem Plan zur Beschaffung der restlichen Amulette zu feilen. Ian hat sich in der Zwischenzeit hingelegt und schläft. Auch Mara liegt etwas abseits von Nathan und mir. Sie scheint sich zu langweilen und stochert mit ihren Klauen in einem morschen Ast herum.

      Da auch Nathan schon länger nichts mehr gesagt hat, ergreife ich das Wort: „Wie lange sie wohl noch brauchen? Bin ja mal gespannt, was ihnen so einfällt.“

      Nathan antwortet schulterzuckend: „Ich vermute mal, dass ihre Vorschläge nicht allzu kreativ sein werden. Zumindest kann ich mir nicht vorstellen, dass sie tatsächlich eine Lösung für das Problem gefunden haben.“

      „Hoffentlich hast du damit nicht recht.“ Auch Mara beteiligt sich nun am Gespräch. „Ich halte dieses ewige Nichtstun keinen Tag länger aus.“

      Da gesellt sich auch Ian wieder zu uns: „Besser als die Hektik, die wir in den letzten Wochen hatten, ist es allemal. Zumindest brauchen wir uns jetzt keineswegs mehr zu beeilen.“

      Ich frage nach: „Wie meinst du das?“

      Er antwortet gelassen: „Na ja, überleg doch mal. Deine kleinen Freunde von damals haben bestimmt auch keine Ahnung, wie es nun weitergehen soll. Sie werden uns nicht mehr in die Quere kommen.“

      Nathan stimmt ihm nickend zu: „Richtig. Sie haben schließlich nicht alle Amulette, somit können sie sie nicht zerstören. Der Geist würde in ein anderes Objekt entfliehen, welches Akeyla mit etwas Mühe bestimmt wieder ausmachen könnte. Somit bleiben ihnen nur zwei Möglichkeiten. Entweder sie verstecken sich vor uns und gehen uns für alle Zeit aus dem Weg oder sie suchen eine Auseinandersetzung, um die anderen Amulette zu bekommen.“

      Mara lacht laut auf: „Du glaubst doch nicht allen Ernstes, dass diese Feiglinge zu uns kommen würden? Niemals!“ Auch wenn ich es vielleicht mit anderen Worten ausgedrückt hätte, sie hat vollkommen recht. Jake würde das Risiko nie eingehen.

      „Und genau deshalb werden wir uns auf die Suche nach ihnen machen.“ Überrascht wandern die Blicke von uns allen zu Marlow, der wie aus dem Nichts mit Akeyla und Jaden vor uns auftaucht.

      Nun kommt auch Mara näher: „Habt ihr endlich eine Lösung gefunden? Wie geht es nun weiter?“

      Die Antwort auf diese Frage übernimmt Jaden: „Ja, das haben wir. Zumindest mehr oder weniger. Wir haben einstimmig beschlossen, dass wir uns trennen werden.“ Sofort horchen alle auf. „Der eine Teil unserer Gruppe wird sich auf den Weg zum Berg machen und die Amulette mit sich nehmen. Die übrigen machen sich auf die Suche nach dem Lichtwolf und seinen Gefährten.“

      Bevor er den Gedanken noch weiter ausführen kann, unterbricht ihn Nathan: „Haltet ihr das wirklich für eine gute Idee? Ich verstehe ja, dass ihr endlich weiterkommen wollt, aber wir waren bisher noch nie voneinander getrennt. Das könnte ein großes Risiko für uns bedeuten.“

      Akeyla schüttelt den Kopf: „Die Amulette dabeizuhaben, wenn wir auf das andere Rudel treffen, ist mindestens genauso riskant.“

      Nun mische ich mich ein: „Unterschätzt sie nicht. Ich war lange genug mit Jake, Chris, Rachel und Logan unterwegs, um zu wissen, dass sie sehr stark sind. Allein mögen sie vielleicht nicht so zäh sein, wie wir Schattenwölfe, aber ihr Teamwork ändert das. Unser größter Vorteil ist unsere Überzahl. Wollt ihr diesen einfach so aufgeben?“

      Plötzlich macht sich Marlow groß: „Es ist nicht nötig, noch länger darüber zu reden. Die Entscheidung steht fest. Wir haben die Vor- und Nachteile ausführlich besprochen und sind zu diesem Entschluss gekommen. Keine Widerrede mehr.“ Für gewöhnlich würde ich mich nicht so einfach abwimmeln lassen, aber bei Marlow ist das etwas anderes. Sowohl sein Tonfall als auch die Mimik und Gestik von ihm zeigen, dass er es ernst meint und seine Geduld sollte man auf keinen Fall auf die Probe


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