Kontinuum der Träume. Liesbeth Listig

Kontinuum der Träume - Liesbeth Listig


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Thores Vater traurig und gebrochen? „Natürlich gibt es das!“ Nun kochte der Chef vor Wut. „Ich hatte gerade ein schönes, makelloses Kontinuum entwickelt und bereits zum Einsatz freigegeben. Dann kam deine dumme Datei und ich legte deinen versteckten, verdreckten Unrat neben meinen Entwurf auf meinen Entwicklungsplatz. Sie stießen aneinander und nun ist mein Kontinuum infiziert. Ein Virus ist eingedrungen und die schrecklichsten Träume werden wahr.“

      Infektionisten

      Ein wissenshungriger Seelenspiegler, die Fortentwicklung einer uralten, ausgestorbenen Rasse von intellektuellen Wissenssammlern, wie er meinte, schoss auf einer Raumkrümmung durchs All, ohne die geringste Eigenbewegung. Er bestand vorwiegend aus einem neuronalen Netzwerk, welches die Kapazität eines menschlichen Gehirns um das Tausendfache und mehr übertraf. Seine Außenhülle wirkte grau, wie die Haut eines Haifisches, war jedoch sehr stark und nahezu unverwundbar. Das ganze Gebilde, welches ein lebendes Wesen sein sollte, hatte die Form eines überdimensionalen, etwas dicklichen Surfbrettes.

      Dieses Wesen war ein Telepath mit sehr umfangreichen Fähigkeiten. So konnte er unter anderem in den Gehirnen von anderen Lebewesen, ob dumm oder intelligent, nach verwertbaren Informationen suchen, die ihn der Wahrheit über den Sinn des Daseins näher bringen würden. Er sah in den Gehirnen ein Äquivalent zu Bibliotheken, durfte jedoch mit seiner „Schnüffelei“ niemandem Schaden zufügen. Bei den vielen Milliarden Jahren, die er bereits auf der Suche nach Wissen durchs All geisterte, hatte er oft auch komplette Seelen von verstorbenen Individuen zu Gast, die freiwillig ein paar Tausend Jahre mit ihm verbringen wollten, um dann jedoch endgültig zu degenerieren und in die ewigen Jagdgründe einzugehen. Das war dann für den Spiegler besonders traurig, da er meist mit diesen Wesenheiten eine innige Freundschaft pflegte.

      Bei seinen letzten Aufenthalten auf dem Planeten, der von seinen Bewohnern als Erde bezeichnet wurde, hatte er drei von ihnen mit an Bord nehmen dürfen und sich mit diesen angefreundet. Nun strebten sie neuen Abenteuern entgegen, wenn auch die Motivationen zur Teilnahme an den Reisen recht unterschiedlich waren. Der Seelenspiegler wollte Wissen erlangen und die drei Mitreisenden wollten, über ihren Tod hinaus, Spaß haben.

      Da der Spiegler einen für Menschen unaussprechlichen Namen trug, hatte er vorgeschlagen ihn doch Manfred zu nennen. Einen solchen Namen trug keiner im Bekanntenkreis der drei Freunde und es könne somit nicht zu Verwechselungen kommen, meinte der Seelenspiegler, der nun fortan Manfred genannt wurde.

      Bei den anderen drei Gestalten handelte es sich um erlesene Persönlichkeiten, die im Leben wie im Tode ihresgleichen suchten. Da war zum einen Rigo Walder, ein Weltkriegsveteran und U-Boot-Kapitän, der auf der falschen Seite gekämpft, aber zwischenzeitlich sein Hitlerbild verbrannt hatte.

      Dann war da Bernhard Gross, ein ausgedienter Professor der Sozialwissenschaften, welcher als erster Kontakt mit Manfred bekommen hatte. Und zu guter Letzt Agnes Angerer, geborene Blaulicht, eine schrille, attraktive, manchmal auch notgeile, ausgediente Flugbegleiterin. Ihrem Mädchennamen machte sie alle Ehre, da ihr Auftreten und ihre sirenenhafte Stimme durchaus mit einem Blaulicht in Einklang zu bringen waren.

      Auch hatte sie bereits, auch zu Lebzeiten, eingehend menschliche Kontakte mit ihren beiden Reisegefährten gepflegt und war keinesfalls bereit, diese im Tode aus ihren Fängen zu entlassen. Schließlich war sie nur wegen der beiden „Jungs“ mit auf die Reise gegangen. Und natürlich, weil sie in Manfred wieder jung und schön aussehen konnte und nicht mehr alt, verschrumpelt und schmerzhaft verkrümmt im Sterbebett liegen musste.

      Ein Schachspiel vertrieb Rigo und Bernhard die Reisezeit, aber sie hatte ihre liebe Mühe, die um Aufmerksamkeit heischende Agnes davon abzuhalten, unqualifiziert in das Spiel einzugreifen. Manfred wollte mit den Dreien bis an den Rand des bekannten Universums vorstoßen und, obwohl eine Raumkrümmung nur verhältnismäßig wenig Reiseeigenzeit beanspruchte, dauerte es doch ein paar Tage.

      Plötzlich beschlich alle ein ungutes Gefühl und als sich dann noch Manfred aufgeregt an sie wendete war klar, dass etwas Furchtbares geschehen war. Ich kann die Krümmung des Raumes nicht mehr beenden, dachte er aufgeregt. So etwas ist mir noch nie passiert. Das Ende unseres Kontinuums dürfte, nach meinen Berechnungen, bald erreicht sein und ich bekomme die Raumkrümmung nicht in den Griff. Es ist, als wenn mich etwas Riesiges immer weiter zieht.

      Manfred wurde immer hektischer bei den Versuchen, die Krümmung doch noch zu glätten. Dann gab er erschöpft und frustriert auf. So hatten die drei Freunde ihren, immer so überlegen wirkenden Außerirdischen noch niemals erlebt. Ich kann es nicht stoppen, greinte er. Wir werden alle umkommen, wenn nicht ein Wunder geschieht.

      Du könntest umkommen, dachte Bernhard pragmatisch. Wir anderen sind bereits gestorben. Natürlich wäre es nicht wünschenswert, wenn gerade dann, wenn es spannend wird, das Licht ausgeht. Aber die einzige arme Sau bist du, da du noch reales Leben in dir hast.

      Sehr empört meldete sich nun auch Agnes zu Wort. Und ich wollte euch noch ein paar Jahrtausende körperlich und geistig Freude bereiten, schimpfte sie entrüstet. Das soll nun alles vorbei sein? Aus Rigos Ecke kam nur ein „Danke“ und keiner wusste so recht, wie er das meinte.

      In der Zwischenzeit hatte sich Manfred wieder gefangen und seine Synapsen arbeiteten wieder rational. Wir haben sicher noch mindestens zwei Tage, bis was weiß ich passiert. Ihr könnt derweil in meinen Bibliotheken stöbern, wenn ihr wollt. Gegen etwas Lehrreiches zum Schluss hatte Rigo nichts einzuwenden. Agnes jedoch ergriff Bernhards Hand und zog ihn mit sich fort, in einen Winkel von Manfreds neuronalem Netz, der nur für ihren Geist bestimmt war.

      Aber seid nicht so laut, sagte Manfred noch und obwohl die Gesamtsituation nicht dazu angetan war, konnte er sich ein Lächeln nicht verkneifen. Nachdem seine Freunde nun damit beschäftigt waren letzte, interessante Dinge zu erledigen, rechnete Manfred seine verbleibenden Möglichkeiten durch. Die nächsten Spiegler, die er hätte um Hilfe bitten können, standen zu weit entfernt, als dass sie ihn noch in der verbleibenden Zeit hätten erreichen können. Außerdem würde er sie dann wahrscheinlich nur mit ins Unglück reißen. Was konnte es sein, was ihn so rigoros anzog? Hier, am Ende der Welten, hätte er eine solche Kraft nie vermutet. Nun war er aber auch einer der jüngsten Spiegler und eventuell fehlte ihm nur die Erfahrung, um dieses Problem zu meistern. Dann erinnerte er sich jedoch, dass er vor nicht allzu langer Zeit, bei einem Zeitparadoxon, seinem älteren Ich begegnet war. Folglich würde diese Situation nicht sein Ende bedeuten, tröstete er sich.

      Dann ging alles sehr schnell. Die Gedanken aller an Bord befindlichen Seelen nebst der von Manfred wurden nicht eingefroren, wiederholten sich jedoch ständig. Rigo las gerade noch einmal in den Speicherungen der Krystallwesen, welche sie zuletzt besucht hatten, als ihn die Gedankenbeeinflussung traf. Wie eine kaputte Schallplatte, auf der immer wieder die letzten Töne zu hören waren, erlebte er seine Gedanken.

      Am härtesten, im wahrsten Sinne des Wortes, traf es Agnes und Bernhard, die in einem langen Orgasmus befindlich diesen immer wieder erleben durften. Dann, nach unendlich wirkenden Minuten, war alles vorbei. Sie stießen gegen die schalenartige Begrenzung ihres Kontinuums und spürten nur noch einen wohligen Schmerz, als sie durch eine weitere Schale in ein anderes, größeres Kontinuum gezogen wurden.

      Traumhafte Begegnungen

      Etwas ist anders, erklärte Manfred. Sie fanden sich auf einer erdähnlichen Oberfläche wieder, die sich wie ein unbeschriebenes Blatt Papier um sie herum, horizontlos auftat. Was ist das hier? fragte Bernhard, der sich augenscheinlich wieder hervorragend von dem Schock des Eindringens erholt hatte. Das weiß ich auch nicht, entgegnete Manfred, es fühlt sich an wie etwas Jungfräuliches, was bereit ist von etwas Ekligem besudelt zu werden.

      Das Eklige sind wir, dachte Rigo. Hier gibt es sonst noch nichts Böses und nichts Gutes. Ich muss mich erst einmal ausruhen und von dem Schock erholen, meinte Manfred. Bereits eingeschlafen waren Agnes und Bernhard, die ein weiteres Schockerlebnis zu verkraften hatten. Nie wieder Sex, hatte Bernhard noch gedacht, bevor er entschlummerte. Rigo dachte noch einen Moment darüber nach, grinste und schlief ein.

      Wirre Träume begleiteten den


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