Kontinuum der Träume. Liesbeth Listig
war und sich alles Wissen selbst aneignen musste. Rigo war in seine Träumen Kommandant einer Raumschiffflotte und auf einem fernen Planeten gestrandet. Sein havariertes Raumschiff würde nutzlos in der Gegend herumliegen, wie ein Blechsarg.
Ein Bibliothekar zu sein, der die Leser regelmäßig zur Stille ermahnen musste, nicht nur im Lesesaal sondern auch die Sexbesessenen hinter den Bücherwänden, träumte Bernhard. Und dann die holde Agnes. Sie war im Traum eine männerverschlingende Domina-Hexe, die aber nur eine Gefahr für die Männerwelt darstellte, wenn sie längere Zeit unbefriedigt blieb.
Rigo wachte ganz plötzlich auf und griff rechts an seinen Holster. Gott sei Dank, die Strahlenwaffe befand sich noch an seinem Platz. Sein schöner Raumgleiter, aus dem er wohl herausgeschleudert worden war, lag zerschellt hinter ihm. Ein merkwürdiger Ort war das hier. Es gab Helligkeit, aber keine Sonne. Auch regte sich kein Lüftchen, obwohl eine atembare Atmosphäre vorhanden war. Um ihn herum gab es buchstäblich nichts, außer einem Steinhügel, an dem sein Gleiter zerschellt war. Auch war er augenscheinlich auf den Kopf gefallen, da er sich an keine Ereignisse vor seinem Absturz erinnerte. In der Ferne jedoch gewahrte er eine Bewegung. Rigo raffte sich auf und ging langsam darauf zu.
Als er erwachte, reckte Bernhard sich und rieb sich den Schlaf aus den Augen. War er tatsächlich an seinem Pult eingeschlafen? Die Bibliothek war ruhiger als sie schon gewöhnlich war und auch sein Feierabendleuten lockte keinen verirrten Leser hervor. Na, dann wollen wir mal nach Hause gehen, dachte er noch, bevor er merkte, dass er nicht mehr wusste, wo sein zu Hause war. Irritiert trat er aus der Tür und befand sich im Nichts. Erschrocken wendete er sich um und trat erneut durch die Tür um wieder in die Bibliothek zu gelangen. Wieder stand er im Nichts. Helligkeit ohne Sonne und kein Horizont. Er musste verrückt geworden sein. In der Ferne sah er Gestalten, die sich bewegten. Verunsichert aber mutig ging er auf diese zu.
Mit Wut im Bauch und dem irrsinnigen Gefühl verlassen worden zu sein, erwachte Agnes. Hatte sie einer von den Kerlen auf den Kopf geschlagen und war ihr dann entkommen? Der Schlag musste die richtige Stelle getroffen haben. Schmerzhaft war nichts, aber sie hatte ihre Erinnerung verloren. Aber die verbliebene Unzufriedenheit bezog sich nicht auf ihren Unterbauch, sondern erklärte sich aus einem mächtigen Hungergefühl heraus, welches zufrieden gestellt werden musste. Warum war um sie herum nichts? Hatte ihre Zauberkraft sie aus der Welt befördert, als sie der Schlag traf?
Die teuflisch gut aussehende, in schwarzes und rotes Latex gehüllte Zauberin stand auf und griff nach ihrer Peitsche mit den sieben kabelartigen Auswüchsen. Sie war ihr in ihrer Bewusstlosigkeit wohl aus der Hand gefallen. Glücklicherweise hatte sie die Reise ins Nichts mitgemacht und, wie Agnes bemerkte, auch gut überstanden. Die Gerätschaft sprühte an ihren Enden kleine Funken, die immer wieder ihre Opfer an deren Pflichten erinnert hatten. Nun sah Agnes, dass sich in der Ferne, im Nichts etwas regte. Etwas zu Essen wäre jetzt vorrangig, dachte sie und näherte sich vorsichtig der Stelle, an der Bewegung zu erkennen war.
Manfred war ein kluger Junge von etwa sechzehn Jahren. Warum er nach seinem Wachwerden eine kurze Lederhose mit Hosenträgern, sowie Kniestrümpfe und Wanderschuhe trug, wusste er nicht. Merkwürdigerweise wusste er gar nichts mehr von seinem Vorleben nur, dass er kurze Lederhosen hasste. Wer hatte ihm dieses angetan? War er einem Verbrechen zum Opfer gefallen? Um ihn herum war überhaupt keine Landschaft mehr erkennbar. Aber ein starker Duft nach gebratenem Fleisch und aromatischen Getränken stieg ihm in die Nase.
Als Manfred hinter sich sah, stand dort ein rustikaler, langer Tisch der übervoll mit gebratenem Fleisch, Obst, frischem Brot und anderen kulinarischen Köstlichkeiten bestückt war. Vor allen Fragen, die es zu klären galt, war erst einmal das leibliche Wohl vorrangig zufrieden zu stellen und so sprang Manfred auf, setzte sich auf eine der Holzbänke und griff nach Herzenslust zu.
Was geht hier eigentlich vor?, dachte eine Stimme in seinem Kopf und jemand drückte ihm etwas, was mit Sicherheit eine Waffe war, ins Genick. Warum höre ich deine Stimme in meinem Kopf?, fragte Manfred zurück. Weiß ich doch nicht, dachte Rigo ärgerlich. Hier ist alles nicht normal. Darf ich wenigstens an deine Tafel und mitessen? Hat wohl keinen Sinn, dass ich dich mit der Waffe bedrohe. Bist ja wohl genauso unwissend wie ich.
So ist es, dachte Manfred, und stecke deine Waffe weg. Das gehört sich nicht bei Tisch. Das muss mir ein Halbwüchsiger in einer Lederhose gerade sagen, knurrte Rigo. Manfred kochte vor Wut. Wollte er doch nicht, gerade beim Essen und dann auch noch von einem Fremden, wegen seiner absurden Bekleidung gehänselt werden. Er sprang auf und wollte Rigo gerade körperlich zur Rede stellen, sprich ihm eine scheuern, als er von hinten wieder auf die Bank gedrückt wurde. Na, na, dachte da jemand, nicht so stürmisch junger Mann, so wie es aussieht, sitzen wir doch alle im selben Boot und hier fest. Also, darf ich mich zu euch gesellen? Habe einen Mordshunger. Manfred beruhigte sich und erklärte, dass es nicht seine Tafel sei, die sie hier plünderten. Jeder sei willkommen. Bernhard setzte sich dazu und langte kräftig zu.
Fast wäre ihm der Bissen im Halse stecken geblieben und auch die beiden anderen blickten erschrocken auf. In ihren Gedanken erscholl ein schrecklich, fröhliches, überlautes „Juhu, juhu“! Sie wendeten vorsichtig ihre Köpfe in Richtung der Juhugedanken. Auch ohne die Sprache zu benutzen, konnten sie die Richtung lokalisieren, aus der gerufen wurde. Eine skurrile Gestalt, augenscheinlich eine Frau, eine attraktive Frau, näherte sich ihnen. Allerdings schien sie etwas abartig veranlagt zu sein. Ihr Latexanzug betonte zwar ihre ausgesprochen schöne Figur, hielt jedoch die Begierden der anwesenden Herren in Grenzen. Keiner von ihnen stand so richtig auf Schmerzen und die funkensprühende Peitsche verhieß nichts Gutes. Zumindest dachte niemand dabei an Zärtlichkeit. Nur der Jüngling Manfred konnte die Augen nicht von ihr lassen.
Die unholde, übernatürlich schöne Agnes wurde natürlich zum Schmaus eingeladen und aß nicht nur, nein, sie fraß wie eine siebenköpfige Raupe. Nach dem ausgiebigen Mahl der zusammengewürfelten Gruppe blitzten Agnes Augen und sie taxierte die Männer mit Raubtierblicken, was diese jedoch nicht zu bemerken schienen.
Nachdem sich alle vorgestellt hatten, zumindest mit Namen und dem Wenigen, was sie von ihrem Leben noch zu wissen glaubten, wurde erst einmal versucht ihre Lage, in der sie sich befanden, zu erfassen. Bernhards Bibliothek hatte sich aufgelöst. Schade, meinte Manfred, ich hätte gern in ihr gestöbert und viel gelernt.
Als Fixpunkt blieb nur Rigos havariertes Raumschiff. Also packten sie etwas Wegzehrung ein und verließen die Tafel in Richtung des Wracks, welches nach einer Weile des Marschierens vor ihnen auftauchte. Gut, dass du Wanderschuhe angezogen hast, frotzelte Rigo in Manfreds Richtung. Er duckte sich vorsichtshalber weg, aber Manfred hatte nur Augen für das Raumfahrzeug das nun vor ihnen lag. Ich habe so etwas schon mal gesehen, dachte er staunend und strich, fast liebevoll über die Außenhülle des Gerätes. Fast fühlte es sich warm an. Das war kein Metall. Geformt war es wie ein übergroßes, dickliches Surfbrett.
Das Daseinsverwaltungsgericht
„Was hat sich deine Frau bloß dabei gedacht, uns so in die Pfanne zu hauen?“ Der oberste Daseinsverwalter schüttelte seinen Kopf und wirkte betrübt. „Ich hatte meine Frau gewarnt, sie sollte ein Mal die Wahrheit verschweigen. Dabei wusste ich bereits, dass es ihrem Glauben zuwider lief, eine Freveltat geheim zu halten. Sie meinte wohl, sie würde den Glaubensgrundsätzen Genüge tun, wenn sie auf die geheime Datei hinweisen würde. Sie hat einfach nicht den allgemeinen Tratsch bedacht. Ich glaube nicht, dass sie Ihren Sohn und damit uns alle belasten wollte“, rechtfertigte Thores Vater das Verhalten seiner Frau.
„Jedenfalls müssen wir nun da durch“, meinte der oberste Daseinsverwalter entschlossen. „Komm, in einer Stunde tagt das Gericht. Hol nun Thore. Er ist alt genug, um für seine Taten gerade zu stehen.“
Es war eine lange Zeit vergangen, seit dem Thore das unglaubliche Sakrileg begangen hatte. Gleichwohl, es verjährte nie und er hätte die Konsequenzen selbst als Greis noch tragen müssen. So kamen Vater und Sohn, die armen Sünder, vor das Gericht.
Die Anklagen lauteten:
-Erstellung eines abartigen Kontinuums und verheimlichen einer schwerwiegenden Straftat – für den Vater
-Verursachung