Der Sommereremit. Liesbeth Listig
zurück. Die Flut war da und mit ihr ein auffrischender Wind, der sich anschickte ein erster Herbststurm zu werden.
Sorgenvoll, aber mit vollem Beutel schaute Rigo in die Runde. Sollte er sein Vorhaben doch zu spät im Jahr angegangen sein? Rigo machte, dass er in sein Notquartier kam und sperrte hinter sich die Tür zu und das Wetter aus. Im Schein der Notbeleuchtung breitete Rigo seine Beute zur Begutachtung aus. Neben den vielen kleineren Stücken, die feingeschliffen später Schmuckstücke bestücken würden, hatte er auch seltene, weißliche Bernsteine und einige große, goldschimmernde mit Einschlüssen, welche nicht nur als Schmucksteine einen Wert hatten, sondern auch naturhistorisch die Wissenschaft weiterbringen könnten. Aus einem Bernstein heraus schaute ihn ein garstig aussehendes Insekt an, welches vor Millionen Jahren im Hartz kleben geblieben und überdeckt worden war.
Versonnen sah Rigo das Insekt an und es war als wenn das tote Tier zurückstarrte. Der Wind draußen heulte und in Rigo regte sich etwas, was ihn in schöner Regelmäßigkeit zum Jahresende hin überfiel, Schwermut. Schwermut, die in Fernweh und Weglauftendenzen endete. Aber das Naheliegende, das Überleben, war nun erst einmal wichtiger. Eigentlich wollte Rigo nach acht Stunden wieder aufbrechen, aber die Flut würde aufgrund des Nordweststurmes nicht weit genug zurückgehen. Er würde eine weitere Tide ausharren müssen. Rigo teilte sich seine Vorräte vorsichtshalber für drei Tage ein. Dann verrichtete er aus der offenen Tür heraus seine Notdurft und war froh, dass diese zur windabgewandten Lee-Seite hin eingebaut war.
Rigo legte sich auf das Notbett, deckte sich mit den Notwolldecken zu und fiel in einen unruhigen Schlaf. Er träumte erst vom Reisen, aber dann von allem, von dem er gar nicht gewusst hatte, dass er es über die Jahre doch entbehrte. In mehreren Traumabschnitten wärmten ihn seine unbewussten Gedanken so sehr, dass seine Restbekleidung und sogar die Wolldecke der Notunterkunft feucht wurden.
Am Morgen tobte der Sturm weiterhin unvermindert und die Flut war wie zu erwarten nicht ausreichend zurückgegangen, um den Heimweg anzutreten. Also die nächtliche Traumsauerei beheben, weiter dösen, ab und zu etwas trinken, essen und abwarten. Die nächste Möglichkeit zum Abmarsch würde mitten in der Nacht liegen. Es ging auf Vollmond zu und bei ausreichender Sicht und weniger Wind könnte der Rückweg offen sein. Rigo stellte sich seinen inneren Wecker. Er war darauf trainiert, zu einer bestimmten Zeit aufzuwachen. Dann verdöste er den Tag und schaute ab und zu durch das Bullauge seiner Unterkunft, um nach dem Wetter zu sehen.
Wieder überfiel ihn das Fernweh und er träumte erneut von vergangenen und künftig möglichen Reisen. Die Träume endeten wieder in einem unruhigen, aber dieses Mal trockenem Schlaf. Als er mitten in der Nacht erwachte, blickte er klarer in die Zukunft und auch klarer in die Nacht. Der Sturm hatte sich gelegt und diese völlige Flaute wirkte unheimlich. Es war dunstig und ein annähernd gefüllter Vollmond lugte durch die Wolken. Es würde sicher Nebel aufkommen, dachte Rigo. Aber eine bessere Möglichkeit, die gastliche Stätte zu verlassen, würde sich wahrscheinlich nicht bieten. Also rasch klar Schiff machen. Alle Notfallsachen wieder an ihren Platz legen und Abmarsch. Der Rucksack war leichter geworden. Wo er sich vorher mit Trinkwasser geschleppt hatte, steckte nun der leichte Beutel mit dem Bernstein.
Bei halbwegs klarer Sicht und Mondschein war Rigo aufgebrochen, nun aber kam der Nebel auf. Die Suppe war so dick, dass er ohne seinen Kompass sicher rettungslos verloren gewesen wäre. So aber konnte er selbst bei Dunkelheit die fluoreszierende Kompassnadel einnorden und genau bestimmen, in welche Richtung zu marschieren war. Es war anstrengend den Blick ständig auf das Gerät zu richten, aber es war unbedingt notwendig, um nicht im Kreis zu laufen. Die nächste Flut würde einen solchen Fehler nicht verzeihen. So marschierte Rigo stundenlang vor sich hin, durchwatete die ihm bekannten Priele, überquerte in Gummistiefeln die Muschelbänke und fand den Weg nach Hause.
Der Deich tauchte so plötzlich vor ihm auf, dass er sich erschreckte, zumal auch der Marsch durch das nächtliche Watt psychisch bereits seine Spuren hinterlassen und ihm manchen Grusel vorgegaukelt hatte. Nur um einen Kilometer hatte Rigo die Stelle, von der er aufgebrochen war, verfehlt und so wanderte er, glücklich wieder in halbwegs zivilisierten Gegenden zu sein, auf dem Seedeich bis zum Siel im Sommerdeich und verschwand im heimatlichen Stall, um unter den unzivilisierten Insignien einer vergangenen Macht reichlich Schlaf zu suchen.
Am folgenden Tag sah sich Rigo seine Beute noch einmal genau an und entschied die kleineren Bernsteine in der kommenden Saison selbst zu verkaufen. Das garstige Insekt wollte er aber fachkundig bearbeiten und fassen lassen. Was interessierte ihn die Wissenschaft und die eventuelle Bedeutung dieses Viehs. Es wäre ein schönes, gruseliges Geschenk für jemanden, den er kannte und schätzte.
Also ölte er nun endlich seinen Esel, bis dieser nur noch vereinzelt ein „I“ von sich gab und fuhr in den Ort zum Juwelier. Dieser alt eingesessene Geschäftsmann kannte Rigo natürlich vom Sehen und den Erzählungen der Touristen, er erschrak aber als er den verwahrlost wirkenden Menschen in seinem noblen Geschäft vorfand. Nachdem Rigo jedoch sein Anliegen vorgetragen hatte und das Geschäft bar abwickeln wollte zeigte der Juwelier sich professionell und diskutierte mit Rigo gefasst über die Fassung des Steines. Der Juwelier wollte, sich sogleich ans Werk machen und Rigo sollte in zwei Tagen wiederkommen, um dieses zu begutachten. Per Handschlag besiegelten sie das Geschäft. Beide waren sehr zufrieden, und der Juwelier wusch sich ausgiebig die Hände, um den leichten Fischduft zu vertreiben.
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