Der Wüstensklave. J. D. Möckli
Schockiert sieht er die junge Frau an, die mit gesenktem Kopf verkrampft neben ihm sitzt und ein kleines, wimmerndes Bündel an sich gedrückt hält.
Zögernd hebt sie den Kopf, als sie ihren Namen hört, senkt den Blick aber sofort wieder. »Ja, Meister?«, fragt sie leise mit demütiger Stimme, in der eine leichte Angst mitschwingt.
Sanft legt Jamon die Hand auf ihre Schulter, zieht sie aber sofort zurück, als sie unwillkürlich zurückschreckt. »Du musst mich nicht Meister nennen. Erinnerst du dich noch an mich? Ich bin Yari, wir sind uns letztes Jahr begegnet.« Er spricht sehr sanft, um sie nicht weiter zu verunsichern.
Tatsächlich hebt sie nun den Blick und sieht ihn ernst an. »Ja, ich erinnere mich. Wie könnte ich zwei so freundliche Menschen wie Euch und Meister Mutsuo vergessen? Aber Ihr seid jetzt nicht nur ein freier Mann, sondern auch noch von höchster Geburt. Es steht mir nicht zu, Euch anders als Meister zu nennen.« Über ihre offenen und direkten Worte selbst erschrocken beißt sie sich auf die Lippen und senkt wieder den Blick. »Verzeiht, meine Worte«, bittet sie mit zitternder Stimme und wiegt wieder das kleine Bündel, das nun lauter wimmert.
Jamon will etwas erwidern, als sich Hazem vorne auf dem Beifahrersitz räuspert. »Mein Pharao, ich hoffe, Ihr fühlt euch von meiner Sklavin und ihrem Kind nicht belästigt. Ich habe ihr vor unserer Abfahrt befohlen, dass sie dafür sorgen soll, dass das Kind ruhig ist.« Mit eisigem Blick sieht Hazem nach hinten. »Gib mir das Kind«, verlangt er mit einer Sanftheit, die seinen eisigen Blick Lügen straft.
Erstaunt beobachtet Jamon, wie Anna das kleine Bündel nach vorn reicht und wie vorsichtig sein Cousin das wimmernde Baby entgegennimmt. »Du musst lernen, deine Unruhe besser vor dem Kind zu verbergen. Wir fahren nur Auto, das ist nun wirklich nichts Schlimmes«, murrt Hazem, als er sich mit dem Bündel im Arm wieder umdreht und das Wimmern gleich darauf aufhört.
»Ja, Meister Hazem«, murmelt Anna mit demütig gesenktem Blick.
Jamon kann ihr ansehen, dass sie kaum gegen ihre Angst vor dem Magigefährt ankommt. Es bewegt sich wie durch Zauberei viel schneller, als es jedes ihr bekannte Pferd je könnte.
Als sie spürt, dass sie wieder berührt wird, hebt sie den Blick, will ihn aber gleich wieder senken, als sie in das Gesicht des Pharaos blickt. Doch seine warmen Augen halten sie davon ab. »Meister?« Fragend sieht sie ihn an.
»Es gibt keinen Grund, dich zu schämen oder dich schuldig zu fühlen. Du sitzt das erste Mal in einem Auto. Das kann schon beängstigend sein. Ich habe auch Angst. Ich bin schon so lange nicht mehr in einem Auto gefahren, dass auch mich die inzwischen ungewohnte Geschwindigkeit beunruhigt«, gibt er mit einem leichten Lächeln zu. Dass Hazem und Seimon ihn hören können, ist ihm egal.
Anna sieht ihn immer noch ängstlich, aber immerhin etwas entspannter an. »Vielen Dank, Meister. Ich habe es nicht verdient, dass Ihr euch so um mich bemüht. Schließlich bin ich nur eine Sklavin.«
»Du hast das richtig erkannt, Anna. Nun belästige den Pharao nicht länger. Er muss sich auf seine kommenden Aufgaben vorbereiten«, mischt sich Hazem wieder ein und sieht nun zu Seimon hinüber. »Hohepriester, wie lange brauchen wir noch? Ihr wisst, dass die Zeit knapp ist.«
Die Augen verdrehend blickt Seimon kurz zu Hazem rüber. »Nun hetzt mich nicht. Wir haben noch genug Zeit. Hier sind wir noch im von Atami überwachten Gebiet, da würde es auffallen, wenn ich zu schnell fahre. Nur noch ein paar Kilometer, dann sind wir auf der freien Straße und können schneller fahren, bis wir in den Überwachungsbereich von Tokio kommen.«
Murrend lehnt sich Hazem in seinem Sitz zurück. Sanft wiegt er dabei die inzwischen wieder friedlich schlafende Toshi hin und her. »Wir haben uns in Izusan zu viel Zeit gelassen. Diese ewige Verabschiedung war nicht nur eines Pharaos unwürdig, sondern hat uns auch viel zu viel Zeit gekostet.«
Leise seufzt Seimon. »Mein Prinz, Ihr hättet Euch auch nicht anders verhalten. Unser Pharao verdankt diesen Menschen unglaublich viel. Da haben sie es mehr als nur verdient, dass er sich richtig von ihnen verabschiedet und ihm hat es auch gutgetan.« Kurz blickt er auf den Bildschirm seines Handys, bevor er noch einmal zu Hazem rübersieht, der mit nachdenklicher Miene auf die Straße vor sich blickt. »Wir können nur erahnen, was er in den letzten Jahren durchgemacht hat. Wir brauchen ihn, aber er braucht auch uns als seine Stütze«, fügt er leise hinzu und tritt dann so stark aufs Gaspedal, dass das Auto einen Sprung nach vorn zu machen scheint. Deutlich schneller als zuvor, rasen sie durch die Dämmerung in Richtung Tokio.
Durch die plötzliche Beschleunigung in den Sitz gedrückt, schließt Jamon gepeinigt die Augen. Seine Schulter schmerzt immer noch leicht, aber viel schlimmer ist die auf einmal aufkeimende Panik, die ihn zu übermannen droht. Unbewusst ballt er, im Kampf um Kontrolle, die Hände zu Fäusten. Ein Rauschen dominiert seinen Hörsinn und der Drang zu schreien wird immer größer. Auf einmal spürt er eine hauchzarte Berührung an seinen Händen, hört eine Stimme, die leise auf ihn einredet. Er hält sich an ihr fest. Die Worte sind egal, er versteht sie durch das Gewirr seiner Gedanken sowieso nicht, doch sie bewirken, dass sich seine Atmung und sein rasender Herzschlag wieder beruhigen.
Jamon weiß nicht, wie viel Zeit vergangen ist, als er die Augen wieder öffnen kann. Sein Blick ist noch unscharf, aber dennoch erkennt er die zierliche Hand, die seine Faust umfasst. Er hebt den Blick und sieht zu Anna, die ihn zwar blass, aber mit einem schon beinahe mütterlichen Lächeln ansieht.
»Immer auf die Atmung konzentrieren. Das hält die Angst in Schach. Glaubt mir, das tue ich schon die ganze Zeit«, flüstert sie ihm zu, um die beiden Männer vorne nicht zu stören und sie nicht auf das Problem des Pharaos aufmerksam zu machen.
Dankbar nickt Jamon und ergreift Annas Hand. »Danke.« Mehr kann er nicht sagen. Ihm fehlen die Worte, das auszusprechen, was in seinem Innern vorgeht.
Sich an Annas Hand festhaltend, blickt er aus dem Fenster, sieht erst jetzt bewusst die Landschaft, die in rasender Geschwindigkeit an ihnen vorbeizieht. Er vermisst seinen Sharik, will jetzt nichts mehr, als ihn an seiner Seite haben. Den Schmerz des Verlustes, der ihn zu überwältigen droht, herunterschluckend, zwingt er sich dazu, sein blutendes Herz zu verschließen, die Gefühle wegzusperren, die ihn bei seiner kommenden Aufgabe nur behindern würden. Dass die Stimme in ihm, die ihn verdächtig an Yari erinnert, dabei aufschreit, ignoriert er mit all seiner Kraft. »Bitte verzeih mir, aber ich habe keine Wahl«, murmelt er tonlos und wischt sich eine einzelne Träne von der Wange, die es gewagt hatte, sich aus seinem Augenwinkel zu stehlen.
Von dem Drama auf dem Rücksitz bekommen Seimon und Hazem nichts mit. Sie sind beide zu sehr damit beschäftigt, sich auf den Weg zu konzentrieren. Seimon, der das Auto mit einem viel zu hohem Tempo steuert und Hazem, der den Blick angestrengt auf den kleinen Bildschirm gerichtet hält, um früh genug zu erkennen, wann sie in den Überwachungsbereich Tokios gelangen.
»Laut den Anzeigen könnt ihr noch 40 Kilometer in dem Tempo fahren, ehe Ihr wieder langsamer werden müsst, alter Mann.« Die Stimme Hazems zeigt, wie angespannt er ist und auch die plötzlich nicht mehr so förmliche Anrede ist ein Anzeichen dafür, dass er nicht so ruhig ist, wie er nach außen hin zu sein scheint.
Sogar Toshi bemerkt es und fängt leise an zu wimmern, woraufhin er ihr die Fingerkuppe an die Lippen hält. Es funktioniert, das Baby fängt an, an dem Finger zu nuckeln, und schläft dabei wieder ein.
»Immer mit der Ruhe. Ich habe mir die Karten vor unserer Abfahrt genau angesehen«, brummt Seimon, der kurz zu Hazem schielt. »Sobald wir wieder im Überwachungsbereich sind, sind es nur noch ein paar Kilometer bis zum Flughafen. Wir werden es schaffen. Denkt daran, dass Prinzessin Helena mit ihrem Privatjet auf dem Flughafen auf einem abseits gelegenen Stellplatz auf uns wartet.« Doch so ruhig, wie sich der Hohepriester gibt, ist auch er nicht. Noch läuft zwar alles nach Plan, aber mit einem Baby, das nicht so leicht zu kontrollieren ist wie seine Mutter, kann alles passieren.
Dann bremst er so scharf ab, dass sie nach vorn in die Sicherheitsgurte gedrückt werden. Das Handy auf dem Armaturenbrett zeigt wieder einen schwachen Empfang an, der nun mit jedem Kilometer, den sie im gemächlichen Tempo zurücklegen, stärker wird.
Zwischen den Hügeln taucht langsam das Lichtermeer