Pitaval des Kaiserreichs, 1. Band. Hugo Friedländer
Sie stellen ihre Kumpane unter falschem Namen als Großfabrikanten oder Großindustrielle, Barone oder Grafen vor und flüsterten den Offizieren ins Ohr, diese Herren hätten stets viel Geld bei sich, seien leidenschaftliche Spieler, hätten aber kein Glück im Spiel, es sei daher ein leichtes, diesen Leuten 50 bis 80000 Mark abzunehmen. Wenn sich nun die herangeschleppten Opfer zum Spiel verleiten ließen, dann wendete sich das Blättchen. Die »Großindustriellen« waren »ausnahmsweise« stark vom Glück begünstigt, denn sie spielten mittelst doppelter Roulette, bzw. gezeichneter Karten, und wußten auch durch Winke aller Art das Glück stets an sich zu fesseln, so daß die Offiziere, Studenten usw. oftmals in einer Nacht viele tausend Mark verloren. Wenn nun die Gerupften nicht das genügend bare Geld bei sich hatten, mußten sie für den Restbetrag einen Wechsel geben. Wenn Samuel Seemann, der in Berlin wohnte, mit seiner Roulette aber die Welt durchzog, nach Hannover kam, da bestellte v. Meyerinck die geeigneten Zimmer im Hotel de Russie daselbst; er sorgte außerdem dafür, daß zahlreiche Offiziere ins Hotel kamen und daß beim Spiel keine Störung eintrat. Den aufwartenden Kellnern nahm v. Meyerinck die bestellten Speisen und Getränke vor der Tür ab. Lichtner schrieb einmal an seine Konkubine aus Baden-Baden: »Ich habe so ziemlich ein großes Unternehmen durchgeführt, jedenfalls habe ich mich nicht umsonst geplagt.« Dieser Brief bezog sich auf ein Spiel in Baden-Baden, bei welchem er am Tage vorher, in Gemeinschaft mit v. Meyerinck, einem Rittergutsbesitzer Landfried 60000 Mark abgenommen hatte. Um den Verlierer nicht mißtrauisch zu machen, verlor Lichtner zum Schein ebenfalls 60000 Mark. v. Zedlitz wußte Landfried zu überreden, für 6000 Mark für ihn Bürgschaft zu leisten. v. Zedlitz versicherte dem Landfried: die Bürgschaft sei eine bloße Form, seine Mutter, die sehr begütert sei, werde die 6000 Mark sofort bezahlen. Landfried mußte jedoch die 6000 Mark bezahlen, denn die Mutter des v. Zedlitz, einstmals eine Sehr begüterte Dame, hatte durch den Leichtsinn ihres Sohnes längst ihr ganzes Vermögen verloren. Stamer schrieb von Homburg an von Zedlitz eine Postkarte: »Gestern großes Jeu mit Boditzka, nach allen Richtungen hin angeschossen. Es wird höchste Zeit für den Blattschuß auf Friedlaender.« Mit Friedlaender wurde der Rittergutsbesitzer Landfried bezeichnet, dem bereits in Baden-Baden in einer Nacht 10000 Mark abgenommen worden waren und der in Homburg von neuem gerupft werden sollte. Zu den interessantesten Persönlichkeiten auf der Anklagebank gehörte der Rittmeister a.D. Freiherr v. Meyerinck. Dieser bekundete auf Befragen des Vorsitzenden, Landgerichtsdirektors Heinroth: Er habe bei Bresa zwei Güter besessen. Das eine hatte einen Kaufpreis von 180000 Talern, das andere von 110000 Talern. Für eins hatte er 120000 Taler, für das andere 80000 Taler angezahlt. Im Jahre 1880 sei er genötigt gewesen, beide Güter zu verkaufen. Er habe 855000 Mark und 360000 Mark dafür erhalten. Er sei alsdann mit seiner Familie nach Koburg, 1885 nach Hannover gezogen.
Vors.: Sie haben bereits im Jahre 1879 in Straßburg den Manifestationseid geleistet?
v. Meyerinck: Ich war damals bereits im Vermögensverfall.
Vors.: Wovon haben Sie nach dem Verkauf Ihrer Güter gelebt?
v. Meyerinck: Ich hatte zusammen mit meiner Schwiegermutter eine jährliche Rente von 22000 Mark.
Vors.: Nachdem Sie Ihre Güter verkauft hatten, haben Sie noch den Rest Ihres väterlichen Erbteils von 42000 Mark erhalten, wodurch sind Sie trotzdem derartig in pekuniäre Bedrängnis gekommen?
v. Meyerinck: Einmal durch Spielverluste, andererseits infolge Unterhaltung eines großen Haushalts.
Vors.: Ihr Haushalt muß allerdings sehr kostspielig gewesen sein, denn Sie wurden von einem Metzgermeister wegen 8000 Mark, die Sie ihm für Fleisch schuldeten, verklagt. Aus der Rechnung geht hervor, daß Sie von dem Metzgermeister für etwa 4000 Mark jährlich Fleisch bezogen, und zwar war dies nicht der einzige Metzgermeister, bei dem Sie Fleisch kauften. Ihr jährlicher Fleischbedarf muß sich auf 5-6000 Mark belaufen haben?
v.M.: Das ist richtig.
Vors.: Sie behaupten, Sie seien durch Ihre Spielwut in Vermögensverfall geraten, während die Anklage behauptet: Sie hätten durch das Spielen Ihre Vermögenslage aufbessern wollen und auch wirklich aufgebessert?
v.M.: Das bestreite ich ganz entschieden.
Vors.: Wie kamen Sie mit Fährle und Lichtner zusammen, diese Leute stehen doch gesellschaftlich weit unter Ihnen?
v.M.: Ich habe auch gesellschaftlich mit diesen Leuten nicht verkehrt, als Spieler waren sie mir aber sympathisch.
v. Meyerinck gab auf weiteres Befragen zu, daß er mit Lichtner, Albert Heß und dem Rittergutsbesitzer Landfried in Öynhausen gespielt und daß dabei Landfried 14000 Mark in wenigen Stunden verloren habe. In Baden-Baden habe Landfried 50000 Mark, Lichtner 40000 Mark verloren. Es haben dabei noch mitgespielt v. Zedlitz und ein Fräulein Schenk aus Berlin.
Vors.: Wer hat denn nun die 90000 Mark gewonnen?
v.M.: Ich habe 62000 Mark, das übrige v. Zedlitz und Fräulein Schenk gewonnen. Ich habe aber von Lichtner das Geld nicht erhalten, da ich ihm viel schuldete.
Der Vorsitzende hält dem Angeklagten vor, daß er in Gotha mit zwei Offizieren und einem Redakteur in Gemeinschaft mit Lichtner gespielt und daß einer der Offiziere ihn beschuldigt habe: er gebe dem Oberkellner falsche Karten zur Verteilung. Der Angeklagte bestritt dies.
Vors.: Im Jahre 1891 haben Sie mit Fährle und dem Hauptmann v. Boditzka in Homburg v.d. Höhe gespielt. Hauptsächlich soll dabei Fährle gewonnen haben. Sie sollen sich plötzlich verabschiedet haben unter der Angabe, daß Sie ein Rendezvous hatten. Bald darauf verschwand auch Fährle. v. Boditzka verfolgte Sie beide und traf Sie nicht auf dem Platze, wo Sie das Rendezvous haben wollten, sondern vor Ihrem Hotel. Bald darauf sollen Sie mit Fährle in Ihr Zimmer gegangen sein. v. Boditzka folgte Ihnen, und als er die Tür aufmachte, zählten Sie mit Fährle die gewonnenen Geldrollen?
v.M.: Das geschah, weil ich mir von Fährle Geld borgen wollte, Fährle mir aber sagte, daß er nicht soviel besitze.
Vors.: Die Anklage behauptet, daß Sie gemeinschaftliche Sache mit Fährle beim Spiel gemacht haben und ins Hotel gegangen seien, um sich den Raub zu teilen.
v.M.: Das bestreite ich ganz entschieden.
Im weiteren Verlauf wurde v. Meyerinck allgemein als der Schlepper bezeichnet. Er besitzt im Villenviertel von Hannover eine hochelegante, fürstlich eingerichtete Wohnung. In dieser veranstaltete er Bälle und andere Festlichkeiten, bei denen Offiziere der Hannoverschen Garnison, insbesondere aber die zur Reitschule nach Hannover kommandierten Offiziere stets eingeladen waren. v. Meyerinck dinierte auch vielfach mit Offizieren in den feinsten Hotels und sagte gewöhnlich nach aufgehobener Tafel: »Ich gehe zum Jeu.« v. Meyerinck beschränkte seine Tätigkeit keineswegs auf Hannover. Er besuchte, wie bereits erwähnt, alle besseren Badeorte und Rennplätze, um Kavaliere zum Spiel zu verleiten. »Ganz zufällig« traf er an allen diesen Orten mit Fährle, Abter und Lichtner zusammen, die er als Barone, Großindustrielle usw. vorstelle. Fährle wurde allgemein »Herr Kommerzienrat« tituliert. Eines Abends spielte v. Meyerinck und Lichtner mit einem Offizier. Lichtner gewann, der Offizier verlor etwa 50000 Mark. Als der Offizier schließlich in die Toilette ging, sah er in einem Spiegel, daß v. Meyerinck dem Lichtner einen vorwurfsvollen Blick zuwarf und mit dem Kopf schüttelte. Lichtner, der von Meyerinck zumeist als Baron v. Lichtner und als der Sohn eines österreichischen Großindustriellen vorgestellt wurde, der für seinen Vater in Linden bei Hannover eine große Samtfabrik verwalte, war in Wahrheit ein internationaler Hochstapler. Er hatte in Wien in einem Modewarenhandlungshause gelernt und auch eine Zeitlang als Kommis konditioniert. Er ist aber frühzeitig auf die Bahn des Verbrechens geraten. Er war vielfach wegen Veruntreuung, Hazardspiels, Wuchers und ähnlicher Straftaten mit langjährigem schwerem Kerker, verschärft mit Fasten, bestraft. Er war, gleich allen anderen Angeklagten, verhaftet. Es gelang ihm aber, aus dem Gefängnislazarett zu entfliehen. Erst nach langer Zeit wurde er in Preßburg verhaftet und da er österreichischer Untertan war, in seiner Vaterstadt Wien angeklagt. Ende April 1894 hatte er sich wegen der in Deutschland begangenen Straftaten vor dem kaiserlichen Landesgericht in Wien zu verantworten. Er wurde zu fünf Jahren