Nur eine Petitesse. Anja Gust
doch genau. Sie sollten vor ihm auf der Hut sein. Erst kürzlich hat er zwei Damen so lange zum Spiel genötigt, bis sie bankrott waren. Das könnte Ihnen ebenso passieren.“
Seine Direktheit grenzte an Unverschämtheit. Dementsprechend schonungslos reagierte Sina. „Und wenn schon. Was geht Sie das an?“
Erstaunt sah er auf und sagte schlicht: „Ich beuge nur vor.“
„Wer sind Sie überhaupt, dass Sie sich so etwas anmaßen?“, wollte Sina jetzt wissen und musterte ihn abschätzig.
„Oh Verzeihung. Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt – Hausdetektiv Francesco Wegener vom Security Service.“
„Das dachte ich mir“, konterte Sina. In Wahrheit war sie überrascht.
„Wieso?“
„Ein Mann, der sich mit diesem Outfit präsentiert, hofft immer, nicht erkannt zu werden. Nicht wahr?“, bemerkte sie mit ruhiger und dennoch leicht angespannter Stimme.
Er stutzte. „Was wollen Sie damit sagen?“
„Nichts. Ich stelle nur fest.“ Sie wandte sich ab, als betrachtete sie das Gespräch als beendet.
Doch so schnell gab dieser Kerl nicht auf. „Sie sind bei mir in besten Händen. Hier gibt es eine Menge Gauner und Betrüger. Sich in Sicherheit zu wähnen, ist ein Vorteil, den Sie wertschätzen sollten. Ernsthaft wäre zu erwägen, dass …“
Sina lachte bei den Worten besten, sollten und ernsthaft kurz auf. Sie verstand, diese Euphemismen sehr wohl zu interpretieren: Kurzum, es glich einer blumig umschriebenen Nötigung in der Hoffnung, ihm auf den Leim zu gehen. „Es ehrt Sie. Allerdings ist das in meinem Fall überflüssig, Herr Wegener. Ich weiß, was ich tue“, ließ sie ihn wissen.
„Ach, was Sie nicht sagen.“ Der Spott war unüberhörbar. „Und warum sind Sie, bitte schön, heute Morgen dieser Servierkraft beigesprungen? Sie wussten doch gar nicht, worum es ging?“
„Wie bitte?“ Augenblicklich weiteten sich ihre Augen. „Na, sagen Sie mal!“ Ihre Geduld war erschöpft. Es reichte. Trotz aller Vorsicht polterte sie los: „Was erlauben Sie sich!“
„Wieso? Ich habe Ihnen doch nur eine Frage gestellt“, entgegnete der Detektiv verwundert.
„Das war keine Frage! Sie wollen mich ins Verhör nehmen! Im Übrigen bin ich der Meinung, dass ich Ihnen keine Rechenschaft schulde. Wenn Sie mich bitte entschuldigen …“ Sina erhob sich.
„Aber was soll das jetzt, Frau Brodersen?“, fragte er mit besonderer Betonung ihres Namens.
Schockiert hielt Sina inne und hatte sofort begriffen. Sie spürte ein starkes Erröten und war für einen Moment unschlüssig, wie sie reagieren sollte.
„Tut mir leid. Sie verwechseln mich. Mein Name ist Maria Antonelli“, wich sie ihm aus.
„Ich weiß, ich weiß. Die Geschäftsfrau aus Zürich. Jedenfalls haben Sie darunter eingecheckt“, entgegnete der Detektiv gelassen und nippte erneut an seinem Sektglas.
„Ja und?“, erwiderte Sina, da sie den Eindruck hatte, dies sei noch nicht alles gewesen.
„Verstehen Sie mich richtig, Frau Brodersen alias Antonelli“, begann er sich genüsslich zu verbreitern. „Ich könnte Sie sofort auffliegen lassen und aufs Übelste denunzieren. Wenn ich es nicht tue, dann nur, weil ich heute einen guten Tag habe.“
„Ach, so ist das.“
„Ja, so ist das“, wiederholte er giftig.
„Was wollen Sie von mir?“, wollte Sina jetzt unvermittelt wissen.
„Im Moment noch gar nichts. Aber das kann sich schnell ändern“, erwiderte er mit einem abscheulichen Lächeln. „Bis dahin werde ich Sie beobachten. Nun – ich weiß nicht, warum Sie Ihre Identität verschleiern und aus welchem Grund Sie im Badrutt’s abgestiegen sind. Sollten Sie jedoch etwas Unbedachtes in diesem Land tun, werden Sie es zu spüren bekommen! Seien Sie versichert, dass ich Sie im Auge behalte.“
Das musste Sina erst einmal sacken lassen. Damit hatte sie nicht gerechnet. Falls der Baron auf irgendeinem Weg davon erfahren sollte, wäre alles gefährdet. Das musste unter allen Umständen verhindert werden. Was jetzt zählte, war Ruhe und Übersicht. Koste es, was es wolle.
„Hören Sie, Herr Wegener. Wie Sie sehen, bin ich etwas durcheinander. Aber ich bin in der Tat inkognito hier“, begann sie sich zu erklären. „Der Grund besteht darin, dass ich auf der Flucht bin. Zwar nicht wegen irgendwelcher materiellen Forderungen, sondern um einer aufdringlichen Person zu entgehen. Wenn Sie verstehen.“
„Natürlich“, pflichtete er ihr bei, nachdem er emotionslos zugehört hatte. „Welchen Sinn sollte es sonst auch machen, hier unterzutauchen?“
„Sie haben es erfasst, Herr Wegener. Es wäre mir lieb, wenn Sie das für sich behielten. Kann ich auf Sie zählen?“
„Selbstverständlich, Frau Brodersen!“
„Frau Antonelli, bitte“, korrigierte Sina sofort.
Nach diesem Diskretionsversprechen bestellte Sina noch zwei Martini, um es zu besiegeln. Sie hoben die Gläser. Prompt fiel ihr Blick, Gott weiß warum, auf den goldenen Siegelring an seinem Finger. Hatte sie den nicht unlängst irgendwo schon gesehen? Um jede unnötige Gesprächsverlängerung zu meiden, schützte sie plötzliche Kopfschmerzen vor. Kurz darauf erhob sie sich, nahm ihre Handtasche und ließ ihn einfach sitzen.
Zügig ließ sie sich ins Badrutt’s zurückfahren. Unterwegs sah sie sich wiederholt um. Selbst im Fahrstuhl meinte sie, sich nicht wiederzuerkennen. Wo war bloß ihre gewohnte Selbstsicherheit geblieben? Sina verstand die Welt nicht mehr. Verstört eilte sie in ihr Zimmer und legte nach dem Schließen die Kette vor die Tür.
Innerhalb von Sekunden streifte sie ihre Handtasche von der Schulter und ließ sich aufs Bett fallen. Rotz und Wasser heulend, mit dem Kopf auf dem Kissen wie ein Huhn auf dem Hackklotz, hinterließ ihre Mascara auf dem weißen Bezug schwarze Flecken. Wenig später war sie eingeschlafen, ohne ihre pelzverbrämte Jacke aufgeknöpft zu haben.
Wegener indes blieb über seine weitere Vorgehensweise unentschlossen. Längst hatte er im Zuge seiner Recherchen Kenntnis vom Vorfall in Schleswig-Holstein erhalten und konnte sich denken, was sie wirklich vorhatte.
Natürlich gab er keinen Pfifferling darauf, dass sie auch nur das Geringste bezwecken könnte. Er hielt das Ganze für die Schnurre einer in ihrer Eitelkeit verletzten Frau. Deshalb verzichtete er vorerst auf Gegenmaßnahmen.
Vielmehr beschloss er, diese Frau Brodersen für die nächste Zeit zu beobachten und den Baron vorerst noch nicht zu informieren. Er würde es aber tun, sobald sie unbequem würde.
Während er gedankenversunken an seinem Martini nippte, vernahm er von der anderen Seite her ein schrilles: „Unverschämtheit! Das ist ja die Höhe! Machen Sie, dass Sie wegkommen!“
Sofort erhob sich der Detektiv und begab sich zum Roulette-Tisch, von wo der Lärm drang. Dort herrschte große Aufregung. Allen Ernstes behauptete eine der Damen, soeben von Eddi bestohlen worden zu sein. Natürlich bestritt dieser das und behauptete, die zur Rede stehende Brieftasche lediglich sichergestellt zu haben, da sie achtlos abgelegt war.
Den Vorwurf des Opfers, ob er sie veralbern wolle, tat er mit einem empörten: „Was erlauben Sie sich?“ ab. Daraufhin nannte ihn die Frau einen Lügner und – was ihn besonders kränkte – einen Lumpenhund. Um eine weitere Eskalation zu vermeiden, hielt es der Security-Mann für unvermeidlich, den Beschuldigten ohne weitere Erklärung effektvoll am Kragen zu packen und mit einem schmerzhaften Armhebel nach draußen zu befördern.
Vor der Tür, wohin ihnen eine ganze Gruppe schaulustiger Gäste gefolgt war, erteilte ihm Wegener offiziell ein endgültiges Hausverbot. Eddis Interventionsversuch würgte er im Ansatz ab. Dann jagte er ihn unter dem Beifall der Umstehenden mit einem beherzten: „Lass dich hier nicht mehr blicken, du Auswurf!“ wie einen räudigen Hund davon und klopfte sich demonstrativ