Nur eine Petitesse. Anja Gust

Nur eine Petitesse - Anja Gust


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sie, ungeachtet der zunehmend unüberwindlichen Barrieren, alles auf eine Karte und wagt selbst das Unmögliche.

       © 2019 Anja Gust

      Ein kühner Plan

      Ganze zwei Monate waren inzwischen vergangen, aber Sinas Schwermut ließ nicht nach. Sie begann, den Hof zu vernachlässigen und fand an nichts mehr Gefallen. Immer häufiger musste ihr alter Freund und Nachbar Volker Grimmel unabdingbare Arbeiten übernehmen, da sie stundenlang auf dem Sofa lag und an die Decke starrte. Bisweilen lief sie mit Boy über die Felder und führte sinnlose Monologe. Doch was sie auch tat – sie kam nicht zur Ruhe.

      Hierbei war es weniger die Tatsache, jemanden getötet zu haben. Vielmehr quälte sie der Umstand, den dafür Verantwortlichen noch immer auf freiem Fuß zu wissen. Daran änderte auch das abschließende Urteil des Staatsanwaltes nichts, das ihr neben Notwehr und Nothilfe eine große Besonnenheit attestierte.

      Wiederholt hatte sie die Beamten darauf hingewiesen und sogar den Namen des Auftraggebers genannt. Da man diese Person jedoch nicht weiter verifizieren konnte (oder wollte), hielt man das für eine Art Wahnvorstellung infolge einer emotionalen Übersteigerung. Dies wäre in Extremsituationen wie der ihren durchaus denkbar. Ein konkreter Verdacht ließe sich daraus jedoch nicht ableiten.

      Das war natürlich völlig inakzeptabel und nichts weiter als der untaugliche Versuch, die Sache abzuwürgen. Also zog sie einen renommierten Rechtsanwalt zurate. Zu ihrer Verärgerung schwamm dieser auf gleicher Welle und zeigte von Anfang an kein sonderliches Engagement. Zudem gab er nur spärliche Auskünfte und verschleppte das Ganze, sodass sie sich schließlich selbst einmischte.

      Sie studierte Akten, besorgte Informationen und stellte Recherchen an, was ihm gar nicht gefiel. Ihre Eigenmächtigkeiten gefährdeten die Ermittlungen, so sein lapidarer Kommentar. Außerdem schade das ihrer Gesundheit. Sie sähe blass aus und wirke wie ein Nervenbündel, meinte er und empfahl ihr ein gutes Buch oder einen Tapetenwechsel. ‚Quatschkopf‘, dachte Sina und hätte ihm am liebsten in die gerötete Nase gekniffen.

      Schon wollte sie sich einen anderen Anwalt suchen. Da sie aber niemandem mehr traute, verwarf sie es gleich wieder. Und doch war ihre Lage jetzt eine völlig andere. Tom hatte ihr sein Schweizer Konto überschrieben. Als sie von der Höhe des Guthabens erfuhr, musste sie sich erst mal setzen. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie realisiert hatte, ab jetzt vermögend zu sein.

      Handelte es sich doch um einen siebenstelligen Betrag. Zunächst wollte sie davon nichts anrühren und alles einer karitativen Einrichtung spenden. Als ihr Anwalt allerdings zaghaft andeutete, dass Geld Macht bedeutete und geschickt angewandt Wunder bewirken könne, erkannte sie ihre Chance. Selbstverständlich meinte er das in einem anderen Zusammenhang, mehr in ermittlungstaktischer und somit anwaltschaftlicher Hinsicht, löste damit aber ungewollt eine Initialzündung in ihr aus.

      Sogleich begann sie, mit ihrem Smartphone zu recherchieren. Noch bevor dieser Advokat etwas begriff, war sie schon aufgesprungen. Aber die plötzliche Idee ließ sie nicht mehr los. Mit wenigen Worten verabschiedete sie sich und versprach diesem alten Fuchs eine Urlaubskarte. Sprachlos starrte er ihr nach.

      Nun gab es kein Halten mehr. Sofort begann sie alles Nötige in die Wege zu leiten, angefangen von organisatorischen Fragen über die Weiterführung des Hofes bis zur nötigen Betreuung für Boy. Schweren Herzens brachte sie ihren kleinen Liebling für die nächsten Wochen in die Hundepension nach Bad Bramstedt. Dort wähnte sie ihren Mops in besten Händen und würde sich auch regelmäßig nach ihm erkundigen.

      Den Hof überließ sie für die nächste Zeit Volker Grimmel, den sie vorab zu seiner Verwunderung fürstlich entlohnte. „Sei vorsichtig und vergiss nie, dass man auf dich wartet“, waren seine letzten Worte, gefolgt von einer ungelenkigen Umarmung, die sie nur widerstrebend ertrug.

      Noch am selben Abend packte sie ihre Koffer, vorrangig mit erlesener Kleidung der neuesten Haute Couture. Allein dafür gab sie ein kleines Vermögen aus. Aber von jetzt an wollte sie nichts mehr dem Zufall überlassen. Sie scheute weder Kosten noch Mühe, um Garderobe, Schmuck und Make-up optimal aufeinander abzustimmen. Alles musste stimmig sein, denn ihr Vorhaben verlangte den perfekten Auftritt.

      Standesgemäß gehörte dazu ein angemessenes Automobil. Daher gönnte sie sich einen silbergrauen, topausgestatteten Porsche 991. Mit diesem 450 PS starken Boliden bretterte sie via München, Garmisch und Chur in das schweizerische Engadin. In St. Moritz buchte sie sich für die nächsten vier Wochen im Badrutt’s Palace ein – dem führenden Hotel am Platz.

      Zuvor hatte sie ihre Identität geändert und gab sich als Geschäftsfrau Maria Antonelli aus Zürich aus. Unlängst hatte sie sich die Papiere illegal für ein paar Scheinchen besorgt.

      In der Tat mangelte es diesem Hotel an nichts. Das Frühstück glich täglich einem Festbankett, dessen Exklusivität höchsten Erwartungen entsprach. Selbstredend sprach man hier nicht über Preise. Man gab sich ‚en vogue‘. Wie von Zauberhand wurden die Türen von Herren in dunklen Anzügen und mit Knöpfen in den Ohren geöffnet. Alle Flure waren mit dunkelrotem Läufer ausgelegt und die goldfarbenen Treppenläufe glänzten im Licht der schweren, kristallenen Kronleuchter. Wer hier logierte, war am Ziel.

      Sina beschloss, so schnell wie möglich Nägel mit Köpfen zu machen. Folglich traf man sie allabendlich entweder in einem langen malvenfarbenen Kleid oder einer Designerkollektion im Casino des in der Nähe befindlichen Kempinski des Bains. Dorthin ließ sie sich von einem Chauffeur im hoteleigenen Royce fahren und wurde beim Eintreffen – wie in dieser Preisklasse üblich – von einem Portier mit tiefer Verbeugung empfangen. Da sie durch ihr generöses Trinkgeld bald auffiel, hielt man sie für eine inkognito reisende Aristokratin, um die sich bald erste Gerüchte rankten.

      Im Casino erregten neben dem stetigen Treiben vor allem das französische Kartenspiel ‚Trente et quarante‘ und Roulette ihr Interesse. Geschickt mischte sie sich unter die skurrilen Gäste, um deren Gehabe und Denkmuster zu studieren.

      Und was war hier nicht alles vertreten: Versnobte Bänker, die in ihrer Flegelhaftigkeit ganz unmöglich waren, alternde Playboys mit ihren aufgetakelten Gespielinnen, bis hin zu exaltierten Damen edler Herkunft, die so viel Blasiertheit an den Tag legten, wie es selbst im ‚Grand Elysee‘ in Hamburg undenkbar wäre – und das will schon etwas heißen.

      Das Stimmengewirr an den Spieltischen glich einem unstimmigen Chor. Den meisten Effekt machten dabei diejenigen mit dem größten Gleichmut und der meisten Nonchalance: Wer selbst bei immensen Verlusten gelassen blieb und sich darüber noch amüsierte, war auf der Siegerstraße. Es war unfassbar, wie wenig Bedeutung man dem Geld beimaß und je gelassener man blieb, desto größer die Bewunderung.

      So war es nur natürlich, dass Sina in ihrer Unbeschwertheit schnell hervorstach und damit anderen die Show stahl. Wirkte doch ihre Zwanglosigkeit angesichts der gespielten Naivität ungemein erheiternd und verlockend zugleich. Das weckte Neugier und sie gab sich alle Mühe, diese durch manch ungelenke Bemerkungen noch zu steigern.

      Kein Wunder, dass von der alten Sina nicht mehr viel blieb. Aus der Nudel vom Lande wurde eine Dame des Jetsets und Lifestyles. Sogar ihr Gestikulieren deutete auf eine gekünstelte Verspieltheit hin, wie sie jeden Vertreter höherer Gesellschaftsschichten auszeichnete. Man sprach nicht direkt, sondern deutete nur an und das meist nasal. Anstatt zu lachen, lächelte man leicht angesäuert, um den Eindruck eines Hochmutes zu erwecken. Hinzu kam der Vorteil einer singlereisenden, vermögenden Frau, die sie für gewisse Herren interessant machte.

      Ihr Haar trug sie jetzt schulterlang und gewellt. Außerdem benutzte sie neben einem exklusiven Eau de Cologne viel Make-up. So schminkte sie sich die Lippen mit Swarovski Liploss und drehte ihre Wimpern ein. Es verstand sich von selbst, dass sie ihre Brust auspolsterte und tiefere Ausschnitte bevorzugte.

      Hin und wieder sah man sie, einen Zigarillo mit Spitze rauchend, im Foyer, wo sie sich, die Beine übereinandergeschlagen, in ein Buch vertiefte, jedoch aus den Augenwinkeln das Publikum beobachtete. Sprach man sie auf die Lektüre an, schwärmte sie von James Joyce oder Hermann Hesse und verstand es, jeden Interessenten mit dem Eindruck hoher Belesenheit zu verblüffen.


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