Nur eine Petitesse. Anja Gust

Nur eine Petitesse - Anja Gust


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Zeit.“

      „Das hört sich ja recht missmutig an“, bemerkte sie.

      „Wie man’s nimmt. Schließlich gibt es hier nicht viel Auswahl. Früher habe ich auf einem Hof gearbeitet, Kühe gemolken und Felder bestellt. Doch nachdem die Milchpreise in den Keller rutschten, ging es nur noch bergab. Den Rest können Sie sich denken. Aber das sind Dinge, die sich jemand wie Sie sicher kaum vorstellen kann. Das ist ein echter Knochenjob. Man hat immer zu tun. Das Vieh muss versorgt werden. Feierabend gibt es dort nicht. Eine riesige Schinderei rund um die Uhr. Das ist jetzt kein Vorwurf gegenüber jemandem, der das nicht kennt. Im Gegenteil, ich bewundere jeden, der den Vorzug hat, auf der Sonnenseite des Lebens zu stehen“, seufzte Maurice.

      „Das ist tröstlich zu hören. Aber Sie können mir glauben, ich habe mir manches auch nicht ausgesucht.“

      „Das klingt ja, als wären Sie mit Ihrem Leben nicht zufrieden.“ Erstaunt sah er sie durch den Rückspiegel an.

      Augenblicklich winkte Sina ab. „Wer ist das schon? Zufriedenheit ist nicht nur eine Frage des Geldes. Luft nach oben ist immer.“

      „Da haben Sie recht!“, lachte Maurice und meinte daraufhin, dass es da bei ihm noch viel Platz gäbe. „Ich habe mir vor ein paar Jahren von einer Dame Ihres Standes sagen lassen, dass man selbst im Glück unglücklich sein kann. So gesehen gehört zum wahren Glück wohl immer ein Quäntchen Pech, um es wertzuschätzen. Ich glaube, sie wollte damit sagen, dass es schwer ist, als Millionärin einen Mann zu finden, der es ehrlich meint. Vordergründig sieht man bei einer solchen Frau immer nur das Geld. Und wer das bestreitet, lügt.“

      „Finden Sie?“

      „Unbedingt, denn wie sollte man einer Millionärin das Gegenteil beweisen können? Ich meine, immerhin hat sie alles. Womit könnte man sie also erfreuen? Mit einer Blume oder einem Gedicht? Natürlich“, beeilte er sich hinzuzufügen, „ist die Kunst der Poesie absolut lobenswert.“

      „Haben Sie es denn bereits versucht?“

      „Ich? Ein Gedicht?“ Schmunzelnd winkte er ab.

      „Warum nicht? Oder irgendetwas, was man auf dem Affenfelsen der Moderne perfekt inszenieren kann?“

      „Um Gottes willen.“ Er verdrehte die Augen. „Das würde ich niemals wagen.“

      Sie winkte ab. „Die meisten Millionäre sind nur durch Erbschaft oder Heirat zu ihrem Reichtum gekommen. Erarbeitet haben ihn die wenigsten. Glauben Sie denn nicht an das Wunder eines glücklichen Zufalles?“

      „Oh, durchaus. Nur trifft es mich nicht.“

      „Warum so pessimistisch?“

      „Weil ich es mir nicht vorstellen kann. Wenn man Sie reden hört, glaubt man nicht, dass Sie, ich meine, dass Sie …“ An dieser Stelle geriet er ins Stocken.

      „… zu denen gehören, die aus einer Laune heraus mehrere Wochen am Stück Urlaub in einem Luxushotel machen?“, ergänzte Sina seine Gedanken.

      „Nein, nein. So würde ich es nicht sagen“, korrigierte Maurice. „Sie sind so verdammt aufgeschlossen. Das ist man hier nicht gewohnt.“

      „Oh, danke schön.“ Sie lächelte. Durch das Kompliment ermutigt, wandte sie sich ihm erneut fragend zu. „Sagen Sie, Herr Schönleitner, Sie erwähnten vorhin diesen Eddi Corleone. Habe ich den Namen richtig verstanden?“

      „Ja, so heißt er“, entgegnete Maurice.

      „Tut mir leid, doch das lässt mir keine Ruhe. Ich meine, ich habe diesen Nachnamen irgendwo schon mal gehört. Sagen Sie … kommt Eddi etwa auch aus Pontresina?“

      „In der Tat. Dort kommt er her.“

      „Ist er zufällig mit einer Frau Carlotta Corleone verwandt?“

      Kaum hatte sie den Namen ausgesprochen, bemerkte sie im Rückspiegel Maurices erschrockenen Blick. Nervös ließ er seine Augen zwischen der Fahrbahn und dem Spiegel wandern. Und nicht nur das. Mit einem Schlag verwandelte er sich vom unbeschwerten Plaudermaul zu einem verschlossenen Griesgram. Es dauerte eine ganze Weile, bis er darauf einsilbig antwortete. Zwar bejahte er ihre Frage, wies aber zugleich auf die Unmöglichkeit hin, darüber offen zu sprechen – und schon gar nicht mit Eddi.

      „Warum diese Geheimniskrämerei?“

      „Frau Antonelli. Sie hinterfragen Dinge, über die man besser schweigt.“

      „Jetzt machen Sie mich aber neugierig“, gestand Sina ihm ein.

      „Darf ich offen sein?“

      „Ich bitte darum.“

      Maurice blinkte, fuhr rechts ran und stellte den Motor in den Leerlauf. Dann legte er den Arm über die Lehne und wandte sich ihr zu. „Wissen Sie, es könnte mich den Job kosten, wenn ich Ihnen Näheres sage. Doch um alles in der Welt – woher haben Sie diesen Namen?“

      „Sie meinen, Carlotta Corleone?“

      Er nickte.

      Sina errötete und stammelte fadenscheinig: „Ich meine, mich zu erinnern, vor Jahren in einem Zeitungsartikel – ich glaube, es war die Neue Zürcher – etwas über einen Mord gelesen zu haben. Und da wurde der Name erwähnt.“

      „Das wurde er eben nicht“, korrigierte er sie. „Frau Corleone ist durch einen Unfall ums Leben gekommen und das war der Presse nicht mal eine Randnotiz wert. Von einem Mord war keine Rede. Wie kommen Sie also darauf?“ Durchdringend starrte er sie an.

      „Kann sein, dass ich es verwechsle … Ich erinnere mich nicht mehr genau. Tut mir leid.“

      „Die Entschuldigung liegt ganz meinerseits. Aber ich wünsche mir, dass es zu keinerlei Missverständnissen kommt. Sie sind als Gast und Tourist herzlich willkommen. Nur sollten Sie nicht versuchen, irgendwelche Dinge aufzuwühlen, über die man besser schweigt.“

      „Ist das jetzt eine Warnung?“, fragte Sina erstaunt.

      „Nur ein gut gemeinter Rat.“

      „Das lässt ja auf einiges schließen.“

      „Hören Sie, Frau Antonelli“, wand er sich, „ich möchte einfach nicht, dass ...“ Abrupt stockte er.

      „Was möchten Sie nicht?“, fragte sie rasch nach.

      „Nichts. Vergessen Sie es.“

      „Ich verstehe nicht …“ Sina biss sich auf die Unterlippe.

      „Es tut mir leid. Mehr kann ich Ihnen ehrlich nicht sagen.“ Maurice drehte sich nach vorn zurück. Blinkend fuhr er an und fädelte den Wagen sanft in den fließenden Verkehr ein.

      Den Rest des Weges verbrachten sie schweigend. Wenig später rollte der Rolls-Royce vor das Eingangsportal des Hotels und Sina stieg ernüchtert aus.

      Kurz darauf betrat sie ihre Suite. Vom Fenster aus sah sie auf die dunklen Berge. Sollte dahinter das gelobte Land liegen?

      Der Ausflug

      Zerknirscht wachte Sina am Morgen auf. Nachdem sie sich in der Nacht vor Scham und Wut in den Schlaf geheult hatte, fürchtete sie, jetzt alles verbockt zu haben. Aber ihre Reaktion war Folge der neuen Situation. Dabei hatte sie sich fest vorgenommen, nicht leichtfertig zu sein. Was sollte sie jetzt tun? Freilich könnte sie jederzeit abbrechen und nach Hause fahren. Dann käme sie aber niemals zur Ruhe, zumal sich erste Hinweise ergaben.

      Kein Wunder, dass sie sich beizeiten zum Frühstücksbuffet einfand. Dies wurde übrigens von keinem Geringeren als einen in hiesiger Gegend bekannten Sternekoch kreiert. Doch das erschien Sina jetzt nebensächlich, ebenso wie die Reklame um dessen handwerkliche Kunst. Schließlich war sie nicht zum Schlemmen hier. Also setzte sie sich an ihren Tisch, nahm eine Zeitung und beobachtete beiläufig die Gäste. Diese trudelten nach und nach ein und wurden von den Servicekräften höflichst platziert.

      Prompt fiel


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