Nur eine Petitesse. Anja Gust

Nur eine Petitesse - Anja Gust


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      Es dauerte nicht lange und die ersten Interessenten stellten sich ein. Das war gleichermaßen erheiternd wie beschämend. Einige maßen sie krankhaft aufdringlich auf der Suche nach irgendeinem Makel. Andere zwinkerten ihr dreist zu und machten anzügliche Bemerkungen. Einmal setzten sich zwei Typen ungeniert zu ihr. Als sie festgestellt hatte, dass es sich nur um Blender handelte, begann sie diese mit einer ausgedachten Sprache zu vergraulen. Sina benötigte jemand Bestimmtes. Und dieser musste als Einheimischer über das nötige Insiderwissen verfügen, das sie für ihre Zwecke benötigte. Alles andere war vertane Zeit.

      Bereits am folgenden Abend spielte ihr der Zufall eine erste Chance in die Hand. Nachdem sie das Treiben beim Roulette beobachtet und erstmals einen kleinen Betrag gesetzt hatte, gewann sie unerwartet.

      Als sie es erneut wagte und sich der Gewinn wiederholte, zog sie eine gewisse Aufmerksamkeit auf sich. Darunter befanden sich die Herren jener Sparte, die den ganzen Abend nichts anderes taten, als den Gewinnern Tipps zu geben, in der Hoffnung auf kleinere Gratifikationen. Einer stach dabei besonders hervor.

      Er ‚betreute‘ neben ihrer Person zwei weitere Damen, die im Moment recht erfolgreich waren. Eine grauhaarige, ältere Frau mit kostbarem Chinchilla Fummel um den Hals und riesigen Ohrgehängen schien seine Favoritin zu sein. Sie hatte vor Eifer bereits ein ganz fleckiges Gesicht bekommen und konnte sich gar nicht mehr bremsen.

      An den Nägeln kauend starrte sie mit banger Erwartung auf die rollende Kugel, als hinge davon ihr Leben ab. War diese dann gefallen, zuckte die Dame jedes Mal wie nach einem Stromstoß zusammen und schaute verwundert auf. Kurz, sie befand sich in einer von gereizter Stimmung beherrschten krankhaften Spielsucht, worauf sich der Typ spezialisiert hatte.

      Es war nur natürlich, dass es auch Sina mal versuchte. Sogleich riet er ihr vor dem ‚Rien ne va plus‘ zu einem Einsatz auf ‚Zéro schwarz‘. Von einem unbestimmten Impuls getrieben, ließ sie sich darauf ein. Auf die Frage nach dem Warum erklärte er ihr anhand einiger unklarer Fakten, dass sie mit mathematischer Sicherheit gewinnen würde, wenn sie jetzt setzte.

      Und wieder drehte der Croupier das Rad. Zu ihrer Überraschung kam Zéro. Sina hatte jetzt vervierfacht und bekam gleich zwei Dutzend Jetons zugeschoben. „Wie machen Sie das nur?“, fragte sie ihren im dunklen Anzug und gelber Krawatte gekleideten Ratgeber erstaunt, worauf er dies grinsend als sein Berufsgeheimnis erklärte.

      „Sagen Sie, warum spielen Sie nicht selbst, Herr …?“

      „Edouard Corleone, gnädige Frau.“ Er deutete eine leichte Verbeugung an. „Für gute Freunde auch Eddi. Eddi, der Glücksbringer.“

      „Angenehm“, erwiderte sie höflich.

      „Wissen Sie, weil es dann kein Geheimnis mehr wäre“, kam er auf ihre Frage zurück.

      „Ach, kommen Sie.“ Sina winkte ab. „Geben Sie zu, dass Sie vom Hotel engagiert wurden, um die Spieler zu motivieren! So läuft das. Das habe ich längst durchschaut!“

      „Aber nicht doch! Es ist mehr eine Gabe der Natur“, erwiderte er in aller Bescheidenheit und machte eine unbestimmte Geste.

      „Natürlich. Und die Erde ist eine Scheibe!“ Sie lachte unbeschwert, was ihm sichtlich missfiel.

      „Sie sollten diese Dinge nicht abwerten. Alles hat seine Berechtigung. Wenn Sie verzeihen ...“ Flugs verschwand er und tauchte an einem anderen Tisch wieder auf. Dort gesellte er sich neben seine grauhaarige Diva, die momentan am Verlieren war. Nachdem er sich zu ihr hinabgeneigt und ihr etwas ins Ohr geflüstert hatte, setzte sie erneut.

      Schlagartig brachte ausgerechnet jener windige Vogel Sina auf eine Idee. Sie winkte einen Kellner herbei und übergab ihm ihre Visitenkarte mit der Bitte, diese jenem Herrn dort – sie wies beiläufig auf Eddi – zu überbringen.

      Sie selbst schlenderte in Richtung Bar, wo ebenfalls ein reges Treiben herrschte. Hier blieb sie stehen und sah sich suchend um. Letztlich wählte sie das Foyer. Dort platzierte sie sich auf der Chaiselongue, legte ihren schwarzen Fuchskragen ab und erwartete, einen Zigarillo rauchend, diesen zwielichtigen Herren. Und siehe, der ließ nicht lange auf sich warten.

      „Frau Antonelli“, überschlug er sich mit vor Wonne bebender Stimme und blickte demonstrativ auf die Karte, als müsse er sich von diesem Glückstreffer noch einmal überzeugen. „Sie sehen mich zutiefst erfreut. Schon immer wollte ich die Bekanntschaft einer Geschäftsfrau aus Zürich machen.“

      „Sie Charmeur“, schmeichelte sie ihm augenblicklich, worauf sich seine Lippen genüsslich spitzten und er ihr einen galanten Handkuss gab.

      Auch wenn er mit seinem dunklen, vollen Haar auf den ersten Blick recht ansehnlich wirkte, machte er bei näherer Betrachtung einen verlebten Eindruck. So hatte er tiefe Ringe unter den Augen und einen ungesunden gelben Teint, was auf ein Alkoholproblem hindeutete. Dass er nichts anbrennen ließ, verriet schon sein überaus süßliches Lächeln, das absolut nicht mit dem starren Blick harmonierte, womit er sie bereits auszog. Er mochte so um die fünfzig sein, hatte ein wuchtiges Kinn und eine etwas schiefe Nase. Unter buschigen Brauen verbargen sich zwei unruhig funkelnde Augen, die ständig auf der Suche zu sein schienen.

      Wie alle Machos war er maßlos von sich eingenommen. So wippte er leger mit dem Knie und verstand sich auf großartige Posen; kurzum, er hielt sich für unwiderstehlich, was vor allem in seiner durchgedrückten Brust und dem beim Reden zurückgezogenen Kinn deutlich wurde.

      Durch gewisse Signale bestärkte ihn Sina in diesem Glauben: Galant schlug sie die Beine übereinander und ließ ihn durch den seitlichen Rockschlitz mehr sehen, als gut für ihn war. Dazu lehnte sie sich entspannt zurück und zupfte versonnen an ihrem Ohrläppchen, während er sich über sein sorgsam schmalrasiertes Oberlippenbärtchen strich.

      Nur eine aufgedonnerte Brünette, die in wenigen Metern Entfernung seitlich von Sina stand, war irritierend. Warum starrte diese derart unverhohlen zu ihr herüber? War sie etwa eifersüchtig? Aber Sina lächelte das Problem weg und beugte sich so weit vor, dass sie ihr die Sicht auf Eddi nahm. Trotz allem verspürte sie deren bohrende Blicke. Doch Sina setzte voll auf Sieg. Aus leichtgeöffneten Lippen hauchte sie ihm ein: „Ich finde Sie ungemein charmant“ ins Ohr.

      Daraufhin nahm seine Miene einen kapriziösen, spöttischen und zugleich koketten Ausdruck an, wie er affiger kaum möglich war. Als ihm Sina dann noch den Dunst ihres Zigarillo entgegenhauchte, konnte er sich nicht mehr zügeln.

      „Zwei Champagner, bitte!“, rief er dem vorbeieilenden Kellner zu und hob lässig den Finger. Dieser nickte und trabte weiter.

      Abermals wandte sich ihr Eddi keck die linke Braue hebend zu und frohlockte: „Ich weiß nicht, was Sie bislang über mich erfahren haben. Aber ich bin für meine Qualitäten bekannt, Frau Antonelli.“ Und als wäre das noch nicht genug, wurde er jetzt unverschämt direkt mit der Frage, ob sie einen kultivierten Schwätzer bevorzuge lieber einen ganzen Mann.

      Oh Gott, wie primitiv! Sina zeigte sich entsetzt und erwiderte in gespielter Empörung: „Na, hören Sie mal! Was denken Sie von mir?“

      „Nun, dass Sie eine Frau sind, die ein Abenteuer sucht“, erwiderte Eddi verletzend direkt.

      „Falsch, mein Bester!“, wies ihn Sina kühl zurecht.

      „Was dann?“ Eddi zog ein überaus dummes Gesicht, das ihm erstaunlich gut stand.

      „Am besten, wir reden Klartext!“

      „Na dann. Nur zu!“ Er lächelte unsicher.

      „Nun, wie ich sehe, wissen Sie, wie der Hase läuft. Vor allem, wie man andere Leute bestiehlt!“, schockierte sie ihn.

      Schlagartig zuckte er zusammen und sein feistes Grinsen wich einer erschrockenen Grimasse. „Wie bitte?“

      Lächelnd bemerkte sie: „Oder wie war das vorhin mit dem Desigual-Portemonnaie, das Sie der älteren Dame aus der Tasche gezogen haben, während Sie ihr ein paar wertvolle Tipps ins Ohr flüsterten?“

      „Das ist … Also, das ist ja wohl ...“ Er schnappte nach Luft wie ein ans Ufer gespülter


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