Maggie. Bettina Reiter

Maggie - Bettina Reiter


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hat Sam gesagt.“ Wer’s glaubte! „Also nicht der Rede wert, dennoch werde ich Sam sicherheitshalber übermorgen mit nach Cornwall nehmen.“ Er zwinkerte Finley zu, der nicht fassen konnte, was ihm das Leben von heute auf morgen noch alles wegnahm. Sam war nicht nur eine Hausangestellte, sondern eine Freundin. Zwar keine, bei der er sich ausheulte oder deren Rat er suchte, aber sie war seit Jahren da. In seiner Nähe, um ihn herum. Im Haus, im Garten oder in der Küche. Scheinbar verließ ihn jeder Mensch, der ihm wichtig war.

      „Entschuldigt. Ich … freue mich natürlich für euch“, riss er sich um beider willen zusammen.

      Mit einem liebenswürdigen Lächeln auf den soßenverschmierten Lippen legte Sam ihre Hand auf Finleys, als würde sie ahnen, was in ihm vorging. „Ich wünsche dir von Herzen, dass auch du bald das ganz große Glück findest. Und ich bin ja nicht aus der Welt.“ Sie tätschelte seine Hand, ehe sie ihre zurückzog. „Du kommst doch zur Hochzeit, oder?“

      „Natürlich“, entgegnete er hastig und ahnte gleichzeitig, dass er sein Versprechen nicht würde halten können. Denn abgesehen von der Hochzeit, müsste er nach Cornwall zurück …

      Plötzlich hatte Finley die Klippen vor Augen. Maggie, wie sie in der Trevaunance Bucht bei den Felsen saß und gedankenverloren auf das Meer blickte. Er spürte ihre Lippen. Die Wärme ihres Körpers, der sich an seinen drängte. All diese Erinnerungen erfüllten Finleys Herz mit so viel Schwere, dass jeder Atemzug seine Lunge quälte.

      „Ich wüsste übrigens eine Nachfolgerin für mich“, informierte Sam ihn „Ihr Name ist Evelyn. Sie ist fünfundfünfzig und stammt ursprünglich aus Wales.“

      „Ja … ich“, stammelte Finley, „hat sie Erfahrung in dem Job?“

      „Ihre Kochkunst ist legendär“, versicherte Sam.

      „Und sonst? Ist sie umgänglich?“ Maggies Bild ließ sich einfach nicht verscheuchen.

      „Nun, sie hat den Charme einer Wand, flucht wie ein Berserker, macht schlechte Witze und ist auch ansonsten eher ein Rohdiamant. Aber sie hat das Herz auf dem rechten Fleck.“ Flugs holte Sam einen Zettel aus ihrer Handtasche, den sie zu Finley schob. Wie es aussah, war sie im Gegensatz zu ihm bestens auf alles vorbereitet. „Hier ist ihre Nummer. Evelyn würde sich bestimmt freuen. Die Arme lebt momentan von Hartz IV. Leider ist sie in einem Alter, in dem man gerne aussortiert wird.“ Finley starrte auf Sams krakelige Schrift. „Für mich ist Evelyn wie eine Oma. Immerhin wohnen wir seit Jahren Tür an Tür und haben stets aufeinander aufgepasst. Ich wäre froh, sie in guten Händen zu wissen. Denn obwohl ich dir das nie gesagt habe, Finley: Du bist ein toller Freund.“ Ihre Aussage berührte ihn zutiefst. So sehr, dass er ein Brennen in den Augen spürte, woher auch immer es rührte. Und eines war gewiss: Sam würde ihm unendlich fehlen!

      ♥♥♥

      In den nächsten Wochen lernte Maggie alle Abteilungen sowie einige Aktionäre vom Aufsichtsrat kennen, da sie dazu verdonnert wurde, bei Konferenzen Kaffee zu servieren. Gab Grace ansonsten den Ton an, führte Angus McCloud bei diesen Gelegenheiten das Wort. Er war Hauptaktionär, Vorsitzender des Aufsichtsrates und leitete den Prüfungsausschuss.

      Grace zeigte sich bei solchen Meetings von ihrer charmantesten Seite, schließlich bildete der Aufsichtsrat das Kontrollorgan des Vorstandes – somit auch von ihr. Dabei hasste sie es wie die Pest, wenn ihr auf die Finger geschaut wurde. Das verstand Maggie gut, die nach Dienstschluss über das Finanzwesen recherchierte, Fortbildungen besuchte, sich mittels Börsenzeitungen auf dem Laufenden hielt und jeden noch so kleinen Schnipsel über die Citizen-Bank las.

      Leider gelang es ihr nur mäßig, Kontakt mit den Mitarbeitern aufzubauen, da das Gerücht umging, sie würde von Grace protegiert werden. Dabei forderte sie weit mehr von Maggie, als von den anderen.

       Es lag nahe, wer diese Halbwahrheiten in Umlauf brachte. Entweder Iris oder Humpie, vielleicht beide zusammen. Die spürbare Ablehnung machte es Maggie schwer, Freude an einer ohnehin anspruchslosen Tätigkeit zu finden. Manchmal fühlte sie sich unsichtbar wie das Postmädchen aus dem Film Was Frauen wollen mit Mel Gibson, der in dieser Rolle die Gedanken von Frauen lesen konnte. Aber selbst wenn einer wie Graces Sohn dazu fähig gewesen wäre, hätte es ihn kaltgelassen. Zumindest was sie betraf. Bei Iris ergriff er regelmäßig Partei, sobald Grace den T-Rex zur Schnecke machte. Nebenbei gab es durchaus Kollegen, die mit Maggie flirteten. Männer interessierten sie allerdings keinen Deut. Alles, was sie wollte, war eine Karriere. Darum murrte sie nicht, wenn sie Zusatzaufgaben aufgebrummt bekam, und arbeitete oft bis spät in die Nacht. Grace war ihr Vorbild und Maggie beobachtete sie minuziös. Hörte ihr aufmerksam zu, wenn sie mit den Angestellten sprach oder Anweisungen gab. Dabei duldete ihre Stimme keinen Widerspruch. Ein Lächeln suchte man vergeblich und alle – sie eingeschlossen – fügten sich wie programmierte gefühllose Roboter.

      Nur abends fiel dieser Panzer von Maggie ab, wenn sie schluchzend im Bett lag und an Finley dachte. An seine Liebesschwüre, die leider bedeutungslos waren. Trotzdem träumte sie von ihm und wachte nicht nur einmal weinend auf. So auch in einer kalten Herbstnacht. Regen prasselte gegen die Fensterscheiben und der Wind fegte durch Dublins Straßen. Maggie war es, als stünde sie wieder vor dem Cottage …

      Im selben Augenblick, als sie das Licht anknipste, piepste ihr Handy. Noch gefangen inmitten ihrer Gefühle, starrte sie Sekunden später auf die WhatsApp-Nachricht.

       Hi Maggie, ich kann nicht anders, als dir zu schreiben. Du gehst mir einfach nicht aus dem Kopf und auch auf die Gefahr hin, dass ich mich lächerlich mache, wollte ich dir sagen, wie sehr ich dich vermisse und mich nach dir sehne. So sehr, dass ich es kaum aushalte und in Nächten wie diesen keinen Schlaf finde. Denn draußen regnet es, der Wind heult um das Haus und ich wünsche mich mit jeder Faser meines Herzens zum Cottage. Um diesen einen Moment zwischen uns noch einmal erleben zu dürfen. Bitte, sag mir, ist wirklich alles verloren zwischen uns? Finley

      Wut stieg in ihr hoch und verdrängte das warme Gefühl, das kurz aufgeflackert war. Seine Verlobte konnte einem nur leidtun! Fahr zur Hölle, Finley McGarret, und wage es nie wieder, dich bei mir zu melden, schrieb sie zurück, schleuderte das Handy aufs Bett und verließ es, um vom Fenster aus in den in den verhüllten Nachthimmel zu blicken.

      Wenigstens wohnte sie mittlerweile in einer WG. Fünfzehn Quadratmeter im Arbeiterviertel Cabra, wo sich kleine Backsteinhäuser aneinanderreihten. Eines davon teilte sie sich mit zwei jungen Frauen, die Maggie kaum zu Gesicht bekam. Sie arbeiteten nachts und kamen heim, wenn sie längst in der Bank war. Da ihre Mitbewohnerinnen an den Wochenenden bis in die Puppen schliefen, wusste Maggie selbst nach Monaten nichts weiter als deren Namen, woher sie stammten und wo sie ihr Geld verdienten. Somit suchte sie auch hier vergeblich Anschluss, und um alleine auszugehen war sie zu feige.

      Im Gegensatz zu ihrer Mom, die regelrecht aufblühte, seitdem sie Cornwall verlassen hatte. Wie meistens an den Wochenenden telefonierten sie auch am folgenden nach Finleys dreister Nachricht miteinander. Wiederum war ihre Mom seltsam aufgekratzt, die neuerdings Nähkurse gab. Als sie unvermittelt Donald McGarret erwähnte und stockend erzählte, dass sie ihn wieder als Hausarzt konsultieren würde, unterbrach Maggie ihre Mutter sofort. „Ich will nie wieder etwas von einem McGarret hören, Mom!“ Langes Schweigen folgte, als hätte sie ihre Mutter damit getroffen. Aber Finleys Dad war lediglich ihr Arzt, nicht ihr Geliebter. Ihre Mutter würde es verkraften. Allerdings kam kein rechtes Gespräch mehr in Gang und Maggie war froh, als sie auflegten. Noch erleichterter war sie, dass sie am Montagmorgen zur Arbeit gehen konnte.

      Ein hektischer Tag reihte sich an den nächsten. Maggie begrüßte den Stress, der jeden schmerzvollen Gedanken wohltuend zudeckte. Bis gegen Jahresende die Feiertage vor der Türe standen, doch sie arbeitete durch, womit auch Weihnachten vorbeiging. Das Päckchen von ihrer Mom öffnete sie erst Tage danach. Aß die Kekse, verstaute den selbstgestrickten roten Schal und die dazu passende Haube im hintersten Winkel des Kleiderschrankes und legte das braune Leder-Armband mit dem silbernen Anhänger in Form des keltischen Lebensbaumes in die Schmuckschatulle. In der Bank trug niemand unechten Schmuck oder selbstgestrickte Sachen. Nicht einmal privat würde sie das tun. Man weiß nie, wen man auf der Straße trifft, pflegte Grace zu sagen. Dennoch


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